Innerhalb von zehn Minuten hatte Dana gepackt. Ich muss hier schleunigst weg und mir eine andere Unterkunft besorgen. Mit einem Mal fiel ihr etwas ein. Wollen Sie etwa gar nicht ins Cozy Log, unsere Pension? Sie haben Glück, wir haben ein Zimmer frei. Dana ging hinunter ins Foyer und zahlte ihre Rechnung. Der Mann an der Rezeption erklärte ihr den Weg und malte ihr eine kleine Karte.
»Zielperson verlässt den Innenstadtbereich und fährt in Richtung Westen«, sagte der Mann, der im Keller des Regierungsgebäudes vor dem Computer saß.
Das Cozy Log Bed & Breakfast Inn war ein schmuckes, einstöckiges Blockhaus im typischen Alaska-Stil, das etwa eine halbe Stunde vom Stadtzentrum von Juneau entfernt war. Bestens. Dana klingelte an der Haustür, worauf ihr eine attraktive, freundliche Frau Mitte dreißig öffnete.
»Hallo. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja. Ich habe Ihren Mann kennen gelernt, und er erwähnte, dass Sie ein Zimmer frei hätten.«
»So ist es. Ich bin Judy Bowler.«
»Dana Evans.«
»Kommen Sie rein.«
Dana trat ein und blickte sich um. Die Pension bestand aus einem großen, gemütlichen Wohnzimmer mit einem steinernen Kamin, einem Esszimmer, in dem die Gäste verköstigt wurden, und zwei Schlafräumen mit Badezimmern.
»Ich mache hier die Küche«, sagte Judy Bowler. »Und zwar ziemlich gut.«
Dana lächelte. »Ich freue mich schon darauf.«
Judy Bowler führte Dana zu ihrem Zimmer. Es war sauber und wirkte heimelig. Dana packte ihre Sachen aus.
Außer ihr wohnte noch ein Ehepaar hier, mit dem Dana ein kurzes, zwangloses Gespräch führte. Keiner der beiden erkannte sie.
Nach dem Mittagessen fuhr Dana in die Stadt zurück. Sie ging in die Bar des Cliff House und bestellte sich einen Cocktail. Das gesamte Personal war braun gebrannt und wirkte kerngesund. Natürlich.
»Herrliches Wetter«, sagte Dana zu dem jungen, blonden Barkeeper
»Jawohl. Hervorragendes Wetter zum Skifahren.«
»Sind Sie viel auf Skiern unterwegs?«
Er lächelte. »Jedes Mal, wenn ich mir hier frei nehmen kann.«
»Mir ist das zu gefährlich.« Dana seufzte. »Eine Freundin von mir ist hier vor einem Jahr umgekommen.«
Er stellte das Glas ab, das er gerade polierte. »Umgekommen?«
»Ja. Julie Winthrop.«
Er zog ein betrübtes Gesicht. »Sie ist immer hier reingekommen. Nette Frau.«
Dana beugte sich vor. »Ich habe gehört, dass es gar kein Unfall gewesen sein soll.«
Er bekam große Augen. »Was meinen Sie damit?«
»Ich habe gehört, dass sie ermordet wurde.«
»Ermordet?«, sagte er ungläubig. »Niemals. Es war ein Unfall.«
Zwanzig Minuten später redete Dana mit dem Barkeeper des Prospector Hotel.
»Herrliches Wetter.«
»Gut zum Skifahren«, sagte der Barkeeper.
Dana schüttelte den Kopf. »Ist mir zu gefährlich. Eine Freundin von mir ist hier beim Skifahren umgekommen. Vielleicht sind Sie ihr mal begegnet. Julie Winthrop hieß sie.«
»Oh, na klar. Hab sie sehr gemocht. Die hat sich nicht so aufgespielt wie manche anderen. Ist immer schön am Boden geblieben.«
Dana beugte sich vor. »Ich habe gehört, dass es gar kein Unfall gewesen sein soll.«
Die Miene des Barkeeper veränderte sich jäh. Er senkte die Stimme. »Ich weiß ganz genau, dass es keiner war.«
Danas Herz schlug einen Takt schneller. »Ja?«
»Klar doch.« Mit verschwörerischem Blick beugte er sich vor. »Diese verdammten Marsmenschen .«
Sie stand auf Skiern oben am Ptarmigan Mountain, spürte den schneidend kalten Wind. Sie blickte hinab ins Tal, überlegte gerade, ob sie nicht lieber umkehren sollte, als sie plötzlich von hinten einen Schubs bekam und den Steilhang hinunterraste, schneller und immer schneller, genau auf einen mächtigen Baum zu. Kurz vor dem Aufprall fuhr sie schreiend hoch.
