»Oui.« Wieder warf er einen Blick in die Akte. »Er lebt in Amerika. Richfield in Utah. Turk Street Nummer vierhun-dertundzwanzig.« Commandant Frasier schrieb die Adresse auf und reichte sie Dana.
Sie versuchte ihre Erregung zu bezähmen. »Ich danke Ihnen vielmals.«
»Il m’y a pas de quoi.« Er blickte auf Danas schmucklosen Ringfinger. »Und, madame?«
»Ja?«
»Grüßen Sie Ihren Mann und die Kinder von mir.«
Dana rief Matt an.
»Matt«, sagte sie aufgeregt. »Ich habe einen Zeugen aufgetrieben, der Paul Winthrops Unfall gesehen hat. Ich will ihn interviewen.«
»Großartig. Wo steckt er?«
»In den Vereinigten Staaten. In Richfield, Utah. Hinterher komme ich gleich nach Washington zurück.«
»In Ordnung. Übrigens, Jeff hat angerufen.«
»Ja?«
»Sie wissen ja, dass er bei seiner Exfrau in Florida ist.« Er klang unwirsch.
»Ich weiß. Sie ist schwer krank.« »Wenn Jeff länger dort bleiben will, muss ich ihn darum bitten, unbezahlten Urlaub zu nehmen.«
»Er kommt sicher bald zurück.« Wenn sie das nur glauben könnte.
»Gut. Viel Glück bei dem Zeugen.«
»Danke, Matt.«
Danas nächster Anruf galt Kemal. Mrs. Daley meldete sich am Telefon.
»Bei Miss Evans.«
»Guten Abend, Mrs. Daley. Ist alles in Ordnung?« Dana hielt unwillkürlich den Atem an.
»Na ja, Ihr Sohn hätte gestern fast die Küche in Brand gesetzt, als er mir beim Abendessen geholfen hat.« Sie lachte. »Aber ansonsten ist er brav.«
Dana sprach ein stummes Dankgebet. »Großartig.« Die Frau bewirkt wahre Wunder, dachte sie.
»Kommen Sie heute heim? Ich kann uns was zum Abendessen machen und -«
»Ich muss noch einen Zwischenstopp einlegen«, sagte Dana. »In zwei Tagen bin ich wieder zu Hause. Kann ich Kemal sprechen?«
»Er schläft. Soll ich ihn aufwecken?«
»Nein, nein.« Dana blickte auf ihre Uhr. In Washington war es erst vier Uhr nachmittags. »Hält er etwa Mittagsschlaf?«
Sie hörte Mrs. Daley herzlich lachen. »Ja. Der Junge hat einen langen Tag hinter sich. Er hat sich mächtig verausgabt, beim Lernen und beim Spielen.«
»Bestellen Sie ihm alles Liebe von mir. Ich bin bald wieder da.«
Ich muss noch einen Zwischenstopp einlegen. In zwei Tagen bin ich wieder zu Hause.
Kann ich Kemal sprechen?
Er schläft. Soll ich ihn aufwecken?
Nein, nein. Hält er etwa Mittagsschlaf?
Ja. Der Junge hat einen langen Tag hinter sich. Er hat sich mächtig verausgabt, beim Lernen und beim Spielen. Bestellen Sie ihm alles Liebe von mir. Ich bin bald wieder da.
Ende der Aufnahme.
Richfield war eine gemütliche amerikanische Kleinstadt, in einem Talkessel inmitten der Monroe Mountains gelegen. Dana hielt an einer Tankstelle an und erkundigte sich nach der Adresse, die Commandant Frasier ihr gegeben hatte.
Ralph Benjamin wohnte in einem verwitterten Flachbau, der genauso aussah wie all die anderen Häuser, die links und rechts der Straße standen.
Dana parkte ihren Mietwagen, ging zur Haustür und klingelte. Eine weißhaarige Frau mittleren Alters, die eine Schürze trug, öffnete die Tür. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ich möchte Ralph Benjamin sprechen«, sagte Dana.
Die Frau musterte Dana neugierig. »Erwartet er Sie?« »Nein. Ich - ich bin nur zufällig vorbeigekommen und dachte, ich suche ihn kurz auf. Ist er da?«
»Ja. Kommen Sie rein.«
»Vielen Dank.« Dana trat ein und folgte der Frau ins Wohnzimmer.
»Ralph, du hast Besuch.«
Ralph Benjamin erhob sich aus einem Schaukelstuhl und kam auf Dana zu. »Hallo? Kenne ich Sie?«
Dana stand wie erstarrt da. Ralph Benjamin war blind.
