Doch er schüttelte den Kopf und erklärte, dass ringsumher Wachen postiert seien. »Hier wird niemandem getraut«, sagte er. »Iss deine Suppe.«
Der Sturm hielt drei Tage an. In meiner Zelle hörte ich die Brecher an die Hafenmauer krachen. Als wir wieder ausliefen, war der Notar spürbar ungeduldig. Schließlich aber gelangten wir an einem bewölkten Nachmittag in den Hafen von Tarsus mit seiner breiten Arkadenfront, den Steinwerften, Hellingen und Lagerhäusern.
Kaum hatten wir angelegt, eilte der Notar von Bord, und ich stand eine Zeit lang bewacht auf dem Kai. Der Kaiser war offenbar weitergezogen, nach Norden zur Kilikischen Pforte, dem Pass durch das Taurusgebirge, hinter dem das anatolische Hochland liegt.
Unsere Weiterreise verzögerte sich, da Männer durch die ganze Stadt geschickt werden mussten, um Transportmittel zu beschaffen. »Was ist das?«, rief der Notar, als sie mit drei abgezehrten Maultieren zurückkamen. »Muss ich mich denn um alles selber kümmern?«
Doch das riesige Gefolge des Kaisers hatte bereits sämtliche verfügbaren Pferde und Wagen mitgenommen. Und selbst diese elenden Maultiere hatten so viel gekostet wie gute Reitpferde.
Wir machten uns nach Norden auf den Weg und folgten der Straße am Kydnus. Der Notar saß auf einem der Maultiere; die zwei anderen trugen sein Gepäck, das aus Ledersäcken und verschnürten Kisten bestand. Wir anderen stapften hinter ihm her. Ich war an den Handgelenken an einen meiner Bewacher gefesselt.
Hinter den Feldern und Plantagen der Küstenebene erhob sich das Taurusgebirge in graugrünen Falten bis zu den schneebedeckten Gipfeln. Unterhalb, auf einem der fernen Vorberge rings um ein Dorf, breitete sich ein gigantischer Flickenteppich aus Zelten und Wagen aus – das kaiserliche Heerlager.
Bis wir uns ein gutes Stück genähert hatten, war es dunkel geworden. Im Lager wurden die Fackeln angezündet und loderten unter dem dunkelblauen Abendhimmel.
Wir zogen durch die Rauchschwaden tausender Kochfeuer, an Viehpferchen, Pferdekoppeln und Wagen vorbei, die mit sämtlichen Gütern des Krieges beladen waren. Überall standen Zelte; Reihe um Reihe breiteten sie sich nach allen Richtungen aus, bis das Land abfiel und sich dem Blick entzog. Es stank nach Menschenmassen, nach Kot und gebratenem Fleisch. Männer riefen einander zu, Hunde bellten, und irgendwo zwischen den Zelten spielte jemand eine langsame, klagende Weise auf einer Flöte, nicht melodisch, aber gefühlvoll.
Der Notar wirkte beunruhigt und nachdenklich. Ich hoffte, er würde mich in seiner Hast in einem der Zelte lassen oder draußen anketten, wo mir eine Flucht eher möglich zu sein schien. Doch er war nicht so sehr abgelenkt, dass er seinen Hass auf mich vergaß. Wir zogen weiter durch das Lager bis zu dem Dorf in der Mitte. Dort wurde ich in ein kleines Gebäude aus Bruchsteinen gebracht, das wie ein Brunnenhaus aussah.
Drinnen war ein Gitter in den Boden eingelassen, unter dem es stockdunkel war.
»Da rein!«, befahl mein Bewacher und zog das Gitter hoch, während ein anderer eine grobe Leiter hinabließ.
Mit zögernden Schritten stieg ich in das schwarze Loch. Die Männer zogen hinter mir die Leiter heraus, warfen das Gitter zu und gingen, während sie darüber redeten, was es zum Abendessen geben würde.
Ich spähte angestrengt ins Dunkel. Oben im Eingang brannte eine Fackel, sodass ein schwacher Schein durch das Gitter fiel, das sich eine Speerlänge über mir befand. Ich stand in einem Kellergewölbe, das wie eine Zisterne aussah. Irgendwo hörte ich Wasser tropfen. Die Luft war feucht und stank. Doch wenigstens stand kein Wasser auf dem Boden, wie ich zuerst befürchtet hatte.
Ich lauschte auf die verklingenden Schritte meiner Bewacher; dann hörte ich im Dunkeln jemanden rascheln und husten. Ich fuhr herum. Ich hatte geglaubt, allein zu sein.
»Dein Schicksal ist besiegelt«, sagte eine Männerstimme. »Du musst es annehmen.«
»Zeig dich!«, rief ich und versuchte, etwas zu erkennen.
