Und so warteten wir. Was blieb uns anderes übrig? Ich zählte ungefähr dreißig Reiter und fragte mich, wie viele noch hinter dem Kamm verborgen sein mochten.
Im Tal angelangt, fächerten sie aus und machten Halt, blickten argwöhnisch zu uns herüber und berieten sich. Einer zeigte auf das Eichentor in der Mauer, worauf der Mann neben ihm nickte. Das Tor stand offen, seit wir Aquinus auf seinem letzten Weg hierhergeleitet hatten. Ein paar Augenblicke lang wirkten die Reiter ratlos, und ich wusste, dass nun der rechte Moment gewesen wäre, um anzugreifen, hätte ich eine Schar Bewaffneter bei mir gehabt. Doch die Reiter begriffen schnell, dass wir wehrlos und ihnen hier im Freien ausgeliefert waren.
Sie teilten sich auf. Einige schlugen die Richtung zum Haus ein. Die Übrigen – an die zwanzig Mann, angeführt von dem schäbigen Reiter, der sich so schlecht im Sattel hielt – ritten den Weg hinauf zu der Familiengruft, wo wir bei brennenden Fackeln um den Altar standen. Ich spähte angestrengt, um ihre Absichten von den Gesichtern abzulesen, und war auf Gewalttätigkeiten gefasst. Dann regte sich eine Erinnerung. Im Zwielicht der Dämmerung beschirmte ich die Augen gegen den Fackelschein und nahm den heruntergekommenen Reiter genauer in den Blick.
»Was denkst du?«, fragte Marcellus.
»Der Schäbige, der wie ein Sklave reitet … ich kenne ihn.«
Der Mann hatte sich die Kapuze über den Kopf gestreift, doch als er auf dem Weg eine Kehre nahm, fiel der Fackelschein auf sein Gesicht. Natürlich sah er älter aus als damals, doch der Schmerz aus der Kindheit war mir im Gedächtnis haften geblieben. Dieses hinterhältige, selbstgerechte Gesicht konnte ich nicht vergessen.
»Es ist der Handlanger des Bischofs«, sagte ich, »Faustus, der Diakon. Ganz sicher.«
Marcellus’ Gesicht wurde finster, doch uns blieb keine Zeit mehr, auch nur ein Wort zu wechseln. Die Reiter umringten uns, saßen ab und zogen ihre Schwerter. Als sich der Diakon sicher glaubte, stieg er ebenfalls vom Pferd.
»Was willst du, Faustus?«, rief ich.
Er musterte mich mit schmalen Augen, und sein verschlagenes Gesicht nahm einen Ausdruck spöttischen Erstaunens an. »Du bist also auch hier, Drusus, Sohn des Appius! Aber wie auch nicht? Da erwischen wir zwei Täubchen in derselben Falle, wie die Jäger sagen.« Er nickte den Bewaffneten zu und sagte: »Der Sohn des Verräters. Der Vater wurde hingerichtet.« Dann wandte er sich ab und nahm mit großem Gehabe die Umgebung in Augenschein, musterte mit hochgezogenen Brauen den Altar und die Gerätschaften, die offenen Türen der Familiengruft und die Fackeln in den Wandhaltern zu beiden Seiten.
»Was ist das?«, fragte er und zeigte mit dem Finger auf die lodernden Flammen. »Eine Totenbeschwörung? Ruft ihr Geister herbei? Darauf steht die Todesstrafe.«
»Das ist ein Begräbnis, Dummkopf«, sagte Marcellus. Und seine Mutter fragte streng: »Wer ist dieser vulgäre Flegel?«
»Ein Werkzeug des Bischofs«, antwortete ich. »Er heißt Faustus.«
»Das hier ist eine Familienangelegenheit. Dieser Mann stört. Sag ihm, er soll sich entfernen – und seine Leute mit ihm.«
»Das wird nicht möglich sein, edle Frau«, widersprach Faustus, griff in seinen Mantel und brachte schwungvoll ein verknittertes Pergament zum Vorschein. »Ich habe einen Haftbefehl und werde deinen Sohn und seinen Freund mitnehmen. Und nun tritt bitte beiseite. Diese Sache geht nur Männer etwas an.«
»Was für ein Haftbefehl?«, rief Marcellus und trat auf ihn zu. Einer der Soldaten hielt drohend das Schwert dazwischen. »Dazu ist der Bischof gar nicht befugt. Kommt ihr deshalb hierher wie Diebe in der Nacht?«
Faustus bedachte ihn mit einem falschen Lächeln; dann schniefte er, fuhr sich mit den Fingern unter der feuchten Nase entlang und wischte sie am Mantel ab.
