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»Eine Leiter!«, rief ich. »Sie muss ganz in der Nähe sein.«

Die Köpfe zogen sich zurück. Ich hörte Bewegung, dann senkte sich die Leiter herab.

Ich trat an die Sprossen und hielt inne. »Bist du verletzt?«, fragte Marcellus. »Warte, ich ziehe dich hoch.«

»Nein, es geht. Ich komme schon.« Ich streckte die Hand zu meinem Mitgefangenen aus. »Du steigst zuerst hinauf. Deine Gebete wurden erhört. Du kommst frei.«

Er stierte mich dumpf an, und als ich einen Schritt auf ihn zumachte, wich er wimmernd zurück und drückte seinen christlichen Talisman an sich.

»Wer ist das?«, fragte Marcellus, als ich oben stand.

Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung … ein Beamter. Ein Sklave. Die Angst hat ihm offenbar den Verstand verwirrt.«

»Soll ich ihn heraufholen?«

»Er wird nicht freiwillig mitgehen. Aber lass die Leiter stehen, falls er sich doch noch anders besinnt.«

Ich schaute Marcellus und dann die Männer an, die ihn begleitet hatten. Ich kannte sie vom Sehen. Sie hatten sich mit Uniformen einer der östlichen Legionen getarnt. »Wie habt ihr mich gefunden?«, fragte ich.

»Durch Rufus.«

»Er hat es euch verraten?«

»Nicht direkt. Er kam vom Succi-Pass zurück und hat sich erhängt. Einer von Nevittas Leuten hat die Leiche gefunden.« Er blickte mir bedeutungsvoll in die Augen. »Nevitta war von allen am meisten überrascht, als Rufus zurückkam. Ich selbst war noch in den Bergen. Aber Decimus war da, und Rufus steckte ihm kurz vor seinem Freitod ein Briefchen zu und bat, ihn mir sofort zu geben und es niemandem zu erzählen.«

Ich fragte, was darin stand.

»Worte voller Selbstmitleid und Reue. Er beschrieb, wo du zu finden seiest.«

Ich nickte und machte ein finsteres Gesicht. »Das war nicht allein sein Werk, Marcellus. Hat er verraten, wer ihm geholfen hat?«

»Er hat keine Namen genannt. Nevitta hat mich dasselbe gefragt … immer wieder.«

Dabei deutete er mit einem Blick aus seinen grauen Augen auf die drei Kameraden hinter ihm. »Keine Namen«, wiederholte er langsam, »und Nevitta ist überzeugt, dass er allein gehandelt hat. Verstehst du?«

Ich verstand. Worte haben Macht, und was die anderen nicht wussten, konnte ihnen nicht schaden. Doch jetzt war nicht der Augenblick, um über unsere privaten Verdächtigungen zu sprechen. Schon zeigte sich das erste Morgenrot über dem Taurusgebirge.

Die Straße draußen war noch verlassen. Die Wachen hatten offenbar befunden, dass ich in dem stinkenden Loch sicher aufgehoben war, und hatten sich an einen angenehmeren Ort zurückgezogen. Wir befanden uns am Rand des Dorfes; ringsumher lagerte das kaiserliche Heer.

»Wohin jetzt?«, fragte Decimus, den es drängte, von dort wegzukommen.

»Hier entlang«, sagte Marcellus.

Wir liefen durch eine Gasse zwischen hohen Lagerhäusern. Am Ende mündete sie auf einen kleinen gepflasterten Platz mit einem Brunnen. Dort stand auch ein alter Tempel. Auf den Stufen saßen Männer an die Säulen gelehnt, dösten oder wärmten sich an einem Feuerkorb.

Einige von ihnen drehten müßig den Kopf, als wir aus der Gasse kamen. Sowie ich sie erkannte, wich ich zurück und verbarg mich hinter einem Mauervorsprung.

Marcellus und die anderen trugen schlichte Uniformen, ich dagegen meine Reittunika, in der ich entführt worden war. Mit den Bronzebeschlägen und roten Lederstreifen daran stach ich heraus wie ein Fasan unter Hennen. Sie würden mich sogleich bemerken.

»Meine Bewacher sind bei den Männern«, flüsterte ich. »Sie werden mich erkennen.«

Rasch stellte Decimus sich vor die Mauerecke, um ihnen die Sicht zu versperren. Dann hob er seine Tunika an und urinierte an die Mauer. Die anderen standen herum, als warteten sie auf ihn.

»Schauen sie noch herüber?«, fragte er.

