»Sie kommen also wegen Taylor Winthrop?«, fragte Man-cino, als Dana eintrat. Er sprach mit tiefer, schnarrender Stimme.
»Ja. Ich wollte mit Ihnen darüber reden, was -«
»Da gibt es nichts zu bereden, signorina. Er ist bei einem Brand umgekommen. Er schmort in der Hölle, und seine Frau und seine Kinder schmoren ebenfalls in der Hölle.«
»Darf ich mich hinsetzen, Mr. Mancino?«
Er holte zu einem barschen Nein aus, sagte dann jedoch: »Scusi. Wenn ich mich aufrege, vergesse ich manchmal meine Manieren. Prego, si accomodi. Bitte nehmen Sie Platz.«
Dana ließ sich auf einem Sessel ihm gegenüber nieder. »Sie und Taylor Winthrop haben ein Wirtschaftsabkommen zwischen Ihren Regierungen ausgehandelt.«
»Ja.«
»Und Sie haben sich miteinander angefreundet?«
»Eine Zeit lang, forse.«
Dana warf einen Blick auf das Foto am Schreibtisch. »Ist das Ihre Tochter?«
Er antwortete nicht.
»Sie ist bildschön.«
»Ja, sie war sehr schön.«
Dana blickte ihn verdutzt an. »Lebt sie nicht mehr?« Sie sah, wie er sie musterte, sich überlegte, ob er mit ihr reden sollte.
»Ob sie noch lebt?«, sagte er, als er schließlich das Wort ergriff. »Wer weiß.« Er klang mit einem Mal leidgeprüft. »Ich habe ihren amerikanischen Freund, diesen Taylor Winthrop, in mein Haus eingeladen. Er hat bei uns gegessen. Ich habe ihn meinen Freunden vorgestellt. Wissen Sie, wie er es mir vergolten hat? Er hat meine wunderschöne, jungfräuliche Tochter geschwängert. Sie war sechzehn Jahre alt. Sie hatte Angst, es mir zu beichten, weil sie wusste, dass ich ihn töten würde, daher ... ließ sie sich auf eine Abtreibung ein.« Er stieß das Wort aus wie einen Fluch. »Winthrop hatte Angst, dass es bekannt werden könnte, deshalb schickte er Pia nicht zu einem Arzt. Nein. Er ... er schickte sie zu einem Metzger.« Tränen traten ihm in die Augen. »Einem Metzger, der ihr die Gebärmutter herausgerissen hat. Meine sechzehnjährige Tochter, signorina ...« Mit erstickter Stimme fuhr er fort. »Taylor Winthrop hat nicht nur das Leben meiner Tochter zerstört, er hat auch meine Enkel ermordet und deren Kinder und Kindeskinder. Er hat die gesamte Familie Mancino für alle Zeiten ausgelöscht.« Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Jetzt haben er und seine ganze Familie für seinen Sündenfall gebüßt.«
Dana saß stumm da, sprachlos.
»Meine Tochter ist in einem Kloster, signorina. Ich werde sie nie wieder sehen. Ja, ich habe mich mit Taylor Winthrop eingelassen.« Er warf Dana einen stechenden Blick aus seinen kalten, stahlgrauen Augen zu. »Aber es war ein Pakt mit dem Teufel.«
Damit wären es also schon zwei, dachte Dana. Und das Treffen mit Marcel Falcon steht mir noch bevor.
Dana flog mit einer Maschine der KLM nach Brüssel, als sie mit einem Mal wahrnahm, dass sich jemand auf dem Sitz neben ihr niederließ. Sie blickte auf. Es war ein attraktiver, freundlich wirkender Mann, der die Stewardess offenbar gefragt hatte, ob er den Platz wechseln dürfte.
Lächelnd blickte er Dana an. »Guten Morgen. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Meine Name ist David Haynes.« Er sprach mit englischem Akzent.
»Dana Evans.«
Er verzog keine Miene, kannte sie offenbar nicht. »Ein zauberhaftes Flugwetter, nicht wahr?«
»Herrlich«, pflichtete Dana ihm bei.
Er musterte sie bewundernd. »Sind Sie geschäftlich nach Brüssel unterwegs?«
»Teils geschäftlich, teils zum Vergnügen.«
»Haben Sie dort Freunde?«
»Ein paar.«
»Ich kenne Brüssel wie meine Westentasche.«
Warte, wenn ich das Jeff erzähle, dachte Dana. Und dann fiel es ihr wieder ein. Er ist bei Rachel.