14
Dana und Matt Baker saßen im Konferenzraum von WTN.
»Ralph Benjamin hat in Frankreich seinen Sohn besucht«, erklärte Dana. »Eines Tages war seine Brieftasche aus dem Hotelzimmer verschwunden. Tags darauf tauchte sie wieder auf, aber sein Pass fehlte. Matt, der Mann, der ihn gestohlen, sich als Benjamin ausgegeben und der Polizei erzählt hat, er sei Zeuge des Unfalls gewesen, hat Winthrop ermordet.«
Matt Baker schwieg eine ganze Weile. »Wir sollten allmählich die Polizei einschalten«, sagte er schließlich. »Wenn Sie Recht haben, hat irgendjemand kaltblütig sechs Menschen ermordet. Ich möchte nicht, dass Sie das siebte Opfer werden. Elliot macht sich ebenfalls Sorgen um Sie. Er meint, Sie steigen zu tief in die Sache ein.«
»Wir können die Polizei noch nicht hinzuziehen«, wandte Dana ein. »Wir haben nichts Konkretes. Keinerlei Beweise. Wir haben keine Ahnung, wer der Mörder ist und welches Motiv er hat.«
»Mir ist dabei ganz und gar nicht wohl. Die Sache wird mir zu gefährlich. Ich möchte nicht, dass Ihnen irgendwas zustößt.«
»Ich auch nicht«, entgegnete Dana.
»Wie wollen Sie weiter vorgehen?«
»Feststellen, wie Julie Winthrop tatsächlich umkam.«
»Die Operation ist erfolgreich verlaufen.«
Rachel schlug langsam die Augen auf. Sie lag in einem kühlen weißen Krankenhausbett. Benommen blickte sie zu Jeff auf.
»Ist sie ab?«
»Rachel -«
»Ich will nicht hinfassen.« Sie kämpfte gegen die Tränen an. »Ich bin keine richtige Frau mehr. So mag mich doch kein Mann mehr.«
Er nahm ihre Hand. »Irrtum. Ich habe dich schon geliebt bevor ich deine Brust überhaupt gesehen habe. Ich habe dich geliebt, weil du ein warmherziger, wunderbarer Mensch bist.«
Rachel rang sich ein schmales Lächeln ab. »Wir haben uns wirklich geliebt, was, Jeff?«
»Ja.«
»Ich wünschte ...« Sie warf einen Blick auf ihre Brust und kniff den Mund zusammen.
»Darüber reden wir später.«
Sie drückte seine Hand. »Ich will nicht allein sein, Jeff. Nicht, bis das alles ausgestanden ist, Jeff. Geh bitte nicht weg.«
»Rachel. Ich muss doch -«
»Noch nicht. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du weggehst.«
Eine Schwester kam in das Krankenzimmer. »Wenn Sie uns einen Moment entschuldigen würden, Mr. Connors.«
Rachel wollte Jeffs Hand nicht loslassen. »Geh nicht.«
»Ich komm ja wieder.«
Mitten in der Nacht klingelte Danas Handy. Sie sprang auf und meldete sich.
»Dana.« Jeff war dran.
Sie zuckte kurz zusammen, als sie seine Stimme hörte. »Hallo. Wie geht’s dir, mein Liebster?«
»Mir geht’s gut.«
»Was macht Rachel?«
»Die Operation ist gut verlaufen, aber Rachel möchte so nicht weiterleben.« »Jeff - das Selbstwertgefühl einer Frau hängt doch nicht von den Brüsten oder -«
»Ich weiß, aber Rachel ist keine Frau wie jede andere. Seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr wird sie nach ihrem Äußeren beurteilt. Sie ist eins der höchst bezahlten Models der Welt. Und nun meint sie, das alles wäre für sie vorbei. Sie kommt sich vor wie ein Krüppel. Sie glaubt, sie hat nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt.«
»Was willst du denn jetzt tun?«
»Ich bleibe noch ein paar Tage bei ihr und helfe ihr dabei, sich daheim wieder halbwegs einzufinden. Ich habe mit dem Arzt gesprochen. Er wartet noch auf die Untersuchungsergebnisse, um festzustellen, ob sie alles erwischt haben. Aber er hält eine anschließende Chemotherapie für notwendig.«
Dana fiel dazu nichts ein.
»Du fehlst mir«, sagte Jeff.
»Du mir auch, mein Liebster. Ich habe ein paar Weihnachtsgeschenke für dich.«
»Heb sie mir auf.«
»Wird gemacht.«
»Hast du genug von der Weltgeschichte gesehen?«