»Nein«, sagte Marcellus, »aber wir lassen es lieber nicht darauf ankommen.« Er deutete mit dem Kopf auf eine schmale Gasse zwischen den Lagerhäusern. »Nehmen wir stattdessen die da.«

Betont beiläufig schlenderten wir zurück in die Gasse und gingen unter einem Torbogen durch. Dann endete das Dorf, und das Lager begann.

»Gütige Götter! Wo sind wir hier?«, murmelte Marcellus und blickte zornig die Zeltstraße entlang, wo sich ein bunter Pavillon an den anderen reihte, jeder mit einem breiten Zeltvordach, das sich auf bunte, gedrechselte Holzsäulen stützte. Während wir uns umsahen, kam ein elegant gekleideter Sklave aus einem Pavillon hervor, mit einem ziselierten silbernen Wasserkrug, den er mit beiden Händen trug. Er sah uns, blieb stehen und wollte uns schon ansprechen, doch der Krug war sichtlich schwer, und so besann er sich anders und ging weiter.

»Das sind keine gewöhnlichen Diener«, sagte ich und musterte ihn von hinten. Mir dämmerte, wo wir hingeraten waren. »Constantius muss hier irgendwo sein. Wir sollten verschwinden.«

Wir schlüpften durch eine Lücke zwischen den Pavillons. Als wir auf die nächste Zeltgasse traten, liefen wir einem Trupp Soldaten in die Arme, die aus der entgegengesetzten Richtung kamen, angeführt von einem Offizier in Paradeuniform. Decimus, der gerade zur Seite blickte, trat dem Offizier auf den roten, sorgsam polierten Stiefel.

»Pass doch auf, wo du hintrittst, du Hornochse!«, rief der Offizier und versetzte ihm eine Kopfnuss. »Was tut ihr überhaupt hier? Ihr wisst doch, dass hier der Zutritt verboten ist.«

»Verzeihung«, sagte Marcellus und trat vor, »wir sind falsch abgebogen.«

Der Offizier blickte ihn ungehalten an. Dann fiel sein Blick auf meine Kleidung.

»Wer ist der Mann?«

»Ein Gefangener. Wir haben Befehl, ihn zu verlegen.«

»Tatsächlich?«

»Jawohl.«

»Warum ist er dann nicht gefesselt?«, fragte der Offizier und machte schmale Augen. »Wie heißt du, Soldat? Zu welcher Legion gehörst du?«

Marcellus nannte irgendeinen Namen. »Wir sind bei der Sechsten, bei den Parthern.«

Er trug die Uniform eines gemeinen Soldaten und bemühte sich, entsprechend zu reden. Doch die holprige, ungebildete Redeweise passte nicht zu ihm. Seine Erziehung war ihm deutlich anzumerken, und der vornehm gekleidete Offizier war kein Dummkopf. Außerdem war er bereits misstrauisch geworden.

Er neigte den Kopf zur Seite und blickte Marcellus schräg an. »Bei den Parthern, hm?«

»Ja.«

»Du siehst mir nicht wie ein Parther aus. Sag mir, wo du zuletzt stationiert warst.«

»Wir waren in Antiochia«, antwortete Marcellus und blickte ihm ins Gesicht.

»Da waren wir alle, bevor wir hierherkamen. Wo warst du vorher?«

Marcellus kratzte sich am Kopf, als wäre das Denken eine Anstrengung für ihn. »Ach ja, Verzeihung, davor waren wir natürlich in Syrien. Draußen in der Wüste, dicht an der Grenze. Es war heiß und sandig. Der viele Sand war nichts für mich.«

Der Offizier hörte schon gar nicht mehr hin, sondern wandte sich an Decimus. »Und du? Warst du auch da?«

»Ja, sicher.«

»Und wie gefielen dir die syrischen Mädchen?«, fragte der Offizier und schmunzelte hinterhältig.

Decimus schaute verständnislos, denn der Offizier war ins Griechische gewechselt, und Decimus, der in Gallien aufgewachsen war und seine Heimat erst mit Julians Feldzug verlassen hatte, hatte kein Wort verstanden.

»Decimus hat’s mehr mit Knaben«, warf Marcellus geschickt ein, und einer der Soldaten gluckste leise.

Der Offizier fand das gar nicht lustig. Er blickte Marcellus kalt an, da er spürte, dass der Witz auf seine Kosten ging. Doch er schien es eilig zu haben und dringend weiterzuwollen, und so sagte er nach einem Augenblick drohenden Schweigens: »Seht zu, dass ihr wegkommt! Wenn ich euch noch einmal sehe, könnt ihr was erleben. Ist das klar?«

Ich hatte die ganze Zeit den Kopf eingezogen und atmete jetzt erleichtert auf. Doch gerade als wir abziehen wollten, schallte hinter uns eine Stimme: »Haltet die Männer fest!«