Er musterte sie. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.«
Dana lächelte. »Das passiert mir öfter. Muss irgendwie an meinem Gesicht liegen.«
Als die Maschine am Flughafen von Brüssel gelandet war und Dana in die Haupthalle kam, griff ein Mann, der etwas abseits stand, zu seinem Handy und machte Meldung.
»Haben Sie ein Fahrzeug hier?«, fragte David Haynes.
»Nein, aber ich kann -«
»Wenn Sie bitte erlauben möchten.« Er geleitete Dana zu einer ellenlangen Limousine samt Chauffeur. »Ich lasse Sie bei Ihrem Hotel absetzen«, erklärte er Dana. Er sagte dem Chauffeur Bescheid, worauf sich die Limousine in den Verkehr einfädelte. »Sind Sie zum ersten Mal in Brüssel?«
»Ja.«
Sie kamen an einer großen, lichtdurchfluteten Kaufhalle vorbei. »Falls Sie sich hier etwas Schönes besorgen wollen«, sagte Haynes, »kann ich Ihnen das hier nur empfehlen - die Galeries Saint Hubert.«
»Das sieht ja verlockend aus.«
»Halten Sie kurz an, Charles«, sagte Haynes zum Fahrer. Dann wandte er sich wieder Dana zu. »Dort steht der Brunnen mit dem Manneken Pis.« Es war eine Bronzefigur, ein kleiner Junge, der in einer Muschelschale stand und herunterpinkelte. »Eine der berühmtesten Statuen der Welt.«
Als ich im Gefängnis saß, sind meine Frau und die Kinder umgekommen. Wenn ich zu Hause gewesen wäre, hätte ich sie vielleicht retten können.
»Falls Sie heute Abend Zeit haben«, sagte David Haynes gerade, »würde ich Sie gern -«
»Tut mir Leid«, erwiderte Dana. »Aber ich habe schon etwas vor.«
Matt wurde in Elliot Cromwells Büro zitiert.
»Uns fehlen zwei unserer wichtigsten Leute, Matt. Wann kommt Jeff endlich zurück?«
»Kann ich nicht genau sagen, Elliot. Er ist bei seiner Exfrau, wie Sie sicher wissen, und leistet ihr Beistand. Ich habe ihm geraten, unbezahlten Urlaub zu nehmen.«
»Aha. Und wann kommt Dana aus Brüssel zurück?«
Matt musterte Elliot Cromwell. Ich habe ihm nicht gesagt, dass Dana in Brüssel ist, dachte er.
18
Das Hauptquartier der Nato befindet sich in einem nach Leopold III. benannten Gebäude, auf dessen Dach die belgische Flagge mit den senkrechten schwarz-rot-goldenen Streifen weht.
Dana war davon ausgegangen, dass sich hier bei der Nato ohne weiteres herausfinden ließe, weshalb Taylor Winthrop von seinem Posten zurückgetreten war, sodass sie anschließend nach Hause zurückkehren könnte. Doch der Buchstabensalat auf den Hinweisschildern zu den einzelnen Organisationsbereichen erwies sich als ein wahrer Albtraum. Sechzehn Mitgliedsstaaten waren hier vertreten, und daneben gab es Abteilungen mit der Bezeichnung NAC, EAPC, NACC, ESDI, CJTF, CSCE sowie ein gutes Dutzend weiterer Abkürzungen.
Dana begab sich ins Pressezentrum der Nato an der Rue des Chapeliers, wo sie Jean Somville im Presseraum vorfand.
Er stand auf und begrüßte sie. »Dana!«
»Hallo, Jean.«
»Also, was führt dich nach Brüssel?«
»Ich arbeite an einer Story«, sagte Dana. »Ich brauche ein paar Auskünfte.«
»Ah. Eine weitere Story über die Nato.«
»Gewissermaßen«, erwiderte Dana vorsichtig. »Taylor Winthrop war doch eine Zeit lang als Berater der Vereinigten Staaten hier bei der Nato tätig.«
»Ja. Hat hervorragende Arbeit geleistet. Ein großartiger Mann. Ein Jammer, was ihm und seiner Familie zugestoßen ist.« Neugierig blickte er Dana an. »Und was willst du wissen?«
Dana wählte ihre Worte mit Bedacht. »Er hat seinen Posten vorzeitig niedergelegt. Ich habe mich gefragt, was wohl der Grund dafür gewesen sein mag.«
Jean Somville zuckte die Achseln. »Ganz einfach. Er hatte den Auftrag erledigt, wegen dem er hier war.«
Dana war tief enttäuscht. »Als Winthrop hier tätig war, ist da irgendetwas ... Ungewöhnliches vorgefallen? Gab es irgendeinen Skandal um seine Person?«