Tagsüber redete ich mir ein, ich könne die Folter durchstehen, doch wenn es dunkel wurde, wusste ich, dass das Einbildung war. Selbst meine Bewacher behandelten mich mit respektvoller Furcht und wichen meinem Blick aus, als wäre ich ein schlechtes Omen, ein Vorbote finsterer Schrecken, den man besser von sich fernhielt.
Am nächsten Morgen ging es weiter über eine Zypressenallee zwischen Obstplantagen. Es war noch früh. Ein großer Mond stand tief am wolkenlosen Morgenhimmel. Ich saß gegen die Gitterstäbe meines Wagens gelehnt und dachte an Julian, der einmal gesagt hatte, dass die Himmelskörper ein Abbild der unsichtbaren Götter seien, das unseren Geist berühren kann. An diesem Morgen kam Ruhe über mich, und für eine kurze Weile hellte sich meine Stimmung auf trotz meiner elenden Lage, und ich wusste, dass die Welt des Notars eine Lüge war, trotz all seiner Macht, zu quälen und Schmerz und Tod zu bringen. Seine Welt war das abartige Bruchstück einer Idee, schrecklich und falsch.
Während dieser Gedanken hielt ich den Blick in die Umgebung gerichtet. Ein Stück entfernt kam ein alter Mann mit einem Maultierzug, der mit Körben und Amphoren beladen war, auf einem Seitenweg von den Hügeln herab. Er blieb stehen und betrachtete uns müßig, bis sein Blick an mir hängen blieb. Sein Gesicht war runzlig wie die Rinde einer alten Zeder, doch seine Augen waren voller Kraft und Leben; das spürte ich selbst aus der Entfernung. Unwillkürlich hob ich lächelnd die Hand. Er nickte mir ernst zu; dann blickte er in eine andere Richtung, streckte den Arm aus und zeigte auf irgendetwas.
Ich drehte mich um. Auf der Straße vor uns, aus Richtung Konstantinopel, näherte sich eine Abteilung Reiter auf edlen kappadokischen Pferden mit roten Satteldecken und glänzendem Zaumzeug. Die Männer trugen Uniform, doch der Mann an der Spitze des Zuges war gekleidet wie der Notar, ganz in Schwarz.
Er gab uns ein Zeichen, anzuhalten, und fragte nach Paulus. Der streckte den Kopf aus dem Wagen; dann zogen sich beide Notare ins Innere zurück. Ich konnte nicht verstehen, was sie besprachen, doch einmal drangen erregte Worte aus dem Wagenfenster, und ich hörte Paulus schreien: »Was! Muss das jetzt sein?«
Schließlich stiegen beide mit verkniffenem Gesicht aus dem Wagen. Der Besucher ließ den Blick über meine berittenen Bewacher schweifen bis zu dem Wagen, in dem ich saß. »Ich werde den Gefangenen mitnehmen«, sagte er. Doch Paulus fuhr ihn schroff an: »Nein, er bleibt bei mir.«
Ob der andere Notar ihm untergeordnet war, ließ sich nicht erkennen, doch er war sichtlich eingeschüchtert oder fürchtete Paulus gar.
»Wie du wünschst«, sagte der fremde Notar nach kurzem Stocken.
Meine Bewacher öffneten das große Vorhängeschloss des Käfigs und befahlen mir, herauszukommen, ignorierten mich aber, als ich fragte, was los sei. Nur der, der mir am Abend das Essen gebracht hatte, raunte hinter mir: »Der Notar muss sofort nach Asien reisen, zum Kaiser.«
»Und ich?«
Er zuckte die Achseln. »Du gehst mit ihm.«
Danach wurde ich gefesselt, aber ein wenig lockerer, denn von nun an sollte ich reiten, da der Käfigwagen zu langsam war.
Wir nahmen die Straße nach Süden und folgten weiter dem Hebrus. Bei allem spürte man die Dringlichkeit, aber auch noch etwas anderes, das mir nicht recht deutlich wurde – Angst vielleicht oder eine Vorahnung, das Gefühl, dass etwas Folgenschweres hinter dem Horizont wartete, von dem nur die beiden Notare wussten. Paulus jedenfalls war nachdenklich und ungeduldig, und ich war fast vergessen, obwohl er von der Spitze des Zuges oft Anweisung gab, meine Fesseln zu prüfen und dass zwei Männer mich in die Mitte nehmen sollten, um mich zu bewachen.
