»Ja, ja«, murmelte der Kaiser mit ermatteter Stimme. Sein Zorn kam nicht von Herzen; er klang gekünstelt. Nun seufzte er, wischte das Thema mit einer schroffen Handbewegung beiseite und blieb ein paar Augenblicke still. Man hörte nur seinen pfeifenden Atem.
Mit träger, gedämpfter Stimme, als ob ihn seine ganze Umgebung langweilte, sagte er dann: »Es heißt, du seist sein Freund.«
»Das ist wahr.«
»Stehst du auch jetzt noch zu ihm?«
»Ja«, sagte ich.
Daraufhin sah er mich zum ersten Mal an und musterte überrascht mein Gesicht. Er wirkte wie eine Matrone, die überlegt, ob sie beleidigt sein soll oder nicht. Aber ihm war noch etwas anderes anzumerken: eine gewisse Wehmut oder Neid, als hätte ich ihm ein früheres, besseres Ich ins Gedächtnis gerufen, das seit langer Zeit verschüttet war.
Nach kurzem Zögern sagte er: »Wir haben versucht, milde und gerecht zu herrschen, doch wir werden verachtet. Warum wendest du dich gegen uns?«
Er schwieg und wartete auf Antwort. Also sagte ich: »Ich war noch nicht geboren, als du die Herrschaft ergriffen hast. Aber als ich ein Knabe war, wurde mein Vater verhaftet und zu Unrecht hingerichtet; und als ich ein Jüngling war, hast du deinen Notar geschickt, damit er uns foltert und vernichtet. Was ein Mann befehlen darf, hat Grenzen, ganz gleich, wie groß seine Macht ist. Niemand wird mit der Berechtigung zu herrschen geboren; er erwirbt sie durch das, was er aus sich macht. Vielleicht hast du diese Berechtigung einst besessen. Aber du hast dich von Schmeichlern und Intriganten in die Irre führen lassen. Du bist kein legitimer Herrscher mehr. Du bist ein Tyrann geworden. Es ist Zeit, dass du die Herrschaft aufgibst.«
Von allen Seiten wurde Empörung laut. Über die aufgeregten Rufe hinweg hörte ich Constantius mit angestrengter, schriller Stimme schreien: »Du wagst es, so mit uns zu sprechen!«
»Mein Leben ist bereits verwirkt«, erwiderte ich. »Darum höre es von mir, denn die anderen werden es dir nicht sagen. Du liegst im Sterben. Ich glaube nicht, dass einer von uns beiden den morgigen Tag noch erleben wird. Darum lass uns bei der Wahrheit bleiben. Julian hatte nicht den Wunsch, zu herrschen. Du hast es ihm aufgezwungen. Seine Feinde hier wollten ihn scheitern sehen. Als dies nicht geschah, flüsterten sie dir ein, er hätte sich gegen dich verschworen. Aber so war es nicht. Julian strebte nicht nach Macht, aber er strebt nach Gerechtigkeit. Und darum, so scheint mir, ist er ein besserer Herrscher als du.«
»Bringt ihn hinaus und köpft ihn!«, hörte ich Eusebius schreien. Und ich vernahm es mit Ruhe, denn ich war zu sterben bereit und hatte gesagt, was ich sagen wollte. Die junge Frau in dem grünen Kleid weinte. Tränen strömten ihr über die Wangen und glänzten im Lampenschein. Einer unserer Bewacher packte mich am Arm. Ich schüttelte ihn ab und blickte ruhig zu Constantius auf seiner Liege. Der schaute mich seltsam und verwundert an.
Dann machte er eine Handbewegung, und der Stimmenlärm endete. Der Bewacher ergriff erneut meinen Arm, doch Constantius sagte: »Lass ihn los.« Dann hob er den Arm von der seidenen Decke und nahm die Hand der trauernden Frau.
»Wir sind einsam gewesen«, sagte er leise. »Selbst unsere Gemahlinnen leben nicht lange. Wir hatten schlechte Träume.«
Zärtlich berührte er ihren Leib. »Ich werde mein Kind nicht sehen.«
»Nicht doch! Du wirst bald wieder gesund sein!« Das kam vom Oberkämmerer, und ein Chor von Stimmen pflichtete ihm bei.
»Du siehst«, sagte Constantius und blickte mir in die Augen, »selbst jetzt noch lügen sie mich an. Du hast recht: Julian wollte nie ein hohes Amt. Ich hätte ihn bei seinen Büchern lassen sollen, wo er zufrieden war. Vielleicht sollten gerade die Männer herrschen, denen die Macht gleichgültig ist, so sagen die Philosophen.«
»Julian ist ein Verräter«, warf der Oberkämmerer ein.
»Ist er das? Das behauptest du ständig. Und was bist du, Eusebius?«
Der Oberkämmerer wich erschrocken zurück. Constantius drehte den Kopf auf dem Kissen und schaute in das verzweifelte Gesicht seiner Gemahlin.
