Für Alexandra, den Engel auf meiner Schulter
Der Himmel stürzt ein! Der Himmel stürzt ein!
- Chicken Little
Zeigt mir einen Helden, und ich werde euch eine Tragödie schreiben.
- F. Scott Fitzgerald
Prolog
VERTRAULICHE MITTEILUNG AN ALLE BETEILIGTEN -NACH KENNTNISNAHME UNVERZÜGLICH VERNICHTEN ORT: GEHEIM DATUM: GEHEIM
Zwölf Männer, die zwölf ferne Länder vertraten, befanden sich in der schwer bewachten unterirdischen Kammer. Sie saßen jeweils mehrere Schritte voneinander entfernt auf bequemen, paarweise hintereinander aufgestellten Stühlen. Gespannt hörten sie zu, als sich der Sprecher an sie wandte.
»Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Gefahr, die uns so viel Kopfzerbrechen bereitet hat, in Bälde gebannt sein wird. Ich muss hier nicht im Einzelnen darauf eingehen, da in den nächsten vierundzwanzig Stunden alle Welt davon erfahren wird. Seien Sie versichert, dass uns nichts aufhalten wird. Die Pforten bleiben geöffnet. Und nun beginnen wir mit der Auktion. Erhalte ich ein erstes Angebot? Ja. Eine Milliarde Dollar. Bietet jemand zwei? Zwei Milliarden. Bekomme ich drei geboten?«
1
Eiligen Schrittes lief sie einen Straßenzug vom Weißen Haus entfernt die Pennsylvania Avenue entlang, zitterte im kalten Dezemberwind, als sie das schreckliche, ohrenbetäubende Heulen der Luftschutzsirenen hörte und dann den Bomber hoch über ihr, bereit, seine tödliche Fracht abzuladen. Sie blieb stehen, wie erstarrt vor Entsetzen, umgeben von Panik und Schrecken.
Mit einem Mal war sie wieder in Sarajevo, vernahm das schrille Pfeifen der fallenden Bomben. Sie kniff die Augen zusammen, doch das Geschehen rundum konnte sie nicht ausblenden. Der Himmel stand in Flammen, und sie war taub vom Lärm der Schnellfeuergewehre, dem Donnern der Flugzeuge und dem Krachen der tödlichen Mörsergranaten. Die Gebäude in der Nähe zerbarsten, es hagelte Zement, Ziegelsteine und Staub. Entsetzte Menschen stoben nach allen Seiten davon, um dem Tod zu entrinnen.
Von weit, weit weg ertönte eine Männerstimme. »Ist alles in Ordnung?«
Langsam, vorsichtig schlug sie die Augen auf. Sie war wieder auf der Pennsylvania Avenue, im fahlen Licht der Wintersonne, und hörte das leiser werdende Geräusch einer Düsenmaschine und die Sirene eines Krankenwagens, die diese Erinnerung ausgelöst hatten.
»Miss - ist alles in Ordnung!«
Nur mühsam fand sie wieder in die Gegenwart zurück. »Ja. Mir - mir geht’s gut, danke.«
Er starrte sie an. »Moment mal! Sie sind Dana Evans. Ich bin ein großer Verehrer von Ihnen. Ich schaue mir jeden Abend Ihre Sendung auf WTN an, und ich habe alle Ihre
Beiträge aus Jugoslawien gesehen.« Er klang hellauf begeistert. »Muss ganz schön aufregend für Sie gewesen sein, von diesem Krieg zu berichten, was?«
»Ja.« Dana Evans’ Hals war trocken. Aufregend, wenn man mit ansehen muss, wie Menschen zerfetzt, Babys in Brunnen geworfen werden, zerrissene Körperteile wie Unrat auf einem rot verfärbten Fluss dahintreiben.
Plötzlich war ihr übel. »Entschuldigen Sie.« Sie wandte sich ab und hastete davon.
Dana Evans war erst drei Monate zuvor aus Jugoslawien zurückgekehrt und ihre Erinnerungen waren noch allzu frisch. Es kam ihr geradezu unwirklich vor, bei hellem Tageslicht ohne jede Angst die Straße entlanggehen zu können, den Gesang der Vögel und das Lachen der Menschen zu hören. In Sarajevo hatte es kein Lachen gegeben, nur das Krachen der einschlagenden Granaten und die qualvollen Schreie, die darauf folgten.
John Donne hatte Recht, dachte Dana. Niemand ist eine Insel. Was einem widerfährt, widerfährt uns allen, denn wir sind alle aus Erde und Sternenstaub gemacht. Gemeinsam erleben wir das Walten der Zeit. Unerbittlich bewegt sich der große Sekundenzeiger des Universums voran, bis die nächste Minute anbricht.
