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»Jawohl«, antwortete eine Stimme. »Wir werden keine Aufnahme machen.« Ein grünes Licht flammte an der Decke auf.

»Ich glaube ihnen das zwar nicht, aber vielleicht hört es wenigstens kein anderer als Kelly mit«, brummte der Alte. »Nun wollen wir von dem sprechen, was du gern wissen möchtest, mein Sohn. Allerdings bin ich nicht überzeugt, daß du ein Anrecht darauf hast. Du bist mit dem Mädchen verheiratet, aber ihre Seele ist nicht dein Eigentum, und diese Tatsachen stammen aus so tiefen Schichten des Unterbewußtseins, daß sie selbst keine Ahnung von ihnen gehabt hat.«

Ich schwieg. Besorgt fuhr er fort: »Ich halte es aber für zweckmäßiger, dir so viel zu erzählen, daß du verstehst, worum es geht. Sonst quälst du sie am Ende, um sie auszuhorchen. Das möchte ich auf keinen

Fall. Du könntest ihr damit schweren Schaden zufügen. Ich bezweifle zwar, daß sie sich an irgend etwas erinnert, denn Steelton geht sehr behutsam mit ihr um, aber du könntest alles wieder aufwühlen.«

Ich holte tief Atem. »Ich überlasse es dir, das zu entscheiden.«

»Nun, ich werde dir ein wenig erzählen und deine Fragen beantworten, jedenfalls einige davon, wenn du mir dafür das feierliche Versprechen gibst, deine Frau nicht damit zu belästigen. Du hast nicht das nötige Geschick dazu.«

»Ich verspreche es.«

»Nun, es gab einmal eine Gruppe von Leuten, eine Art Religionsgemeinschaft, die in Verruf geriet.«

»Ich weiß, die Whitmaniten.«

»Ach, wieso wußtest du das? Von Mary? Nein, das ist unmöglich. Es war ihr selbst nicht bekannt.«

»Nein, nicht von Mary. Ich bin allein daraufgekommen.«

Er blickte mich mit merkwürdiger Hochachtung an. »Vielleicht habe ich dich unterschätzt, mein Sohn. Ganz recht - die Whitmaniten. Mary gehörte als Kind zu ihnen, als sie in Antarctica hausten.«

»Warte eine Minute!« rief ich.

In meinem Kopf schnurrten die Rädchen, und eine Zahl tauchte auf. »Im Jahre 1974 haben sie Antarctica verlassen.«

»Gewiß.«

»Aber dann wäre Mary etwa vierzig Jahre alt!«

»Macht dir das etwas aus?«

»Wie? Ach nein - aber es ist nicht möglich.«

»Sie ist so alt und wiederum auch nicht. Den Jahren nach ist sie vierzig. Biologisch betrachtet jedoch Mitte der Zwanzig, und eigentlich kann sie für noch jünger gelten, weil sie sich an nichts mehr erinnert, was sich vor 1990 ereignet hat.«

»Wie meinst du das? Daß sie sich nicht erinnert, leuchtet mir ein, denn sie will nicht zurückdenken. Aber was willst du mit deinen anderen Worten sagen?«

»Genau das, was sie ausdrücken. Sie ist nicht älter, weil ... nun, du kennst doch den Raum, in dem ihr auf dem Schiff das Gedächtnis wiederkehrte? Sie verbrachte zehn oder mehr Jahre in einem Dämmerzustand in einem ähnlichen Behälter.«

28

Mit zunehmenden Jahren werde ich nicht härter, sondern empfindlicher. Der Gedanke, daß meine geliebte Mary in diesem künstlichen Mutterschoß herumgeschwommen war, weder tot noch lebendig, wie eine eingepökelte Heuschrecke, das war zuviel für mich.

Ich hörte den Alten sagen: »Nimm's nicht so schwer, mein Sohn.«

»Fahre fort!« bat ich.

Marys bisher bekannter Lebenslauf war einfach, aber geheimnisvoll. Man hatte sie in einem Sumpf in der Nähe von Kaiserville am Nordpol der Venus gefunden; damals war sie ein kleines Mädchen, das von seiner Vergangenheit nichts erzählen konnte und nur seinen Namen - Allucquere - kannte. Niemand fiel die Bedeutung dieses Namens auf, und ein Kind, das so alt wie sie aussah, konnte auf keinen Fall mit dem Untergang der Whitmaniten in Verbindung gebracht werden. Das Nachschubschiff vom Jahre 1980 war nicht imstande gewesen, von ihrer Kolonie >Neu-Zion< einen Überlebenden zu entdecken. Zehn Jahre und mehr als dreihundertachtzig Kilometer Dschungel trennten die kleine Waise bei Kaiserville von den Kolonisten >Neu-Zions<, über die ein Gottesgericht hereingebrochen war.

