Er war bekleidet mit einer knöchellangen Tunika in Purpurrot und Taubenblau mit bestickten Säumen und einem Gürtel aus gewebtem Gold. Ein süßer Apfelduft haftete ihm an. »Nein, nein, behaltet bitte Platz!«, rief er, als wir uns erheben wollten, und ließ sich auf der Liege gegenüber nieder. »Ich musste mich unerwartet um ein Amtsgeschäft kümmern. Der neue Präfekt ist soeben eingetroffen, viel früher als erwartet.«
Der Mann sprach ein präzises Latein, allerdings mit einem Hauch griechischer Sprachmelodik. Er strich sich die Kleider glatt und schob seinen gewaltigen Leib auf der Liege zurecht. »Ihr hattet eine beschwerliche Reise, nehme ich an; deshalb soll euer Wohlempfinden durch nichts mehr gestört werden.« Lächelnd drehte er sich zu einem dunkelhäutigen, erlesen gekleideten Knaben um, der mit ihm hereingekommen war und sich im Hintergrund gehalten hatte. »Wir werden nun unseren Wein trinken, Agatho. Und wenn unsere Gäste nichts dagegen haben, kannst du dem Koch Bescheid geben, dass wir jetzt so weit sind.«
Während Marcellus und ich auf den Diener gewartet hatten, waren wir überein gekommen, in dieser Nacht die Flucht zu versuchen. Die unverriegelte Tür hielten wir für eine dumme Nachlässigkeit, oder man hatte uns im Durcheinander unseres Eintreffens schlicht mit jemandem verwechselt. Was auch der Grund sein mochte – wir wollten uns aus dem Staub machen, bevor der Irrtum entdeckt wurde.
Doch dieser Eutherius schien uns erwartet zu haben. Und nachdem der Wein eingeschenkt und von dem hübschen Knaben herumgereicht wurde, wandte Eutherius mir seine klugen dunklen Augen zu und sagte: »Wie ich höre, junger Mann, hattest du einen Zusammenstoß mit unserem Freund, dem Notar.«
Ich schluckte. Der Wein war süß und schwer; ein Wein, wie mein Onkel ihn für seine reichen Kunden aus den Rheingegenden importieren ließ, doch nun kam er mir plötzlich bitter vor. Wie töricht, dass ich mir Hoffnungen gemacht hatte. Ich hätte mir denken müssen, dass der Notar nicht mit einem raschen Tod zufrieden war. Er würde mir das Messer im Leib umdrehen wollen; schließlich hatte er das langsame, qualvolle Sterben anderer zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Die Folter war seine Kunst.
Ich stellte meinen vergoldeten Pokal ab. »Dann weißt du es also …«, begann ich bedächtig, als unvermittelt die Türen aufflogen und eine Gruppe livrierter Diener mit Platten voller Speisen hereinkam, die sie zuerst Eutherius zur Begutachtung und dann vor uns hinstellten: Pilze in Honig, Hühnchenragout, Meeräsche mit Mandeln und roten Beeren, glasiertes Schwein am Spieß und andere Delikatessen in kleinen abgedeckten Töpfen.
»Ausgezeichnet! Wundervoll!«, rief Eutherius beim Anblick der silbernen Platten überschwänglich aus. Doch Marcellus räusperte sich. Allmählich war ihm die Anspannung anzusehen. »Verzeih, Eutherius, sind wir nicht als Gefangene hier? Du aber behandelst uns wie Ehrengäste.«
»Das seid ihr auch«, antwortete er.