»Wer redet vom Bischof?«, erwiderte er voller Genugtuung. »Das ist ein kaiserlicher Haftbefehl, ausgestellt von Paulus, dem Notar.«
»Das glaube ich nicht. Der Kaiser hat Paulus seines Amtes enthoben.«
»Die Notwendigkeit hat ihn ins Amt zurückbefördert. Hast du nicht davon gehört? Nun, dann bin ich der Erste, der es dir sagt. Seine kaiserliche Ewigkeit hat Paulus wiedereingesetzt, damit er sich um die Aufrührer und Verräter in Gallien kümmert. Der Kaiser weiß, wer in diesen widrigen Zeiten seine Freunde sind, und keiner ist ihm treuer ergeben als Paulus. Und der Bischof, versteht sich. Und ich«, fügte er hinzu und tippte sich an die Brust. »Du siehst also, deine Hoffnungen waren übertrieben. Der Notar wartet in Trier – sieh selbst, das ist sein Siegel.«
Marcellus nahm das Schreiben aus Faustus’ ausgestreckter Hand und las es im Fackelschein; dann reichte er es an mich weiter.
»Es ist besser, ihr gehorcht«, sagte der Diakon. »Wir wollen die Herrin des Hauses doch keinen Unannehmlichkeiten aussetzen, nicht wahr? Noch dazu in diesen schwierigen Zeiten, wo niemand sie beschützen kann. Und wenn ihr unschuldig seid, habt ihr nichts zu befürchten.«
»Für den Notar ist niemand unschuldig. Das weiß jeder. Dieser Mann ist ein Mörder.«
Faustus zuckte bloß die Achseln.
»Vermutlich steckt dein Herr dahinter«, sagte ich zu ihm.
»Bischof Pulcher ist ein Mann, der seinen Freunden hilft«, entgegnete Faustus. »Es wäre besser für euch gewesen, ihr hättet dies beizeiten bedacht … Ach ja, beinahe hätte ich’s vergessen. Wo ist Aquinus? Er wird ebenfalls vorgeladen. Ihn will der Notar am dringendsten haben.«
»Da kommst du zu spät«, sagte Marcellus.
»Zu spät? Muss ich dich erst daran erinnern …« Er stockte, als er begriff. Neugierig reckte er den Hals und spähte zu dem weißen Aschebett. »Oh.« Unbehaglich trat er von einem Bein aufs andere und blickte sich um wie ein Mann, dem mit einem Mal bewusst wird, dass er Opfer einer arglistigen Täuschung geworden ist. Mit erhobenem Kopf fuhr er fort: »Das wird dem Notar gar nicht gefallen. Aber daran lässt sich wohl nichts ändern.« Er kratzte sich am Ohr. Dann kehrte sein Selbstvertrauen zurück, und hämisch fuhr er fort: »Ich weiß gar nicht, warum ihr euch wegen der Leiche eines Heiden so viel Mühe macht. Ihr hättet ihn auf den Misthaufen werfen sollen wie einen Hund.«
Seine Begleiter blickten beschämt drein. Ich wandte mich an den, der mich fesselte, aber der Mann murmelte nur, er täte seine Pflicht, und mied meinen Blick.
Ich spürte das Unbehagen der Reiter. Sie wollten nicht bis zum Morgen warten; deshalb brachen wir auf, als ihre Kameraden vom Haus zurückkehrten, und ritten beim Schein der Sterne und des viertelvollen Mondes auf wenig benutzten Wegen.
Alle schwiegen. Nur Faustus plapperte spottend und schadenfroh in seinem leiernden Tonfall. Irgendwann, nachdem er sich lange genug ignoriert sah, verfiel er in Schweigen und verlegte seine Aufmerksamkeit auf sein Pferd, das mittlerweile störrisch geworden war, weil sein Reiter nicht stillsaß und ständig an den Zügeln zerrte.
Wir ritten nach Süden. Als die Lichter einer Ansiedlung in Sicht kamen, verließen wir den Weg, um das Dorf zu umgehen. Wir begegneten niemandem. Im ersten Morgengrauen gelangten wir zu einem verlassenen Weiler an einer schlammigen Gezeitenbucht. Dort befand sich ein alter, halb verfallener Anleger, an dem ein seetüchtiger Kutter festgemacht hatte. Wir stiegen vom Pferd. Faustus’ Humor, soweit vorhanden, hatte sich während der langen kalten Nacht verflüchtigt, und so sagte er ohne jede Verstellung: »Endlich werden wir euch los.« Nach kurzem Innehalten fügte er mit lauter, theatralischer Stimme hinzu: »Wenn dich dein Auge stört, reiß es aus.« Es hörte sich an, als hätte er es vom Bischof aufgeschnappt oder in einem seiner frommen Bücher gelesen. Selbstzufrieden schnippte er mit den Fingern, und unsere Bewacher brachten uns zu dem Schiff.