Im Jahre 1990 aber war ein Kind der Erde auf der Venus etwas völlig Unglaubwürdiges; und es gab auch keinen Menschen dort, der wißbegierig genug gewesen wäre, um der Sache nachzugehen. Kaiservil-le bestand aus Bergarbeitern, zweifelhaften Mädchen und den Vertretern der >Zwei-Planeten-Kompanie<, sonst lebte dort niemand. Radioaktiven Schlamm in den Sümpfen zu schaufeln war eine Arbeit, bei der einem keine Kraft blieb, rätselhafte Dinge zu erforschen.

Mary wuchs mit Pokermünzen als Spielzeug auf und nannte jedes weibliche Wesen in der Barackensiedlung >Mutter< oder >Tante<. Ihren Namen kürzte man ab und rief sie Lucky. Wer ihr die Rückreise zur Erde bezahlt hatte, verriet mir der Alte nicht. Die Hauptfrage war, wo sie sich von dem Zeitpunkt an auf gehalten hatte, an dem >Neu-Zion< wieder vom Dschungel verschlungen wurde, und was mit der Kolonie geschehen war. Doch den einzigen Augenzeugenbericht darüber, der in Marys Seele vergraben ruhte, hatten Schrecken und Verzweiflung fast unzugänglich gemacht.

Irgendwann vor 1980, etwa um die Zeit, als fliegende Untertassen aus dem sibirischen Rußland gemeldet wurden, oder vielleicht ein Jahr früher, hatten die Titanier die Kolonie Neu-Zion entdeckt. Wenn man diesen Überfall ein Saturnjahr eher annimmt als ihr Eindringen auf der Erde, stimmt die Zeit ziemlich genau. Wahrscheinlich hielten die Titanier auf der Venus nicht nach Erdmenschen Ausschau. Sicher erforschten sie nur diesen Planeten, wie sie schon lange die Erde ausgekundschaftet hatten. Oder vielleicht wußten sie, wo sie zu suchen hatten, denn es wurde nachgewiesen, daß sie im Verlauf von über zwei Jahrhunderten Erdenbewohner entführt hatten; dabei konnten sie einen gefangen haben, dessen Gehirn ihnen verriet, wo >Neu-Zion< zu finden war. Doch darüber konnten uns Marys dunkle Erinnerungen keinen Aufschluß geben.

Sie erlebte nur, wie die Kolonie in Knechtschaft geriet, sah ihre Eltern in Marionetten verwandelt, die sich nicht mehr um sie kümmerten. Offenkundig war sie selbst nicht befallen, oder die Titanier hatten sich ihrer bemächtigt und sie wieder freigelassen, weil sie entdeckten, daß ein unwissendes junges Mädchen ein ungeeigneter Sklave war. Auf jeden Fall trieb sie sich eine Zeitlang, die für ihr kindliches Gemüt eine Ewigkeit schien, in der Gegend herum; keiner liebte sie oder sorgte für sie, aber sie wurde auch nicht belästigt. Die Parasiten hatten sich auf der Venus eingenistet, ihre Hauptknechte waren die einheimischen Geschöpfe, und die Kolonisten bildeten nur eine willkommene Dreingabe. Eines war gewiß: Mary hatte mit angesehen, wie man ihre Eltern in den Dämmerschlaf versetzte. Bewahrte man sie für den späteren Einsatz zur Eroberung der Erde auf? Vielleicht war es so.

Zur gegebenen Zeit wurde auch Mary in die Nährflüssigkeit gebracht. Geschah dies in einem Schiff der Titanier oder an einem Stützpunkt auf der Venus? Die letzte Möglichkeit schien einleuchtender, denn als sie erwachte, befand sie sich auf diesem Planeten. Es blieben noch viele Lücken. Waren die Schneckenwesen, die auf den Bewohnern der Venus hausten, von der gleichen Art wie die der Kolonisten? Möglich war es. Auf der Erde wie auf der Venus beruhte das Leben im wesentlichen auf dem Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd. Die Schneckenwesen schienen unendlich anpassungsfähig zu sein, aber sie mußten sich auf die Biochemie des Wirtes einstellen. Bei einem Silizium-Sauerstoff-Haushalt wie auf dem Mars oder bei einem Stoffwechsel von Fluorverbindungen wäre auf der Venus nicht der gleiche Schmarotzer lebensfähig gewesen. Doch in unserem Fall war die Zeit entscheidend, in der Mary aus der künstlichen Brutkammer herausgenommen wurde. Die Eroberung der Venus durch die Titanier war fehlgeschlagen, oder es war bald soweit. Nachdem Mary den Behälter verlassen hatte, war sie von einem Parasiten besessen gewesen, aber sie hatte ihn überlebt.