Auf den ersten Blick treten die gemeinsamen
Merkmale zwischen uns und diesen Wesen stärker hervor als die Unterschiede. Wir haben uns meist ein bestimmtes Bild gemacht und übertragen es nun auf das, was wir tatsächlich vor uns sehen. Nehmen wir zum Beispiel den hübschen kleinen >Mund<; wie konnte ich wissen, ob er nur der Atmung diente?
Aber trotz der flüchtigen Ähnlichkeit, die von vier Gliedmaßen und einem kopfförmigen Gebilde unterstrichen wurde, glichen diese Geschöpfe uns weniger als ein Ochsenfrosch einem jungen Ochsen. Dennoch war der allgemeine Eindruck angenehm und entfernt menschenähnlich. >Kobolde< möchte ich sie nennen, >elfische Zwergwesen< von den Monden des Saturn.
Als ich den kleinen Burschen erblickte, zog ich meine Pistole. Der Alte wandte sich um und sagte: »Immer mit der Ruhe. Er ist tot. Sie sind allesamt zugrunde gegangen, in Sauerstoff erstickt, als der Tank ihre Luftschleuse zerstörte.«
Ich hatte die Pistole immer noch schußbereit. Eigensinnig sagte ich: »Ich möchte den Parasiten verbrennen. Vielleicht lebt er noch.« Er war nicht mit der Hülle bedeckt, die wir in letzter Zeit an ihm gewöhnt waren, sondern sah nackt und widerlich aus.
Der Alte zuckte die Achseln. »Wie du willst. Wahrscheinlich kann er dir nichts anhaben. Denn auf einem Wesen, das Sauerstoff atmet, dürfte dieser Parasit nicht leben können.« Der Chef kroch über den kleinen Körper, so daß es mir nicht möglich war zu schießen, selbst wenn ich gewollt hätte. Mary hatte ihre Waffe nicht gezogen, sondern sich an mich geschmiegt. Sie atmete jetzt schwer und schluchzte. Der Alte blieb stehen und fragte geduldig: »Kommst du, Mary?«
Sie stieß erstickt hervor: »Kehren wir um! Nur fort von hier!«
»Recht hat sie!« murrte ich. »Das ist keine Arbeit für drei Leute, hier gehört ein Stab von Forschern her mit der geeigneten Ausrüstung.«
Er beachtete mich nicht. »Mary, es muß sein. Du weißt es. Und nur du kannst es ausführen!«
»Warum ausgerechnet sie?« fragte ich wütend.
Wiederum tat er, als wäre ich Luft. »Nun, Mary?«
Aus irgendeiner verborgenen Quelle ihrer Seele schöpfte sie neue Kraft. Sie atmete wieder stetig. Das angstverzerrte Gesicht entspannte sich.
Schließlich gelangten wir zu einer großen Kammer, von der aus das Schiff wahrscheinlich gelenkt worden war; in ihr befanden sich viele kleine Kobolde, die tot waren. Die Innenfläche des Raums hatte Vertiefungen und war mit Lichtern geschmückt, die viel heller strahlten als der rötliche Schein von vorhin. Girlandenartig waren Apparate kreuz und quer gezogen, die mir so unverständlich waren wie die Windungen eines Gehirns. Wiederum quälte mich der völlig abwegige Gedanke, daß dieses Schiff ein lebender Organismus war.
Der Alte kümmerte sich nicht um seine Umgebung, er krabbelte in einen neuen rötlich glühenden Gang hinein. Wir folgten seinen Windungen bis zu einer Stelle, wo er etwa drei Meter breit wurde und die >Decke< so hoch lag, daß wir aufrecht stehen konnten. Doch etwas anderes zog unsere Blicke auf sich; die Wände waren jetzt nicht mehr undurchsichtig.
Zu beiden Seiten entdeckten wir hinter Membranen, die klar wie Glas waren, Tausende und Abertausende von Schneckenwesen; sie schwammen, schwebten und schlängelten sich in einer Art Nährflüssigkeit. Jeder Behälter war von einem matten Licht erhellt, und ich konnte tief in die zuckende Masse hineinsehen.
Immer noch hielt ich meine Pistole umfaßt. Der Alte legte die Hand über die Trichtermündung. »Schieße ja nicht!« warnte er.
»Du möchtest doch diese Ungeheuer nicht in Freiheit setzen. Sie sind uns zugedacht.«
Ich drängte: »Nur fort von hier, solange es geht, und dann dieses Satanszeug mit einer Bombe ausrotten!«
»Nein«, widersprach der Alte gelassen. »Wir sind noch nicht fertig. Komm.« Die Röhre wurde wieder enger, dann weitete sie sich, und wir befanden uns in einem etwas kleineren Gelaß. Es hatte ebenfalls durchsichtige Wände, und hinter ihnen schwamm etwas.