Schließlich erreichten wir die Mündung des Hebrus und das Meer. Dort wartete ein schnelles Schiff auf uns. Während unserer hastigen Einschiffung konnte ich einige Gespräche belauschen und erfuhr, wohin es gehen sollte: nach Tarsus, wo der Kaiser auf seinem Weg von Antiochia nach Konstantinopel eine Rast einlegte. Doch warum der Notar so dringend gebraucht wurde, erfuhr ich nicht. Dem Kapitän wurde höchste Eile befohlen, und drei Tage lang fuhren wir nach Südosten an den Inseln vor der bewaldeten Küste Kleinasiens vorbei.
Als Knidos hinter uns lag, wo wir die dritte Nacht verbracht hatten, drehte der Wind, und durch das kleine vergitterte Fenster meiner Zelle im Frachtraum sah ich lange Finger dunkelgrauer Wolken von Süden ausgreifen. Bald begann das Schiff zu schlingern, und ich hörte die Rudersklaven rufen, dass das Wasser durch die Pforten drang. Doch die Geschwindigkeit wurde nicht verringert.
Bald hörte ich Schritte auf der Leiter, und der Kapitän erschien auf den Stufen. Kurz blieb er stehen, um mich neugierig zu mustern; dann kam er und schaute durch die Gitterstäbe meiner Zelle.
Als man mich an Bord gebracht hatte, war er mir gleich aufgefallen. Er war ein rauer, erfahrener Seemann, wie ich sie als Knabe oft gesehen hatte, wenn ich mit meinem Onkel in London in den Hafen gegangen war, ein Mann, der sein Geschäft verstand und nur sprach, wenn es nötig war. Ich hatte gleich bemerkt, dass er das herrische Auftreten des Notars nicht mochte.
Nun sagte er: »Der Notar meint, du bist gefährlich. Stimmt das?«
»Nur für meine Feinde«, antwortete ich.
Nach einem weiteren abschätzenden Blick fragte er, was ich getan hätte, um den Kaiser zu verärgern. Als ich es erzählte, sagte er: »Es heißt, dass Julian die alten Götter verehrt, obwohl er zum Christen erzogen wurde.«
»Das ist wahr. Die Götter sind zeitlos. Kein kaiserliches Edikt kann sie aus der Welt schaffen.«
Ich erntete einen Blick, der seine Zustimmung ausdrückte. Er hatte Respekt vor den Göttern, wie alle Seeleute. Er hatte genug erlebt, um zu wissen, dass der Mensch die Natur nicht zähmen kann wie ein Pferd mit der Peitsche.
Da er sich nicht abgewandt hatte, fragte ich: »Werden wir in einen Sturm geraten?«
»Möglich – in dieser Gegend kommen Stürme wie aus dem Nichts.« Er schien kurz zu überlegen; dann schloss er meine Zelle auf. »Am besten, du kommst an Deck, mein Freund. Dort bist du sicherer.«
Der Notar stand auf der anderen Seite an der Reling und schaute zornig über die aufgewühlte, bleigraue See. Als er mich bemerkte, schnauzte er: »Warum ist der Gefangene an Deck?«
»Sicherheitshalber«, antwortete der Kapitän mit einem Hauch von Trotz. »Du hast gesagt, er ist wichtig.«
In diesem Moment schlingerte das Schiff. Die Riemen kamen aus dem Wasser, und vom Ruderdeck hörte ich die Männer schreien und fluchen. Der letzte Sonnenstreifen verschwand hinter grauen Wolken. Das Schiff fuhr langsamer.
»Sag ihnen, sie sollen schneller rudern«, verlangte der Notar.
»Ob schnell oder langsam, durch Luft kann man nicht rudern. Ich weiß nicht, wo deine Fähigkeiten liegen, ich jedenfalls verstehe mich auf Seefahrt, und ich sage dir, dass wir bei diesem Seegang den Kurs ändern müssen, sonst sinken wir. Wir werden in Rhodos einlaufen und warten, bis der Sturm sich verzogen hat.«
Der Notar bedachte den Kapitän mit einem kalten, drohenden Blick, da ihm dessen Tonfall nicht passte. Als das Schiff sich auf die Seite legte, musste er sich an der Reling festhalten.
»Also gut. Dann tue, was nötig ist.« Und damit wandte er sich ab.
Obwohl er sich sehr beherrschte, konnte Paulus seine Angst nicht ganz verbergen. Beinahe hätte ich gelacht. Fürchtete er doch den Tod, dieser Mann, der ein grausames Ende zahlloser Menschen herbeigeführt hatte?
Beim letzten Streifen Abendrot liefen wir in den Hafen von Rhodos ein. Ich wurde an Land gebracht und in einen kleinen Wehrturm hinter der Werft gesperrt. Vom Notar sah ich nichts. Im Laufe des Abends kam einer der Matrosen mit einer Schale Fischsuppe und einem halben Brotlaib zu mir. Er war freundlich, darum dankte ich ihm und sagte: »Du könntest glatt vergessen, hinter dir abzuschließen.«