»Von mir aus gern. Ich danke Ihnen vielmals.«
Dana blickte aus dem Fenster auf die Menschen, die eiligen Schrittes in der bitteren Kälte draußen vorüberhasteten. Tim hat Recht, dachte sie. Ich sollte mir lieber ein paar warme Sachen besorgen.
Das berühmte GUM war nicht weit von Danas Hotel entfernt. Es war ein riesiges Kaufhaus, in dem allerlei billiger Ramsch feilgeboten wurde.
Dana ging in die Abteilung für Damenkonfektion, wo etliche Ständer voller dicker Wintermäntel hingen. Sie suchte sich einen roten Wollmantel aus und einen dazu passenden roten Schal. Es dauerte zwanzig Minuten, bis sie jemanden fand, bei dem sie bezahlen konnte.
Danas Handy klingelte, als sie ins Hotel zurückkehrte. Jeff war dran.
»Hallo, meine Liebste. Ich habe an Silvester bei dir angerufen, aber über Handy hast du dich nicht gemeldet, und ich wusste nicht, wie ich dich anderweitig erreichen kann.«
»Tut mir Leid, Jeff.« Er hat es also nicht vergessen. Gottlob.
»Wo steckst du?«
»In Moskau.«
»Ist alles in Ordnung, Liebling?«
»Bestens. Sag mal, Jeff, wie geht es Rachel?«
»Das kann man noch nicht sagen. Die Ärzte wollen morgen eine neue Behandlungsmethode anwenden. Irgendwas, das bisher noch in der Erprobungsphase ist. In ein paar Tagen müssten die ersten Ergebnisse vorliegen.«
»Hoffentlich spricht es an«, sagte Dana.
»Ist es drüben bei dir kalt?«
Dana lachte. »Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich komme mir vor wie ein Eiszapfen.«
»Ich wünschte, ich wäre da und könnte dich zum Schmelzen bringen.«
Fünf Minuten lang redeten sie miteinander, dann hörte Dana im Hintergrund, wie Rachel nach Jeff rief.
»Ich muss Schluss machen, Liebling«, sagte Jeff. »Rachel braucht mich.«
Ich brauche dich ebenfalls, dachte Dana. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.«
Die amerikanische Botschaft am Nowinskij Bulvar war ein altes, heruntergekommenes Gebäude, vor dem russische Posten in Schilderhäuschen Wache standen. Eine lange Schlange geduldig wartender Menschen hatte sich davor gebildet. Dana ging daran vorbei und nannte einem Posten ihren Namen. Er warf einen Blick auf eine Liste und winkte sie durch.
Am Eingang stand ein amerikanischer Marineinfanterist in einem Kabuff aus kugelsicherem Glas. Eine weibliche Sicherheitskraft, auch sie eine Amerikanerin, überprüfte den Inhalt von Danas Handtasche.
»Okay.«
»Vielen Dank.« Dana ging zur Rezeption. »Dana Evans.«
»Der Botschafter erwartet Sie bereits, Miss Evans«, sagte ein Mann, der am Schalter stand. »Wenn Sie bitte mitkommen möchten.«
Dana stieg hinter ihm die Marmortreppe hinauf und folgte ihm zu einem Empfangsraum am Ende eines langen Flurs. Eine attraktive Frau, etwa Anfang vierzig, lächelte, als Dana eintrat. »Miss Evans«, sagte sie, »wie nett. Ich bin Lee Hopkins, die Sekretärin des Botschafters. Sie dürfen gleich hineingehen.«
Dana ging in das eigentliche Büro. Botschafter Edward Hardy erhob sich, als sie sich dem Schreibtisch näherte.
»Guten Morgen, Miss Evans.«
»Guten Morgen«, sagte Dana. »Danke, dass Sie mich empfangen.«
Der Botschafter war ein großer, gesund und kräftig wirkender Mann, der sich betont herzlich gab - ein typischer Politiker.
»Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»Nein, danke.«
»Bitte nehmen Sie Platz.«
Dana setzte sich.
