Der General pfiff durch die Zähne. »Das ist eine recht heldenhafte Lösung, Herr Nivens. Wie sollen wir ihn heilen? Oder auch nur an ihn herankommen? Nehmen wir einmal an, daß wir künstlich in der roten Zone eine Epidemie hervorrufen. Dann müßten wir aber unerhört schnelle Beine machen, um mehr als fünfzig Millionen Menschen zu behandeln, ehe sie uns sterben - und das angesichts eines hartnäckigen Widerstands, vergessen Sie das nicht!«
»Der zweiten Frage müssen die Taktiker rechnerisch zu Leibe gehen, das ist also Ihre Sache. Und was den ersten Punkt betrifft, so sitzt der maßgebende Herr hier.« Ich wies auf Dr. Hazelhurst.
Hazelhurst druckste, und ich wußte, wie ihm zumute war. Er schien sich zu erinnern, daß man an einem Gegengift gearbeitet hatte, aber das Serum, das die Ansteckung überhaupt verhütete, hatte sich so gut bewährt, daß er nicht sicher war, ob das Gegenmittel je hergestellt worden sei. Er schloß mit der etwas lahmen Ausrede, daß das Studium der exotischen Krankheiten des Planeten Venus noch in den Kinderschuhen stecke.
Der General unterbrach ihn. »Wie lange brauchen Sie, um diese Sache mir dem Gegengift zu klären?«
Hazelhurst meinte, er wolle deswegen mit einem Kollegen von der Sorbonne telefonieren.
»Tun Sie das«, sagte der Kommandeur. »Sie sind beurlaubt.«
Am nächsten Morgen kam Hazelhurst angeschwirrt und klopfte an unsere Tür. Ich trat auf den Gang hinaus. »Tut mir leid, daß ich Sie geweckt habe«, entschuldigte er sich. »Aber mit dem Gegengift hatten Sie recht.«
»Hm?«
»Ich erhalte eines aus Paris, es muß jede Minute eintreffen. Hoffentlich ist es noch wirksam.«
»Und wenn nicht?«
»Nun, wir haben die Mittel, es herzustellen. Wenn dieser tolle Plan ausgeführt wird, müssen wir natürlich Millionen Einheiten davon erzeugen.«
»Ich danke Ihnen, daß Sie es mir mitgeteilt haben«, sagte ich und wollte wieder kehrtmachen; er hielt mich jedoch zurück.
»Ach, Herr Nivens. Wegen der Überträger ...«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Krankheitsüberträger! Ratten, Mäuse oder dergleichen können wir nicht verwenden. Wissen Sie, wie das Fieber auf der Venus verbreitet wird? Durch einen kleinen fliegenden Rotifer, ein Tierchen, das unseren Insekten entspricht. Aber so etwas besitzen wir nicht, und dies wäre die einzige Möglichkeit, den Erreger weiterzugeben.«
»Wollen Sie damit behaupten, daß Sie mich nicht fieberkrank machen könnten, selbst wenn Sie wollten?«
»O ja, ich müßte Ihnen Erreger einspritzen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß wir in der Lage sind, eine Million Fallschirmspringer in der roten Zone abzusetzen und die von Parasiten geplagte Bevölkerung zum Stillhalten zu bewegen, während wir ih-
nen Injektionen geben.« Er breitete mit einer ratlosen Geste die Hände aus.
»Warum fragen Sie gerade mich?« meinte ich. »Das ist ein medizinisches Problem.«
»Hm, ja, natürlich. Ich dachte nur ... Nun, Sie schienen sehr schnell zu erfassen, worauf es ankam ...« Er machte eine Pause.
»Danke.« Mich beschäftigten zwei Fragen gleichzeitig, und ich konnte sie nicht auseinanderhalten und zu Ende denken. Wie viele Menschen lebten in der roten Zone ...? »Ich möchte eines wissen: angenommen, Sie hätten das Fieber, könnte ich es von Ihnen nicht bekommen ...?« Ärzte mit Fallschirmen abzusetzen war unmöglich; so viele gab es nicht ...
