Als er fort war, dachte ich nach. Ich bereute nicht, was ich gesagt hatte. Aber ich hatte mich von meiner Wut überwältigen lassen, und ich hatte seine Verstellung aufgedeckt.
Es war zu spät, um in diesem Jahr noch über das Gebirge nach Thrakien zu marschieren. Julian ließ eine starke Garnison am Succi-Pass zurück und begab sich für den Winter nach Naïssus. Dort machte er sich daran, an die Städte des Reiches zu schreiben und sich für sein Vorgehen gegen Constantius zu rechtfertigen. Er gab sich große Mühe mit den Formulierungen, da er glaubte, die Städte würden ihn unterstützen, sobald sie die Wahrheit kannten. Weder Eutherius noch Oribasius waren überrascht, als keine oder nur ausweichende Antworten kamen. Der römische Senat schrieb sogar, Julian solle dem Mann, dem er so viel zu verdanken habe, mehr Respekt entgegenbringen.
»Und was meinen sie, wie viel Respekt ich dem Mörder meines Vaters entgegenbringen soll? Oder haben sie das vergessen?«, fragte Julian.
Eutherius verdrehte die Augen, blickte an die gewölbte, mit Lapislazuli verzierte Decke und sagte: »Ach, der Senat! Unter dem Deckmantel von Prinzipien liegt reiner Eigennutz. Sie glauben, sie könnten sich mit ihrem zahnlosen Biss bei Constantius einschmeicheln. Aber wenn Aquileia fällt, werden die Senatoren über ihre eigenen Füße stürzen wie eine Herde verschreckter Schafe, weil sie gar nicht hastig genug zu dir überlaufen können.«
»Solche Freunde nützen mir nichts! Wo ist ihre altberühmte Würde? Wo ist die Achtung vor ihrem Amt, die Achtung vor den bedeutenden Männern, in deren Fußstapfen sie laufen?«
»Vergangen, mein lieber Julian, alles vergangen. Angst und Speichelleckerei verändern die Menschen. Ihre Würde ist seit Langem dahin. Sie sind Kriecher, die den Boden küssen, auf dem der Kaiser wandelt.«
Doch eine Stadt sicherte ihre Unterstützung zu – sein geliebtes Athen, und das machte alles andere wett.
Den Winter über befasste er sich mit Regierungsgeschäften, die ihm stets am Herzen lagen.
Wie in Gallien hatte Constantius den Illyrern lastende Steuern auferlegt, die sie nicht zahlen konnten. Julian hob die Steuern auf, und diesmal gab es deswegen keine Auseinandersetzungen mit Bürokraten. Constantius und vor ihm Constantin hatten alle Macht an sich gezogen. Julians Absicht war es dagegen, den Städten ihre Freiheit zurückzugeben. Er wollte ihnen erlauben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und ihre Geldmittel zu beschaffen, wie sie es für richtig hielten. »Wie kann ein Mann stolz sein, wenn er nicht sein eigener Herr ist?«, sagte er immer wieder. »Und was für den Einzelnen gilt, gilt auch für Städte. Sie kennen ihre Bedürfnisse besser als die fernen Beamten des Hofes.«
Zur selben Zeit verkündete er Maßnahmen, die die Bürger ermutigen sollten, wieder den Stadträten beizutreten; er ordnete an, die Theater, Bibliotheken, Basiliken und Bäder wieder zu öffnen; er gab Mittel frei, um die verfallenden Aquädukte instand setzen zu lassen, die die Städte mit Wasser versorgten und erbaut worden waren, als die Menschen noch an die Idee Roms glaubten.
Der Winter schritt voran. In Naïssus wehte ein eisiger Wind von den Bergen durch das Flusstal, und wir froren in der vergoldeten Pracht von Constantius’ Palast. Die hohen, luftigen Räume waren gebaut, um in der Sommerhitze für Kühle zu sorgen, nicht um Kälte fernzuhalten.
Die Belagerung Aquileias zog sich hin. Irgendwie machte sich die Ansicht breit, Julian habe sich übernommen; er hätte die zwei Legionen Lucillians lieber umbringen sollen, als sie in den Westen zu schicken. Das waren törichte Gedanken, doch sie hielten sich so hartnäckig wie ein Winterfieber. Marcellus hörte sie zuerst von Rufus, den er so oft wie möglich mit Aufgaben betraute.
»Er redet, als wären wir schon besiegt«, sagte er, als er mir davon erzählte.