In Santiago wird ein zehnjähriges Mädchen von seinem Großvater vergewaltigt ...
In New York City küssen sich zwei Jungverliebte bei Kerzenschein .
In Flandern gebiert ein siebzehnjähriges Mädchen ein crack-geschädigtes Kind .
In Chicago setzt ein Feuerwehrmann sein Leben aufs Spiel, um eine Katze aus einem brennenden Haus zu retten
In Sao Paulo werden hunderte von Fußballfans zu Tode getrampelt, als bei einem Punktspiel die Tribune einstürzt .
In Pisa weint eine Mutter vor Freude, während sie zusieht, wie ihr Kind die ersten Schritte unternimmt .
All das und unendlich viel mehr ereignet sich innerhalb von nur sechzig Sekunden, dachte Dana. Und die Zeit läuft weiter, bis wir alle in der großen, unbekannten Ewigkeit enden.
Dana Evans war siebenundzwanzig Jahre alt und sah bezaubernd aus. Sie war schlank, hatte nachtschwarzes Haar, große, intelligente graue Augen, ein herzförmiges Gesicht und konnte so herzlich lachen, dass es geradezu ansteckend wirkte. Dana war ein Soldatenkind, die Tochter eines Colonels der US-Armee, der als Waffenausbilder von einem Stützpunkt zum anderen gezogen war, und durch dieses unstete Leben hatte sie von klein auf Gefallen am Abenteuer gefunden. Sie wirkte verletzlich und furchtlos zugleich -eine unwiderstehliche Mischung. Wie gebannt hatten die Menschen vor dem Fernseher gesessen, als sie ein Jahr lang vom Krieg auf dem Balkan berichtet hatte, scheinbar ungerührt inmitten des Schlachtengetümmels auf Sendung ging, ihr Leben aufs Spiel setzte und dennoch nüchtern und sachlich blieb, während ringsum Tod und Verderbnis herrschten. Und jetzt war sie sich ständig der Blicke bewusst, die man ihr zuwarf, des Getuschels, das ringsum einsetzte, wenn sie erkannt wurde. Dana Evans war ihr Bekanntheitsgrad eher peinlich.
Rasch ging sie die Pennsylvania Avenue entlang, warf einen Blick auf ihre Uhr, als sie am Weißen Haus vorüberhastete. Ich komme zu spät zur Konferenz, dachte sie.
Der Firmensitz der Washington Tribune Enterprises befand sich an der Sixth Street NW und bestand aus insgesamt vier Gebäuden, die einen ganzen Straßenzug einnahmen - die Druckerei, die Zeitungsredaktion, ein Hochhaus für die Verwaltung und Geschäftsleitung und der Fernsehsender. Die Fernsehstudios des Washington Tribune Network waren im fünften Stock von Haus Nummer vier untergebracht. Hier, wo zahllose Menschen in ihren Kabuffs an den Computern arbeiteten, herrschte stets hektisches Treiben. Ständig gingen neueste Nachrichten von gut einem halben Dutzend Presseagenturen rund um den Globus ein. Dieser gewaltige Apparat erstaunte und faszinierte Dana stets aufs Neue.
Hier hatte Dana auch Jeff Connors kennen gelernt. Jeff, einst ein ausgezeichneter Pitcher in der höchsten BaseballLiga, bis er sich bei einem Skiunfall den Arm gebrochen hatte, war Sportreporter bei WTN und schrieb zudem eine tägliche Kolumne für die Washington Tribune und alle ihr angeschlossenen Presseorgane. Er war Mitte Dreißig, groß und schlank, wirkte jungenhaft und hatte eine locker-lässige Art an sich, mit denen er die Menschen für sich einnahm. Jeff und Dana hatten sich ineinander verliebt und schmiedeten Heiratspläne.
In den drei Monaten seit Danas Rückkehr aus Sarajevo hatte sich in Washington allerhand getan. Leslie Stewart, der frühere Besitzer der Washington Tribune, hatte seine Anteile abgestoßen und sich zurückgezogen, und das Unternehmen war von Elliot Cromwell aufgekauft worden, einem international tätigen Medientycoon.
Die morgendliche Konferenz mit Matt Baker und Elliot Cromwell musste jeden Moment beginnen. Als Dana eintraf, wurde sie von Abbe Lasmann begrüßt, Matts reizvoller rothaariger Sekretärin.
»Die Herren erwarten Sie bereits«, sagte Abbe.
»Danke, Abbe.« Dana ging in das Eckzimmerbüro. »Matt ... Elliot ...«