Ich hatte das Wohnhaus, in dem ich mich befand, überprüft, rief noch einmal laut, um mich zu vergewissern, daß ich keinen Hilfsbedürftigen vergessen hatte, und trat auf die Straße hinaus. Sie war nahezu verlassen. Da die ganze Bevölkerung fieberkrank war, fanden wir nur wenige Leute im Freien. Die einzige Ausnahme bildete ein Mann, der mit stierem Blick auf mich zugetorkelt kam. »Heda!« brüllte ich ihn an.
Er blieb stehen. »Ich habe das Mittel bei mir, das Sie brauchen, um wieder gesund zu werden. Strecken Sie den Arm aus.«
Er versetzte mir einen leichten Schlag. Ich gab ihm einen sanften Klaps, und er fiel mit dem Gesicht nach unten hin. Quer über seinen Rücken lief der rote Hautausschlag, der von einem Schneckenwesen herrührte; ich suchte mir oberhalb seiner Niere eine einigermaßen saubere und heile Stelle aus, stach die Injektionsnadel ein, und nachdem sie im Fleisch steckte, knickte ich sie, um die Spitze abzubrechen. Die Ampullen waren mit Gas gefüllt, und ich brauchte weiter nichts mehr zu tun.
Da schrillte mein Funktelefon. »Mein Sohn! Kannst du mich hören?«
Ich griff nach meinem Gürtel und schaltete ein. »Ja, was ist los?«
»Ich befinde mich in dem kleinen Park nördlich von dir und brauche Hilfe. Eil dich, mein Sohn!«
»Bin schon unterwegs!« Ich sauste davon. Vaters Bezirk lag parallel zu dem meinen unmittelbar nördlich und hatte an der Vorderseite einen winzigen Vorstadtpark. Als ich die Häuserzeile umging, bemerkte ich Vater zuerst nicht und lief an ihm vorbei.
»Hier, Sohn, hier drüben beim Wagen!« Diesmal konnte ich ihn über das Telefon und mit bloßem Ohr hören. Ich machte mit Schwung kehrt und entdeckte den Wagen, ein mächtiges Cadillac-Flugauto. Drinnen saß jemand, aber es war so dunkel, daß ich die Person nicht ausmachen konnte. Vorsichtig näherte ich mich, bis ich die Stimme hörte. »Gott sei Dank! Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr kommen.« Da wußte ich, daß es Vater war.
Ich mußte mich ducken, um durch die Tür hineinzukommen. Und im gleichen Augenblick hatte er mich schon geschnappt.
Als ich zu mir kam, merkte ich, daß ich an Hand-und Fußgelenken gefesselt war. Ich saß auf dem zweiten Fahrersitz des Wagens, der alte Herr befand sich auf dem anderen und bediente die Schalthebel. Das Steuer auf meiner Seite war ausgeklinkt und lag außer meiner Reichweite. Die Erkenntnis, daß unser Fahrzeug in der Luft schwebte, machte mich vollends munter.
Vater wandte sich um und sagte fröhlich: »Geht es dir besser?« Ich konnte seinen Parasiten hoch oben auf seiner rechten Schulter hocken sehen.
»Ein wenig«, gab ich zu.
»Leider mußte ich dir einen Hieb versetzen«, fuhr er fort. »Aber es ging nicht anders.«
»Vermutlich.«
»Im Augenblick muß ich dich noch gefesselt lassen. Später können wir bequemere Maßnahmen treffen.« Er zeigte sein boshaftes altes Grinsen.
»Wohin fahren wir?« fragte ich.
»Nach Süden.« Er fingerte an den Hebeln herum. »Weit nach Süden. Laß mir eine Minute Zeit, diesen
Blechhaufen hier einzustellen, dann werde ich dir erklären, was wir vorhaben.« Er war ein paar Sekunden emsig beschäftigt, dann sagte er: »So, nun werden wir den Kurs halten, bis die Maschine auf neuntausend Metern steht.«
Die Erwähnung dieser gewaltigen Höhe ließ mich auf das Armaturenbrett gucken. Das Flugauto sah nicht nur wie eines unserer Fahrzeuge aus, es war tatsächlich eine Sonderanfertigung. »Woher hast du diesen Wagen?« fragte ich.
»Die Abteilung hatte ihn in der Stadt Jefferson versteckt. Ich sah nach, und tatsächlich hatte ihn niemand entdeckt. Fein, nicht wahr? Aber das war nicht das beste daran«, fuhr er fort. »Ich hatte das Glück, von dem einzigen Parasiten erwischt zu werden, der in der ganzen Stadt Jefferson noch gesund war. So gewinnen wir schließlich doch noch.« Er kicherte. »Die Angelegenheit kommt mir wie ein schwieriges Schachspiel vor, bei dem ich auf beiden Seiten meine Züge mache.«
»Du hast mir noch nicht erzählt, wohin wir fahren«, drängte ich.