Zitternd setzte sich Dana im Bett auf. Ist es Julie Winthrop etwa so ergangen? Aber wer hat ihr den tödlichen Stoß
Elliot Cromwell war ungehalten.
»Matt, wann, zum Teufel, kommt eigentlich Jeff Connors zurück? Wir brauchen ihn.«
»Bald. Er meldet sich regelmäßig.«
»Und was ist mit Dana?«
»Sie ist in Alaska. Warum?«
»Ich möchte, dass sie beide schleunigst wieder hier antanzen. Die Quoten unserer Abendnachrichten sind zurückgegangen.«
Worauf Matt Baker ihn nur anblickte und sich fragte, ob dies der wahre Anlass für Elliot Cromwells Ausbruch war.
Dana stand frühmorgens auf, zog sich an und fuhr ins Stadtzentrum.
Als sie am Flughafen darauf wartete, dass ihre Maschine ausgerufen wurde, bemerkte sie einen Mann, der in der hintersten Ecke saß und von Zeit zu Zeit zu ihr blickte. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und erinnerte sie an irgend-wen. Dann fiel ihr ein, an wen. An einen anderen Mann, am Flughafen von Aspen. Er hatte ebenfalls einen dunkelgrauen Anzug getragen. Doch nicht wegen der Kleidung erinnerte sie sich an ihn, es lag an ihrer Haltung: Beide strahlten eine unangenehm nassforsche Arroganz aus. Die Blicke, die dieser Mann ihr hin und wieder zuwarf, waren geradezu verächtlich. Sie erschauderte.
Nachdem sich Dana an Bord der Maschine begeben hatte, meldete er sich per Handy und verließ den Flughafen.
15
Als Dana nach Hause kam, stand im Wohnzimmer ein wunderschöner kleiner Christbaum, den Mrs. Daley besorgt und geschmückt hatte.
»Schauen Sie sich den Schmuck an«, sagte Mrs. Daley voller Stolz. »Den hat Kemal gemacht.«
Der Nachbar saß unterdessen vor dem Fernseher und beobachtete die ganze Szene auf dem Bildschirm.
Dana küsste die Haushälterin auf die Wange. »Sie sind ein Schatz, Mrs. Daley.«
Mrs. Daley lief rot an. »Ach, das ist doch nicht der Rede wert.«
»Wo ist Kemal?«
»Der ist in seinem Zimmer. Zwei Leute haben für Sie angerufen, Miss Evans. Sie sollen sich bei Mrs. Hudson melden. Die Nummer hab ich Ihnen auf Ihre Kommode gelegt. Und außerdem hat Ihre Mutter angerufen.«
»Vielen Dank.«
Kemal saß an seinem Computer, als Dana ins Arbeitszimmer trat.
Er blickte auf. »Hey, da bist du ja wieder.«
»Da bin ich wieder«, sagte Dana.
»Ist ja super. Ich habe mir gewünscht, dass du Weihnachten wieder da bist.«
Dana drückte ihn an sich. »Aber natürlich. Das hätte ich mir doch um nichts in der Welt entgehen lassen. Wie bist du hier klargekommen?«
»Spitzenmäßig.«
Gut. »Magst du Mrs. Daley?«
Er nickte. »Die ist cool.«
Dana lächelte. »Ich weiß. Ich muss ein paar Anrufe erledigen. Bin gleich wieder da.«
Das Unangenehme zuerst, dachte Dana. Sie rief bei ihrer Mutter an. Seit dem Vorfall in Westport hatte sie nicht mehr mit ihr gesprochen. Wie konnte sie nur so einen Mann heiraten? Dana ließ es mehrmals klingeln, dann meldete sich ihre Mutter über Anrufbeantworter.
»Wir sind derzeit nicht zu Hause, aber wenn Sie eine Nachricht hinterlassen, rufen wir Sie zurück. Warten Sie auf den Piepton.«
Dana wartete. »Frohe Weihnachten, Mutter.« Sie legte wieder auf.
Danach rief sie Pamela Hudson an.
»Dana, ich bin ja so froh, dass Sie wieder da sind!«, rief Pamela Hudson. »Wir haben zwar gehört, dass Jeff weg ist, aber Roger und ich haben für morgen ein paar Leute zu einem kleinen Weihnachtsessen eingeladen, und ich möchte Sie und Kemal gern dabei haben. Sagen Sie bitte nicht, dass Sie schon etwas anderes vorhaben.«