Marcellus blickte ihm abwartend ins Gesicht. Nach den Strapazen der Reise war er mit seiner Geduld am Ende. Unser Gastgeber schien dies zu bemerken. Seufzend stellte er den Teller, den er sich genommen hatte, wieder ab und sagte: »Ich sehe schon, ich werde wohl einiges erklären müssen, wenn ich unser Bankett nicht verderben möchte. Aber bitte, esst doch, während ich rede.«
Der Notar Paulus, erfuhren wir, war nicht der Einzige, der von Spionen Gebrauch zu machen verstand. Es sei eine traurige Erkenntnis, dass auch Spione und deren Auftraggeber bespitzelt würden – einschließlich des Notars. »So ist es nun mal. Spitzel werden bespitzelt und Bewacher überwacht.« Und nach dem Desaster, das Paulus in Britannien angerichtet hatte – und das, konstatierte Eutherius nickend, Marcellus und ich am eigenen Leib erfahren mussten –, habe Constantius befunden, dass Paulus seine Befehle in verbrecherischer Weise überschritten habe, worauf er ihn an den Hof zitiert hatte. »Der Kaiser«, fügte Eutherius mit nüchternem Blick hinzu, »hat klugerweise versichert, dass er für die Fehler seiner Untergebenen keine Verantwortung trägt.«
Er aß einen süßen Pilz; dann fuhr er fort: »Zufällig hielt ich mich gerade am Hof in Mailand auf, als Paulus eintraf. Er kam per Schiff mit allem Pomp und Gefolge und großtuerischer Dienerschaft – so gar nicht, was der göttliche Constantius sehen wollte, nachdem er die Nachricht von einer weiteren Rebellion erhalten hatte. Wirklich, es war ein höchst unüberlegter Zug vonseiten des Notars.« Er kräuselte die Lippen und betrachtete uns mit großen Unschuldsaugen. »Was euch betrifft, so ist uns bekannt, dass ihr verhaftet wurdet, doch wo, wussten wir in all der Verwirrung nicht. Dann brachten meine … äh, Kontaktmänner in Reims eine Nachricht. Ihr werdet bemerkt haben, dass eure scheußliche Reise danach ein wenig angenehmer wurde. Nun hört doch auf, so zu starren, und esst etwas. Ihr seid mager wie streunende Hunde.«
Wir taten wie geheißen, und als sich meine Aufgewühltheit legte, merkte ich erst, wie hungrig ich war.
Während wir aßen, redete Eutherius weiter. »Ganz unter uns, auch ich bin schon gelegentlich mit unserem geschätzten Notar aneinandergeraten. Er ist …« Er hob einen Finger und zog ein Gesicht, als hätte er Essig geschluckt. »Nun, vielleicht sollte ich nicht allzu offen über einen Mann von solchem Ruf sprechen. Sagen wir einfach, der Notar kann … streitlustig sein.«
Marcellus, der abwesend, beinahe mechanisch aß, beobachtete Eutherius aufmerksam wie ein Windhund. Agatho trat heran und füllte meinen Pokal nach. Ich trank ihn zügig aus.
»Wie immer man die Sache betrachtet«, fuhr Eutherius fort, »der Kaiser wurde schlecht beraten. Britannien befindet sich im Aufruhr, und Barbaren durchstreifen Gallien nach Lust und Laune. Darum hat er seinen jungen Vetter Julian zum Cäsar ernannt, und darum bin ich hier.« Er steckte sich eine Beere in den Mund und neigte den Kopf Marcellus zu. »Um auf deine Frage zurückzukommen – ihr seid keine Gefangenen. Ihr könnt die Zitadelle nach Belieben verlassen, sogar während dieses Mahls. Den Unglücklichen, die bei euch waren, wurde bereits die Heimreise angeboten. Ihr könnt mit ihnen gehen, wenn ihr es wünscht. Doch sobald ihr erkennt, dass alles wahr ist, was ich sage, werdet ihr möglicherweise in Erwägung ziehen, eine Weile zu bleiben. Julian wird diesen Winter hierherkommen. Ich möchte euch ihm gern vorstellen.«
ZWEITES KAPITEL
Am nächsten Tag verließen wir unser Zimmer zu einem Spaziergang durch die Zitadelle. Niemand trat uns in den Weg.
Wir waren im ältesten Teil des Gebäudes untergebracht, wo man auf die nackten Quadermauern sah. Woanders gab es neue Anbauten im römischen Sticlass="underline" hübsch getäfelte Räume mit Mosaikböden, Fresken und Pilastern, die um lauschige Gärten mit Pflaumenbäumen und Buchsbaumhecken angeordnet waren.
Wir schlenderten den Weg zurück und schlugen eine andere Richtung ein, die uns zu einem langen, hohen Saal mit gedrungenen Säulen und schweren, verblassten Wandteppichen führte. Es musste ein herrschaftlicher Raum sein, denn es gab ein Podest mit einem Stuhl mit hoher Lehne am Ende. Das trübe graue Licht des Winters fiel durch hohe, schmale Fenster, und in einer schmiedeeisernen Kohlenpfanne brannte knisternd ein Feuer.
Am anderen Ende befand sich eine gewaltige Flügeltür mit einer kleineren Tür darin. Wir gingen hindurch und gelangten auf einen Balkon, von dem eine Treppe hinunter auf einen gepflasterten Hof führte. An drei Seiten erhoben sich die nackten Mauern der Zitadelle; an der vierten stand ein Steintor, daneben war ein Wächter in kaiserlicher Uniform postiert.
Marcellus blickte stirnrunzelnd vom Balkon hinunter. »Dann lass uns einmal feststellen, ob wir wirklich frei sind.«
Wir gingen hinunter, überquerten den Hof und schlenderten auf das Tor zu. Die Blicke des Wächters folgten uns. Er nickte Marcellus zu und ließ uns ohne ein Wort passieren.