Wären Muskeln und Knochen imstande gewesen, die Fesseln zu sprengen, dann hätte ich es fertiggebracht. Aber es gelang mir nicht. Der Alte beachtete mein wildes Strampeln nicht. Ich zweifelte, ob er bei Bewußtsein war.
Ich war so ermattet und so felsenfest überzeugt, daß für mich kein Entrinnen mehr möglich war, daß ich aufgab. Doch in diesem Augenblick konnte ich in der Mitte des Schneckenwesens die silberne Linie entdecken, die bedeutete, daß die Teilung bald vollzogen sein würde. Dieser Anblick brachte mich auf einen rettenden Gedanken.
Meine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, die Knöchel ebenso festgeschnürt, und um die Mitte war ich mit dem Sicherheitsgurt an den Sitz geschnallt. Aber von der Hüfte an abwärts waren meine Beine frei, wenn sie auch aneinandergekettet waren. Ich ließ mich hinuntergleiten, um mit mehr Schwung ausholen zu können, und warf die Beine in die Luft. Krachend ließ ich sie aufs Armaturenbrett hinuntersausen und - setzte damit alle Antriebsmotoren auf Höchstgeschwindigkeit. Insgesamt ergab das eine ungeheure Beschleunigung. Wie groß sie genau war, wußte ich nicht, denn mir war nicht bekannt, was das Fahrzeug leisten konnte. Aber es war allerhand, denn wir wurden beide auf den Sitz zurückgeschleudert. Vater härter als ich, da ich angeschnallt war. Er prallte gegen die Lehne, und der Parasit, offen und hilflos wie er war, wurde zwischen den zwei Massen zerquetscht.
Er platzte.
Vater wurde von furchtbaren Zuckungen erfaßt, bei denen jeder Muskel sich verkrampfte, wie ich es schon dreimal zuvor erlebt hatte. Mit verzerrtem Gesicht und gekrümmten Fingern wurde er mit der Brust gegen das Steuerrad geschleudert.
Das Fahrzeug raste in die Tiefe.
Der Höhenmesser tickte emsig weiter. Wir waren auf dreitausend Meter abgesunken, ehe ich Zeit fand, einen Blick darauf zu werfen. Dann ging es auf zweitausendsiebenhundert - zweitausendeinhundert -achtzehnhundert Meter, bis wir unter fünfzehnhundert trudelten.
Bei fünfhundert Metern setzte die Radarabwehr ein, und die Antriebsdüsen am Bug knatterten nur mehr abwechselnd. Jedesmal versetzte mir der Gurt dabei einen Hieb über den Magen. Ich dachte schon, wir seien gerettet, und das Flugzeug werde sich fangen.
Doch ich hätte eigentlich wissen müssen, daß dies unmöglich war. Denn Vater war zu heftig gegen das Steuer gestoßen.
Während ich noch überlegte, schlugen wir krachend auf.
Als ich wieder zu mir kam, verspürte ich gleichzeitig immer deutlicher eine leise schaukelnde Bewegung. Sie störte mich, und ich hätte gern gehabt, daß sie aufhörte. Selbst der geringste Ruck bereitete mir unerträgliche Schmerzen. Ein Auge brachte ich auf, das andere konnte ich überhaupt nicht öffnen. Betäubt blickte ich um mich, um die Ursache meines Mißgeschicks zu ergründen.
Über mir lag der Boden des Fahrzeugs, aber ich mußte ihn lange anstarren, ehe ich ihn wiedererkannte. Da dämmerte mir auch, wo ich mich befand und was geschehen war. Ich erinnerte mich an den Absturz, an die Bruchlandung und merkte, daß wir nicht auf dem Erdboden, sondern auf einer Wasserfläche aufgeschlagen waren.
Mein abgerissener Sitzgurt flatterte über mir. Vater lag nicht mehr gegen das Steuer gepreßt, und das war mir ein Rätsel. Mit großem Kraftaufwand und unter Qualen rollte ich meinen Kopf herum, damit ich mit dem heilen Auge die restlichen Teile des Flugautos überblicken konnte. Vater war nicht weit von mir, etwa einen Meter von meinem Kopf entfernt. Er war blutüberströmt und starr, und ich war überzeugt, daß er tot sei. Ich brauchte eine halbe Stunde, glaube ich, um den Weg bis zu ihm zu bewältigen.
Dann lag ich Gesicht an Gesicht mit ihm, und unsere Wangen berührten sich beinahe. Soweit ich feststellen konnte, schien keine Spur von Leben mehr in ihm, und nach der merkwürdig gekrümmten Stellung, in der er dort lag, hielt ich es auch kaum noch für möglich.