Ich zuckte die Achseln. »Spricht da Nevitta aus ihm oder er selbst?«
»Wie soll man das wissen? Ich nehme an, er hat es von Nevitta, wie das meiste.«
Nevitta konnte keine Ruhe geben. Den Winter über hielt er sich mit sinnlosen Dingen beschäftigt und warf seinen Untergebenen Trägheit vor, wenn sie nicht das Gleiche taten. Ob er es dabei meinetwegen besonders auf Marcellus abgesehen hatte, war mir nicht ganz klar. Jedenfalls schickte er ihn mit allen möglichen Aufträgen aus – ließ ihn im Hochland bei bitterer Kälte Übungen abhalten oder Kuriere mit Depeschen zum Succi-Pass oder nach Serdica eskortieren, das auf halber Strecke lag.
Als ich begriff, was Nevitta tat, erzählte ich Marcellus von dem Unheil verkündenden Gespräch im Stall. Ich hatte ihn nicht damit belasten wollen, doch da ich nun Nevittas kleinliche Bosheiten sah, schloss ich, dass ich die Ursache war.
»Ja«, sagte Marcellus stirnrunzelnd, »aber lass ihn so weitermachen und halte dich von ihm fern. Er stiftet nur Unruhe. Er mag sich wie ein König kleiden, aber unter seinem Pelz und dem Geschmeide steckt ein Krämergeist.«
Ich fragte ihn, wie er das meinte.
»Er kümmert sich nur um sich selbst, dabei kennt er sich nicht einmal genügend, um zu wissen, was für ihn gut wäre. Ich fürchte, am Ende strebt er nur nach Macht und Reichtum. Alles andere, was Julian etwas bedeutet, wie Weisheitsliebe, ein harmonischer Geist oder die Kunst des Regierens, geht über seinen Verstand. Nun, du hast gesehen, wie er weghört, sobald Julian von solchen Dingen spricht. Im Grunde ist er ein Plünderer. Er hat kein Verständnis für die Tugenden eines Staatsmannes.«
Dann, an einem kalten, windigen Morgen, kam Rufus zu meinem Erstaunen in mein Arbeitszimmer – einen hallenden, lächerlich großen Raum mit Malachitsäulen und vergoldeten Kapitellen, in den leicht hundert Mann gepasst hätten.
Ich sprach gerade mit einem jungen Offizier namens Ambrosius, um alles für eine Lieferung Wintervorräte an die Garnison am Succi-Pass zu veranlassen. Ich war mit Marcellus zu einem Ausritt verabredet. Er hatte sich endlich ein paar Tage Urlaub gesichert, und wir wollten zusammen zum Pass hinauf.
Rufus wartete unruhig neben der Flügeltür, bis ich mit Ambrosius fertig war. Ich rief ihn herein und fragte, wie es ihm gehe.
»Ich habe mich gefragt, wer den Versorgungszug zum Succi hinaufbringt«, sagte er und blickte dabei auf einen Korb mit Schriftrollen, der auf meinem Schreibpult stand.
»Marcellus und ich. Warum fragst du?«
»Ich habe Marcellus am Stall getroffen. Er muss mit einem Trupp in die Berge.«
»Weißt du das genau? Er hat nichts dergleichen erwähnt.«
»Ja, Drusus, es kam überraschend. Ein Befehl von Nevitta. Es ist etwas Dringendes. Er wird ein paar Tage fort sein. Er hat mich gebeten, es dir zu sagen.«
Ich zuckte die Achseln und verfluchte Nevitta im Stillen. »Gut«, sagte ich, »dann muss ich allein gehen.« Ich dankte ihm, dass er es mir ausgerichtet hatte.
Doch anstatt zu gehen, blieb er stehen und wirkte dabei steif und förmlich. Seit dem Morgen in den Thermen hatte er nicht mehr mit mir gesprochen.
Ich legte die Papiere beiseite. »Ist noch etwas?«, fragte ich und klang dabei wohl ziemlich kühl. Deshalb lächelte ich ihn an, um ihm sein Unbehagen zu nehmen.
»Ich habe mir überlegt, dass ich mitreiten könnte, da Marcellus nun nicht zur Verfügung steht«, sagte er und errötete leicht. »Nevitta erlaubt es, und ich habe nichts anderes zu tun.«
Ich schaute ihn überrascht an. »Ja … ja, gewiss. Aber bist du entsprechend vorbereitet? Wir reiten schon am Mittag.«
»Ja.«
»Also gut, abgemacht. Geh mit Ambrosius und kümmere dich um den Maultierzug.« Dann fügte ich hinzu: »Es freut mich, dass du mitkommst.«
Er nickte ernst, drehte sich um und eilte davon.
Kurze Zeit später ritten wir unter grauem Himmel durch das Flusstal und in die Vorberge des Haemus.
Rufus war höflich, wenn er mit mir sprach, ansonsten aber sehr still. Ich überließ ihn seinen Gedanken. Seine Schimmelstute war lahm; deshalb ritt er einen kräftigen Falben wie die einfachen Soldaten, und das Tier war genauso mürrisch wie er.