Zweimal mußte ich hinschauen, ehe ich meinen Augen traute. Unmittelbar jenseits der Wand lag mit dem Gesicht nach unten ein Mensch - ein männliches, auf der Erde geborenes Wesen von etwa vierzig bis fünfzig Jahren. Er hatte die Arme auf die Brust gelegt und die Knie angezogen, als ob er schliefe.
Ich beobachtete ihn, und fürchterliche Gedanken peinigten mich. Er war nicht allein; außer ihm gab es noch andere, Männer und Frauen, alte und junge, aber meine Aufmerksamkeit galt vor allem ihm. Ich war überzeugt, daß er tot sei. Es kam mir nicht in den Sinn, etwas anderes zu vermuten. Dann merkte ich, daß er den Mund bewegte und - ich wünschte, er wäre tot.
Mary ging umher wie betrunken - nein, gleichsam wie in einem Dämmerzustand. Sie lief von einer Wand zur anderen und spähte angestrengt in die gedrängt vollen, halbdunklen Tiefen. Der Alte hatte nur Augen für sie. »Nun, Mary?« fragte er sanft.
»Ich kann sie nicht finden!« jammerte sie herzzerreißend mit der Stimme eines kleinen Mädchens. Wieder rannte sie auf die gegenüberliegende Seite.
Der Alte packte sie am Arm. »Du suchst sie nicht an der richtigen Stelle«, erklärte er bestimmt. »Gehe dorthin zurück, wo sie sind. Erinnerst du dich?«
Wehklagend rief sie: »Ich - kann - mich - nicht -entsinnen!«
»Du mußt. Das ist der einzige Liebesdienst, den du ihnen erweisen kannst. Du muß an jenen Ort zurückkehren, an dem sie sich aufhalten und sie suchen!«
Mary schloß die Augen, und Tränen quollen ihr zwischen den Lidern hervor. Ich schob mich zwischen die beiden und schrie: »Hör auf! Quäle sie nicht!«
Er stieß mich beiseite. »Nein, mein Sohn«, flüsterte er leidenschaftlich. »Misch dich nicht ein, du darfst mich jetzt nicht stören.«
»Aber ...«
»Nein!« Er ließ Mary los und führte mich zum Eingang. »Bleibe hier. Und wenn du deine Frau so liebst, wie du die Titanier haßt, halte dich aus dieser Sache heraus. Ich werde ihr nichts zuleide tun, das verspreche ich dir.«
»Was hast du vor?« fragte ich, aber er wandte sich ab. Nur widerwillig verharrte ich an meinem Platz, aber ich hatte Bedenken, mich in Dinge einzumengen, die ich nicht begriff.
Mary war zusammengesunken, sie kauerte nun wie ein Kind auf dem Boden und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Der Alte kniete nieder und berührte ihren Arm. »Geh zurück«, hörte ich ihn mahnen, »bis zum Ausgangspunkt zurück.«
Ihre Antwort konnte ich kaum vernehmen. »Nein -nein.«
»Wie alt warst du? Als man dich fand, schienst du sieben oder acht Jahre zu zählen. Geschah das alles vorher?«
»Ja, ja, vorher.« Sie schluchzte und fiel zu Boden. »Mama! Mama!«
»Was sagt denn deine Mama?« fragte er liebevoll.
»Sie spricht nicht, sie blickt mich nur so sonderbar an. Auf ihrem Rücken sitzt etwas. Ich fürchte mich, ich fürchte mich.«
Kurz entschlossen eilte ich auf die beiden zu und duckte mich dabei, um nicht an die niedere Decke zu stoßen. Ohne die Augen von Mary abzuwenden, winkte mir der Alte zu, ich solle wieder umkehren. Ich blieb zögernd stehen. »Geh zurück, ganz zurück!« befahl er.
Die Worte waren an mich gerichtet, und ich gehorchte; aber Mary ebenfalls. »Ein Schiff war da«, murmelte sie, »ein großes glänzendes Schiff.« Er sagte irgend etwas. Was sie entgegnete, konnte ich nicht verstehen. Diesmal blieb ich, wo ich war.
Er redete unablässig besänftigend, aber eindringlich auf sie ein. Mary beruhigte sich, sie schien in dumpfes Brüten versunken, aber ich konnte hören, daß sie ihm antwortete. Nach einer Welle verfiel sie in den eintönigen Tonfall eines Menschen, der sich einen Kummer von der Seele wälzt. Nur hin und wieder flüsterte ihr der Alte ein aufmunterndes Wort zu.
Plötzlich hörte ich hinter mir jemanden den Gang entlangkriechen und zog meine Pistole. Dabei überkam mich das unheimliche Gefühl, daß wir in eine Falle geraten waren. Beinahe hätte ich den Herannahenden erschossen, aber ich merkte noch rechtzeitig, daß es der junge Offizier war, den wir draußen zurückgelassen hatten.