»Vater!« rief ich heiser. Dann schrie ich nochmals: »Vater!«
Seine Augenlider flatterten, aber er hob sie nicht. »Mein Sohn«, flüsterte er. »Ich danke dir, mein Junge. Ich danke dir ...« Seine Stimme erstarb.
Ich hätte ihn am liebsten gerüttelt, aber ich war nur fähig zu rufen: »Vater, wach auf! Was fehlt dir?«
Er sprach wiederum, als wäre ihm jedes Wort eine Qual. »Deine Mutter läßt dir sagen, daß sie stolz auf dich ...« Erneut versagte ihm die Stimme, er atmete mühsam und röchelte beängstigend.
»Vater, du darfst nicht sterben«, schluchzte ich. »Ohne dich kann ich nicht weiterleben.«
Er öffnete die Augen weit. »Doch, mein Sohn, das kannst du.« Er machte eine Pause und rang nach Luft, ehe er hervorstieß: »Ich bin verletzt, mein Kind.« Die Augen fielen ihm zu.
Mehr konnte ich nicht aus ihm herausbringen, obwohl ich nun aus vollem Halse brüllte. Dann lehnte ich mein Gesicht an das seine, und meine Tränen vermischten sich mit Schmutz und Blut.
35
Und jetzt werden wir auch den Saturnmond Titan säubern! Alle, die daran teilnehmen, schreiben diesen Bericht. Sollten wir nicht wiederkommen, ist dies unser Vermächtnis, das wir den freien Menschen hinterlassen. Er enthält alles, was wir über die Parasiten wissen: wie sie vorgehen und wie man sich gegen sie schützen muß. Trotz des Erfolges der >barmherzigen Samariter< sind wir keineswegs sicher, daß wir alle Schmarotzer ausgerottet haben. Vor einer Woche erst wurde am Yukon oben ein Bär erschossen, der einen Höcker trug.
Das Menschengeschlecht wird immer auf der Hut sein müssen, ganz besonders in etwa fünfundzwanzig Jahren, falls wir nicht zurückkehren, und wieder fliegende Untertassen landen. Warum die Ungeheuer vom Titan sich an den Umlauf des >Saturnjahres< von neunundzwanzig Jahren halten, wissen wir nicht, aber es ist so. Vielleicht haben sie einen einfachen Grund dafür; auch bei uns richtet sich vieles nach dem Kreislauf des Erdenjahres. Wir hoffen auch, daß sie innerhalb ihres >Jahres< nur in einem bestimmten Zeitraum tatendurstig sind. Wenn das stimmt, werden wir bei unserem Feldzug vielleicht leichtes Spiel mit ihnen haben. Rechnen können wir allerdings nicht damit. Ich fahre als
>Fachmann für angewandte Psychologie exotischer Ge-schöpfe< mit, so merkwürdig das klingt, aber ich gehöre, wie jeder von uns, auch der kämpfenden Truppe an. Dies gilt für den Ernstfall, und wir sind entschlossen, diesen Parasiten zu zeigen, daß sie den Fehler begingen, sich mit den zähesten, hinterhältigsten, gefährlichsten, unbarmherzigsten - und fähigsten Lebewesen in diesem Winkel des Weltraums auf eine Auseinandersetzung einzulassen.
Ich für meine Person hoffe, daß es uns möglich sein wird, die kleinen Kobolde, die Androgynen, zu befreien. Denn mit ihnen, glaube ich, könnten wir uns verständigen.
Gleichgültig, ob wir es schaffen oder nicht, das Menschengeschlecht muß seinen sauer verdienten Ruf, sich niemals geschlagen zu geben, aufrechterhalten. Der Preis für die Freiheit ist die Bereitschaft, sich unverzüglich, überall, jederzeit und rücksichtslos zum Kampf zu stellen.
Wir glaubten, der Weltraum sei unbewohnt, und hielten uns für die Herren der Schöpfung. Selbst als wir ins All hinauszogen, meinten wir das noch; denn auf dem Mars war bereits das Leben ausgestorben, und die Venus steckte noch in den Uranfängen. Nun, wenn der Mensch die erste Geige spielen oder auch nur als geschätzter Nachbar gelten will, müssen wir dafür kämpfen.
Alle, die mit uns fahren, waren mindestens einmal von einem Parasiten befallen. Nur wer besessen war, kann begreifen, wie heimtückisch diese Mollusken sind, wie sehr man dauernd auf der Hut sein muß und - wie tief man sie hassen mußt. Die Fahrt wird etwa zwölf Jahre dauern, wie man mir sagte, so daß Mary und ich Zeit haben werden, unsere Flitterwochen zu beenden. O ja, Mary kommt mit. Die meisten von uns sind verheiratete Paare, und die Junggesellen halten den alleinstehenden Frauen die Waage. Zwölf Jahre unterwegs zu sein, das ist keine Reise, das ist eine besondere Daseinsform.