Eutherius ließ sich nie anmerken, was er von Florentius hielt; dazu war er zu sehr Diplomat. Doch Marcellus verabscheute ihn und verschanzte sich hinter einer Mauer distanzierter Höflichkeit, sobald Florentius zugegen war.
Jemand, der besser erzogen gewesen wäre als der Präfekt, wäre auf die Ablehnung nicht eingegangen; Florentius aber führte mit Marcellus sinnlose Streitgespräche, fragte ihn nach seiner Meinung, nur um sie dann abzutun, und zwang ihm verbissene Wortgefechte auf, um ihn herabzusetzen. Meistens war er sich dessen nicht einmal bewusst, nehme ich an, doch er war an Schmeichler gewöhnt, und seine empfindsame Nase hatte gewittert, dass Marcellus kein solcher Mensch war.
Doch was den Präfekten mehr als alles andere ärgerte, war die erfolgreiche Laufbahn des neuen Cäsars.
Julian hatte an der Universität in Athen studiert, als sein Vetter, der Kaiser, ihn an den Hof nach Mailand berief, um ihn zum Cäsar zu ernennen und nach Gallien zu entsenden. Zu der Zeit erwartete niemand große Leistungen von ihm, denn wie Eutherius erklärte, wusste jeder, dass Julian sich mehr mit Büchern befasste als mit dem Krieg und nie in einer Schlacht gekämpft, geschweige denn ein Heer befehligt hatte.
Doch er überraschte alle. Er hatte eine Truppe in den Elsass geführt, hatte die Barbaren zurückgeschlagen und die Kastelle entlang des Rheins, die zur Bewachung der ungeschützten Ebenen dienten, wiederaufbauen lassen. Empört, weil ihnen nach Jahren ungehinderten Plünderns Grenzen gesetzt wurden, hatten die germanischen Häuptlinge ihre Heere zusammengezogen, um den vermessenen Römer zu vernichten. Mit einer Horde von dreißigtausend Mann waren sie auf Straßburg vorgerückt, angeführt von dem Gaukönig Chnodomar. Die Germanen hatten ihren Sieg für sicher gehalten. Doch in der Schlacht wurden sie vernichtend geschlagen; Chnodomar wurde gefangen genommen. Sechstausend Barbaren fielen im Kampf, wurden auf der Flucht zertrampelt oder ertranken im Rhein, als sie ihn schwimmend durchqueren wollten. Julian dagegen hatte von seinen dreizehntausend Mann nur zweihundert verloren.
Als die Nachricht von diesem Sieg Paris erreichte, war man dort hocherfreut gewesen. Jeder hatte den jungen Cäsar, der sich so unerwartet als großer Heerführer erwiesen hatte, in höchsten Tönen gelobt – jeder außer Florentius. Er hatte seinen eigenen Werdegang mit Vorsicht gestaltet, war kein Wagnis eingegangen und hatte seine Vorgesetzten niemals verärgert. Um Karriere zu machen, hatte er sich abgemüht wie ein Esel am Wasserrad, und so sah er sich durch Julians raschen Aufstieg persönlich geschmäht. Während alle Welt sich freute, erklärte Florentius säuerlich, Julians Erfolg sei nur Anfängerglück.
Bald erfuhren wir, dass Julians Sieg auch anderen unwillkommen war. In diesem Winter erhielt Eutherius einen Brief von Julian, in dem er mitteilte, dass er aufgehalten werde. Julian hatte sich mit seinem Heermeister Barbatio überworfen, der seine Anstrengungen während des gesamten Feldzuges unterlaufen hatte, anstatt ihn zu unterstützen. Nun hatte Julian ihn entlassen, und Barbatio war zu Constantius geeilt, um schneller bei Hofe zu sein als der gegen ihn gerichtete Tadel und sich seinerseits über Julians Führung zu beschweren, der seiner Ansicht nach seine Befugnisse überschritt.
»Julian bittet mich, deshalb an den Hof zu reisen und seine Sache beim Kaiser zu vertreten«, erklärte Eutherius. »Es wird sonst niemand für ihn sprechen. Die Intriganten und Verleumder sind bereits am Werk.«
»Traut Constantius denn nicht einmal seinem eigenen Vetter, den er befördert hat?«, fragte ich.