»Sie ist unschuldig«, sagte er.
Ich verstand nicht gleich, was er meinte. Aber dann erinnerte ich mich, wie er seine Herrschaft begonnen hatte – mit einem Blutbad unter Julians Familie und allen, von denen er annahm, sie könnten sich gegen ihn wenden.
»Ich glaube«, sagte ich, »jetzt weißt du, wie dein Vetter wirklich ist.«
Zuerst erwiderte er nichts, und in der Stille hörte man die Kaiserin leise weinen.
»Ja«, bekannte er schließlich und sah mich mit fiebrigen Augen an. »Ja, das weiß ich wohl.«
Wieder schwieg er. Dann sagte er: »Am Ende sind die großen Entscheidungen ganz einfach. Sag Julian, ich vertraue ihm meine Frau und mein ungeborenes Kind an. Ihm wurde Unrecht angetan, und das kann ich durch nichts wiedergutmachen. Lass ihn herrschen, obwohl es ihm widerstrebt. Ihm übertrage ich das Reich.«
»Nein!«, rief der Oberkämmerer. »Das darf nicht sein!«
»Genug! Ich habe gesprochen, und du wirst diesem Mann gehorchen. Lass es von den Schreibern niederschreiben, denn das ist mein Testament.« Dann sah er mich noch einmal an und fügte mit freundlicherer Stimme hinzu: »Und es ist zugleich meine Beichte. Wirst du Julian das sagen? Er wird es verstehen.«
»Ja, das werde ich.«
Constantius nickte.
Dann wandte er sich seiner Gattin zu und sagte: »Fürchte nichts, Faustina. Er ist ein Freund Julians. Er wird dich mit Achtung behandeln.«
Ich traf den Notar in seinem Pavillon an. Bei ihm war ein grau gekleideter Sklave, der Schriftrollen und andere Dokumente in eine Reisetruhe packte. Paulus saß an einem Klapptisch; vor ihm stand ein offenes Kästchen, in das er behutsam kleine verstöpselte Flaschen einsortierte.
Als ich eintrat, drehte er sich um. »Du kommst allein«, stellte er mit amüsiertem Unterton fest. Sein Blick fiel auf den Dolch an meinem Gürtel. »Du bist kein Gefangener mehr, wie ich sehe. Dann ist Constantius tot?«
»Ja. Er ist tot.«
Er neigte leicht den Kopf.
Der Sklave hatte seine Tätigkeit unterbrochen. Ohne ihn anzusehen, sagte Paulus: »Lass uns allein, Candidus, wir haben etwas Persönliches zu besprechen.« Und nachdem der Sklave hinausgeeilt war: »Ich kenne dich besser als du dich selbst. Das ist meine Stärke. Du wirst mich verschonen, im Namen deiner törichten Auffassung von Rechtschaffenheit.«
»Da irrst du dich.«
Er lächelte. »Das glaube ich nicht. Außerdem scheint mir, dass ich dir jetzt diene – dir und deinem Freund Julian. Eben noch Verräter, nun ein Kaiser. Namen bedeuten so wenig und doch so viel. Du siehst, mein junger Freund, welche Lehre sich hier erschließt: Das einzig Wahre ist die Macht. Wie man sie gewinnt und wie man sie behält.«
»Ich habe keine Verwendung für dich. Und Julian auch nicht.«
»Du täuschst dich, du weißt es nur noch nicht. Du bist wie ein armer Mann, der eine große Erbschaft macht. Du siehst das viele Gold und spürst seine Verheißung, aber du weißt nicht, wie du es ausgeben sollst. Das ist der Grund, weshalb du allein zu mir gekommen bist. Hast du nie gehungert? Ich bin der Mann, der diesen Hunger stillen kann. Hast du nie Verlangen gespürt? Ich kann Wünsche befriedigen, die du dir nicht einmal hast träumen lassen. Denk darüber nach, denn die Welt steht dir offen. Du kannst dir nehmen, was du willst. Lass dich von mir verführen. Greif zu mit deiner jungen, zögerlichen Hand und schwelge in der Macht.«
Er lehnte sich zurück und sah mich an.
»Was ist in den Fläschchen?«, fragte ich.
»In diesen hier?« Er drehte sich um und machte ein freudiges Gesicht wie ein Goldschmied in seiner Werkstatt. Mit seinen langen Fingern zog er behutsam eines heraus. »Dieses enthält Eisenhut.« Er hielt die hellblaue Phiole hoch. »Es versengt die Eingeweide und hinterlässt keine Spuren; ein nützliches Werkzeug. Und darin«, er zeigte auf eine braune Flasche mit gerillten Seiten, »ist Bilsenkraut, und in dem hier ist Eibenauszug. Jedes hat seine Verwendung, je nach Notwendigkeit.«