»Nicht so leicht. Vielleicht, wenn ich einen Abstrich von meinen Schleimhäuten in Ihren Hals brächte; auch wenn ich Blut aus meinen Venen in das Ihre leitete, würden sie zuverlässig damit angesteckt.«
»Also nur durch unmittelbare Berührung, nicht wahr?« ... Wie viele Leute konnte ein Fallschirmspringer übernehmen? Zwanzig, dreißig oder noch mehr ...? »Wenn das der ausschlaggebende Punkt ist, dann brauchen Sie sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.«
»Wieso?«
»Was unternimmt ein Parasit zuerst, wenn er einen anderen trifft, den er längere Zeit nicht gesehen hat?«
»Konjugation!«
»Er nimmt Fühlung auf, wie ich das immer genannt habe, allerdings in der etwas ungenauen Ausdrucksweise der Parasitensprache. Glauben Sie, daß dadurch die Krankheit weitergegeben würde?«
»Glauben? Ich bin davon überzeugt! Wir haben gerade hier im Laboratorium bewiesen, daß während der Konjugation organische Eiweißstoffe ausgetauscht werden. Eine Ansteckung erscheint mir daher geradezu unvermeidlich; wir könnten die ganze Kolonie verseuchen, als wäre sie ein einziger Körper! Warum ist mir das nicht gleich eingefallen?«
»Nur keine übertriebenen Erwartungen!« mahnte ich. »Aber ich habe den leisen Verdacht, daß es klappen wird.«
»Es wird ganz bestimmt klappen!« Er wollte davonlaufen, dann blieb er stehen. »Ach, Herr Nivens, wären Sie sehr böse, wenn ... ich weiß, es ist viel verlangt ...«
»Was gibt's? Reden Sie frei heraus.«
»Würden Sie mir gestatten, diese Methode der Übertragung bekanntzugeben? Ich werde sagen, daß Sie der Urheber sind, aber der General ist schon so gespannt, und diese Meldung würde den Bericht gerade schön abrunden.«
Er blickte so sorgenvoll drein, daß ich beinahe gelacht hätte.
»Ich habe nichts dagegen. Es gehört ja in Ihr Arbeitsgebiet.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich werde mich bemühen, Ihnen auch einen Gefallen zu erweisen.« Glückstrahlend zog er ab, und auch ich war befriedigt. Allmählich machte es mir Spaß, ein >Genie< zu sein.
Ich blieb noch stehen und legte mir den Massenabsprung in großen Zügen zurecht. Dann ging ich wieder zu Mary hinein. Sie öffnete die Augen und bedachte mich mit dem engelsanften Lächeln, das ich so an ihr liebte. Ich beugte mich hinab und strich ihr die Haare glatt. »Wie geht’s, mein Rotschopf? Wußtest du, daß dein Mann ein Genie ist?«
»Ja.«
»Wirklich? Das hast du mir nie gesagt.«
»Du hast mich ja nie danach gefragt.«
Hazelhurst sprach von einem >Nivens-Überträger<. Dann wurde ich gebeten, mich dazu zu äußern. Natürlich hatte Vater zuvor wieder scharf in meine Richtung geblickt.
»Sofern Versuche die Annahme bestätigen, stimme ich völlig mit Dr. Hazelhurst überein«, begann ich. »Doch bleiben noch Fragen zu erörtern, die eher den Generalstab als die Ärzte angehen. Wichtig ist die Wahl des richtigen Zeitpunkts - entscheidend, möchte ich lieber sagen. Außerdem muß die Übertragung von vielen Brennpunkten aus erfolgen. Wenn wir annähernd hundert Prozent der Bevölkerung in der roten Zone retten wollen, müssen unbedingt alle Parasiten ungefähr zur gleichen Zeit angesteckt werden, damit die Rettungstrupps das Gebiet betreten, nachdem die Schneckenwesen nicht mehr gefährlich sind und ehe irgendeiner ihrer Wirte den kritischen Zeitpunkt überschritten hat, zu dem das Gegengift ihn retten kann. Das Problem läßt sich mathematisch analysieren -« Sam, mein Junge - dachte ich bei mir - du alter Schwindler, du könntest es nicht einmal mit einem elektronischen Integrator und zwanzig Jahren Schweiß lösen »- und sollte daher an Ihre Rechenabteilung weitergeleitet werden. Doch die entscheidenden Größen lassen Sie mich kurz andeuten. Nennen wir die Zahl der ursprünglichen Überträger X, die Anzahl der Rettungsmannschaften Y, so wird sich eine unendlich große Menge gleichlaufender Lösungen ergeben. Die günstigste wird von den Einsatzzahlen abhängen. Wenn ich der genauen mathematischen Behandlung der Aufgabe vorgreife und meine Schätzungen auf meine unglücklicherweise nur allzuvertraute Kenntnis der Gewohnheiten dieser Parasiten gründe, möchte ich sagen ...«
Man hatte eine Stecknadel fallen hören können, wenn einer in dieser Schar splitternackter Menschen
derlei besessen hätte. Der General unterbrach mich einmal, als ich X ziemlich niedrig annahm. »Herr Nivens, ich denke, wir könnten Ihnen sicher jede Menge Freiwilliger für die Übertragung bereitstellen.«