Eutherius schmunzelte wie eine Mutter über ihr liebenswertes, aber naives Kind. »Constantius ist mit Höflingen aufgewachsen. Er traut niemandem. Bedenke das, mein lieber Drusus, dann wirst du ihn verstehen.«
Der Hof, der mit Constantius von Stadt zu Stadt zog, weilte zu der Zeit in Sirmium in Illyrien, eine mehrwöchige Reise entfernt. »Ich Armer«, fuhr Eutherius seufzend fort. »Das wird eine schreckliche Reise – Schnee, Gebirgsstraßen, schlechtes Gasthausessen. Allein schon das Schaukeln der Sänfte bekommt mir nicht. Aber ich hoffe, ihr bleibt, während ich fort bin. Julian plant trotz allem, hierherzukommen, wenn er auch nicht vorhersagen kann, wann dies der Fall sein wird.«
So versprachen wir zu warten. Am nächsten Tag begleiteten wir seine Sänfte bis zum Stadtrand, wo sein Gepäckzug auf ihn wartete. Dort nahmen wir Abschied.
Kaum war Eutherius fort, schritt Florentius zur Tat.
Es war ein paar Tage später am frühen Morgen. Ein Diener pochte an die Tür und teilte kurz und knapp mit, der Sekretär des Präfekten wünsche uns auf der Stelle in seiner Schreibstube zu sprechen. Als wir vor ihm erschienen, blickte er betont gelangweilt auf und sagte: »Ah ja. Der Cäsar Julian wird den Winter in Paris verbringen, wie ihr zweifellos gehört habt. Deshalb bleibt nunmehr kein Platz, euch hier wohnen zu lassen. Ihr müsst euch anderweitig umsehen.« Er lächelte bemüht und wandte sich nach einer matten Geste, mit der er uns entließ, wieder seinen Unterlagen zu – die Rache eines Bürokraten.
Eutherius hatte uns in seiner Güte ein wenig Geld dagelassen. Sein dunkeläugiger Dienstjunge Agatho hatte es uns in einem Kalblederbeutel übergeben, am Tag nach der Abreise seines Herrn. Das Geld hätte für unsere Bedürfnisse gereicht, hätten wir in der Zitadelle bleiben können; so aber war es keine große Summe. Wir besprachen unsere Lage. Nunmehr obdachlos, machten wir uns auf die Suche nach einem Quartier, hörten uns auf dem Forum um und kamen schließlich auf einem heruntergewirtschafteten Bauernhof vor der Stadt unter.
Der Bauer besaß einen Obsthain und ein paar Felder und brauchte Hilfe; als Bezahlung bot er uns Unterkunft in zwei zugigen Räumen in einem kahlen Holzschuppen an, wo die Hühner im Hof gluckten und wo man auf die Apfelbäume schaute. Seine Frau, erzählte er, während er uns herumführte, sei vor ein paar Jahren gestorben, sodass er seine Tochter allein großziehen müsse. Nun sei sie achtzehn und mache ihm mehr Mühe als der ganze Hof. Am Tag unseres Einzugs stand besagte Tochter, die Hände in die Hüften gestemmt, auf der Veranda und musterte uns mit unverhohlenen, dreisten Blicken. Sie hieß Clodia und sollte sich auch für mich als Plage erweisen, was ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht ahnen konnte.
Wir bezogen unser schlichtes Quartier und machten uns an die Arbeit, säuberten Gräben, setzten Trockenmauern instand und beschnitten die Weinstöcke an den flachen Hängen. Dieses Stück Land war genauso vernachlässigt wie das gesamte nördliche Gallien. Viele Feldarbeiter waren vor den vordringenden Barbaren geflüchtet oder vom Militär eingezogen worden und nicht mehr zurückgekehrt. Schlimmer noch als der Mangel an Arbeitern jedoch war der Verlust an handwerklichen Fertigkeiten, was an den vielen verpfuschten oder nur halb erledigten Arbeiten abzulesen war. Das überlieferte Wissen schwand. Es war nicht von den Vätern an die Söhne weitergegeben worden wie in alter Zeit, weil die Väter zu früh gestorben waren oder die Söhne keinen Nutzen darin sahen oder sehen wollten.
Während ich auf den kalten Feldern schwitzte, Bretter zusammennagelte, Zweige aus den Wasserläufen zog oder die Obstbäume ausputzte, brachte Marcellus etwas viel Wertvolleres ein: Ideen und Pläne, die er vom Gut seines Großvaters her kannte, wo die Überlieferung landwirtschaftlichen Wissens nicht abgerissen war. Es muss mühsam erlernt werden, bis es in Fleisch und Blut übergeht. Doch es lebt nur so lange wie der Wissende.
Immerhin bescherte die beschwerliche Arbeit mir außer müden Knochen auch inneren Frieden. Ein Tag verging wie der andere, und ich schlief jede Nacht tief und fest. Und der Bauer war froh, in uns mehr als nur zwei kräftige Arbeiter zu haben.
Nach einiger Zeit, an einem grauen, windstillen Nachmittag, als ich in der Scheune Heuballen stapelte, hörte ich Stimmenlärm von den Feldern. Ich fragte die Knechte, was los sei, und sie riefen mir zu, dass endlich das Heer des Cäsars nahte.