Er überlegte. »Sicher aus den Vereinigten Staaten hinaus. Mein Gebieter ist vielleicht der einzige, der auf dem ganzen Kontinent frei von Neuntagefieber ist, und ich darf nichts leichtsinnig aufs Spiel setzen. Ich glaube, daß die Halbinsel Yucatan gerade recht für uns wäre. Auf diese Richtung habe ich die Maschine eingestellt.
Dort können wir uns verkriechen, unsere Zahl vermehren und weiter nach Süden vordringen. Sobald wir zurückkehren - und das werden wir -, wollen wir nicht wieder die gleichen Fehler begehen.«
»Vater, kannst du mir diese Fesseln nicht abnehmen«, bat ich. »Mein Blutkreislauf wird abgeschnürt. Du weißt, daß du mir vertrauen kannst.«
»Gleich, gleich - alles zu seiner Zeit. Warte, bis wir vollautomatisch fliegen.«
»Du scheinst zu vergessen, daß ich lange Zeit unter den Gebietern gelebt habe. Ich weiß Bescheid und -ich gebe dir mein Ehrenwort.«
Er grinste. »Belehre deine Großmutter nicht, wie man Schafe stiehlt. Wenn ich dich jetzt freilasse, wirst du mich umbringen oder ich dich. Und ich möchte dich lebend um mich haben. Wir machen uns ein vergnügtes Dasein, mein Sohn. Wir sind flink und schlau.«
Da ich nichts erwiderte, fuhr er fort: »Übrigens -du behauptest, Bescheid zu wissen. Warum hast du mir nichts davon erzählt, mein Sohn?«
»Wovon redest du?«
»Du hast mir nicht verraten, mein Sohn, wie einem zumute ist. Ich hatte keine Ahnung, daß sich ein Mensch dabei so zufrieden und wohl fühlt. Dies ist der glücklichste Augenblick seit Jahren.«
Abscheu überwältigte mich plötzlich. Ich vergaß die Vorsicht, die ich bisher geübt hatte. »Vielleicht bin ich anderer Ansicht. Und du, du alter Narr, würdest genauso denken, wenn du nicht einen Parasiten auf dem Rücken hättest, der durch deinen Mund spricht und mit deinem Gehirn denkt!«
»Beruhige dich, mein Sohn«, sagte er liebevoll, und wahrhaftig besänftigte mich seine Stimme.
»Du brauchst nicht mehr lange zu warten«, meinte er plötzlich und warf einen Blick auf das Armaturenbrett. »Ich werde die Maschine auf Kurs festlegen.« Er berechnete maschinell den genauen Weg, überprüfte die Hebel und schaltete sie ein. »Nächste Haltestelle Yucatan. Nun ans Werk.«
Er stand von seinem Sitz auf und kniete sich auf den engen Raum neben mich. »Ich muß ganz sicher gehen«, sagte er und legte mir den Sitzgurt um die Mitte.
Ich hob das Knie und traf ihn ins Gesicht.
Er richtete sich auf und blickte mich ohne Groll an. »Ungezogen, sehr ungezogen. Ich könnte es übelnehmen, aber das ist nicht unsere Art. Jetzt sei schön brav.« Er setzte seine Arbeit fort und überprüfte meine Hand- und Fußgelenke.
Dann ging er zu seinem Führersitz zurück, stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie und beugte sich im Sitzen vor, so daß ich sein Schneckenwesen deutlich sehen konnte.
Einige Minuten lange ereignete sich nichts, ich vermochte auch an nichts anderes zu denken und zerrte nur an meinen Gurten. Dem Anschein nach schlief der Alte, aber ich verließ mich nicht darauf.
In der Mitte der hornigen braunen Körperhülle des Parasiten bildete sich eine senkrechte Linie nach abwärts.
Während ich sie beobachtete, verbreiterte sie sich zu einem Spalt. Kurz darauf konnte ich die scheußlich schillernde Masse sehen, die darunter lag. Der Raum zwischen den zwei Schalenhälften erweiterte sich, und - ich wurde mir bewußt, daß sich der Parasit teilte, daß er aus dem Körper meines Vaters Lebenskraft und Stoffe saugte, um sich zu verdoppeln.
Ebenso erkannte ich, von kaltem Grauen gepackt, daß mir höchstens noch fünf Minuten Eigenleben verblieben. Mein neuer Dämon wurde geboren und war in Bälde bereit, sich auf mich zu setzen.