Für kurze Zeit rührte sich nichts; dann kam eine ausgemergelte Gestalt herangeschlurft. Der Mann bewegte sich wie ein Greis, langsam und gebeugt. Doch als er den Kopf hob, sah ich, dass er gerade erst dreißig Jahre alt sein mochte.
»Es gibt kein Entkommen«, sagte er und deutete mit kraftloser Geste auf das Gitter.
»Wo sind wir hier?«
»Im Gefängnis.«
»Nein, ich meine, was war das hier vorher? Es sieht aus wie eine alte Zisterne.«
Er zuckte die Achseln. »Was spielt das für eine Rolle? Gott hat mich hierhergeführt, damit ich meinen Irrtum einsehe. Ich warte auf seine Gnade.«
Er bewegte die Finger, und ich sah in seiner Hand ein kleines bronzenes Christussymbol, das er drückte und drehte.
»Tatsächlich?« Ich musterte ihn. Seine Kleidung war schmutzig und zerrissen, doch ich konnte die Rangstreifen eines Beamten erkennen. »Nun, ich ziehe es vor, woanders darauf zu warten. Wenn das hier eine alte Zisterne ist, könnte es einen Kanal oder einen Schacht geben. Komm, mein Freund, hilf mir beim Suchen.«
Doch er blickte mich bloß erschrocken an und schlurfte davon, um sich an die Wand zu hocken wie ein Bettler auf der Straße. Dann murmelte er ein Gebet vor sich hin. Mir war klar, dass er nicht von Nutzen sein würde. Er wartete auf den Tod.
Kopfschüttelnd überließ ich ihn seiner Resignation und tastete mich an den feuchten Mauersteinen entlang. Der Boden war schlammig, doch unter dem Schlamm lag harter Fels. Trotzdem trat ich vorsichtig auf. Meine Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, sodass ich große Pfützen erkennen konnte. Unter jeder mochte sich ein Brunnenschacht oder eine Felsspalte verbergen.
Ich folgte dem Klang des tropfenden Wassers. Nachdem ich eine Zeit lang vor jedem Schritt mit Händen und Füßen den Boden abgetastet hatte, stieß ich an einen niedrigen Mauersims. Dahinter hatte sich Wasser in einem Becken gesammelt, und die Luft roch frisch. Ich blickte nach oben.
Licht war keins zu sehen, aber als ich an der Wand hinaufgriff, ertastete ich einen schmalen gemauerten Schacht, der mit rostigen Eisenstreben versperrt war. Ich stieg auf den Sims und zog mit beiden Händen an den Stäben. Einer ließ sich bewegen, und das Knirschen hallte durch das Gewölbe.
»Was war das?«, rief mein Mitgefangener. Als ich es ihm sagte, erwiderte er: »Du wirst deine Lage nur verschlimmern.«
»Sie kann gar nicht schlimmer werden«, widersprach ich. »Denn ich bin Gefangener des Notars Paulus.«
Er gab einen Laut des Entsetzens von sich und nahm eilig sein Gemurmel wieder auf.
Es gelang mir, einen der Stäbe herauszubrechen. Während ich mit dem Nächsten beschäftigt war, rief mein Gefährte erschrocken: »Still! Die Wachen! Oh, was hast du getan! Sie haben dich gehört. Ich sagte doch, das führt zu nichts Gutem.«
Ich ließ mich leise vom Sims herab und eilte zurück unter das Einlassgitter, so schnell ich es wagte.
»Schweig still!«, zischte ich. Ich traute ihm zu, mich zu verraten.
Oben erklangen Schritte. Durch das Gitter sah ich lange Schatten unter das Dach gleiten und hörte leise Stimmen. Dann verstummten sie. Längere Zeit blieb es still.
Ich wartete. Plötzlich bewegte sich das Gitter und schwang auf. Bei schwachem Fackelschein spähten Gesichter herab, dunkle Silhouetten im Gegenlicht.
Ich schaute hinauf und beschirmte meine Augen. Was ging hier vor? Warum verhielten die Wachen sich so leise?
Dann hörte ich eine zaghafte Stimme meinen Namen flüstern. »Drusus? Bist du das?«
»Marcellus!«, rief ich aus.
Neben ihm hielt jemand die Fackel in die Öffnung, und ich sah sein ernstes Gesicht.
»Hast du gedacht, ich vergesse dich?«, sagte er. »Bei allen Göttern, du siehst aus wie eine Ratte in der Gosse.«
Er drehte den Kopf, und ich hörte ihn seine Begleiter fragen: »Wie holen wir ihn raus? Liegt da irgendwo ein Seil?«