»Ich war begeistert, als Roger Hudson mir Ihren Besuch ankündigte. Sie sind zu einem höchst interessanten Zeitpunkt gekommen.«
»Ach ja?«
»Ich sage das nur ungern, aber ich fürchte, unter uns gesagt, dass sich dieses Land im freien Fall befindet.« Er seufzte. »Ehrlich, ich habe keine Ahnung, was hier als nächstes geschehen wird, Miss Evans. Dieses Land hat eine über achthundertjährige Geschichte, und wir müssen hier mit ansehen, wie es den Bach runtergeht. Die Kriminellen haben hier zu Lande das Sagen.«
Dana blickte ihn fragend an. »Wie meinen Sie das?«
Der Botschafter lehnte sich zurück. »Laut Gesetz darf kein Mitglied der Duma - das ist das Parlament - wegen einer Straftat verfolgt werden. Was darauf hinausläuft, dass in der Duma lauter Leute sitzen, die alles Mögliche auf dem Kerbholz haben - teils sind es ehemalige Sträflinge, teils Gauner, die weiterhin ihren kriminellen Machenschaften frönen. Keiner von ihnen kann belangt werden.«
»Das ist ja unglaublich«, versetzte Dana.
»Ja. Die Menschen in Russland sind wunderbar, aber ihre Regierung . Nun gut, womit kann ich Ihnen dienen, Miss Evans?«
»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen über Taylor Winthrop stellen. Ich arbeite an einer Reportage über seine Familie.«
Botschafter Hardy schüttelte bekümmert den Kopf. »Es kommt einem vor wie eine griechische Tragödie, nicht wahr?«
»Ja.« Schon wieder diese Formulierung.
Botschafter Hardy musterte Dana neugierig. »Diese Geschichte ist doch schon zig Male abgehandelt worden. Meiner Meinung nach gibt es dazu nichts mehr zu sagen.«
»Ich möchte vor allem auf seine Persönlichkeit eingehen. Ich möchte wissen, wie Taylor Winthrop wirklich war, was für ein Mensch er war, was für Freunde er hier hatte, ob er irgendwelche Feinde hatte .«
»Feinde?« Er blickte erstaunt auf. »Keine. Jeder mochte Taylor. Er war vermutlich der beste Botschafter, den wir hier jemals hatten.«
»Haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?«
»Ja. Ich war ein Jahr lang sein Stellvertreter.«
»Botschafter Hardy, wissen Sie, ob Taylor Winthrop hier mit irgendetwas beschäftigt war, bei dem -« Sie stockte, wusste nicht genau, wie sie es ausdrücken sollte »- viele Einzelheiten zu regeln waren?«
Botschafter Hardy runzelte die Stirn. »Beziehen Sie sich dabei auf etwas Geschäftliches, oder meinen Sie ein Abkommen auf Regierungsebene?«
»Das weiß ich nicht genau«, räumte Dana ein.
Botschafter Hardy dachte einen Moment lang nach. »Ich auch nicht. Nein, ich habe keine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte.«
»Gibt es unter dem derzeitigen Botschaftspersonal jemanden«, sagte Dana, »der auch für ihn tätig war?«
»O ja. Lee zum Beispiel, meine Sekretärin. Sie war auch Taylors Sekretärin.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit ihr spreche?«
»Ganz und gar nicht. Ich stelle Ihnen sogar eine Liste mit einigen Leuten zusammen, die Ihnen eventuell weiterhelfen könnten.«
»Das wäre wunderbar. Vielen Dank.«
Er erhob sich. »Seien Sie vorsichtig, solange Sie sich hier aufhalten, Miss Evans. Es gibt allerhand Straßenkriminalität.«
»Das habe ich schon gehört.«
»Trinken Sie kein Leitungswasser. Nicht mal die Russen rühren es an. Oh, und wenn Sie auswärts essen, müssen Sie ausdrücklich auf einem tschisti stol bestehen - das heißt so viel wie reiner Tisch -, sonst finden Sie an Ihrem Platz lauter teure Vorspeisen vor, die Sie nicht wollen. Wenn Sie sich etwas kaufen wollen, halten Sie sich am besten ans Arbat. In den Läden dort gibt es so gut wie alles. Und seien Sie mit den hiesigen Taxis vorsichtig. Nehmen Sie die älteren, zerschrammten. Die Schwindler und Betrüger fahren meistens Neuwagen.«
»Vielen Dank.« Dana lächelte. »Ich werd’s mir merken.«
Fünf Minuten später sprach Dana mit Lee Hopkins, der Sekretärin des Botschafters. Sie waren allein in einem kleinen Zimmer und hatten die Tür geschlossen.
»Wie lange waren Sie für Botschafter Winthrop tätig?«
»Achtzehn Monate. Was möchten Sie denn wissen?«
»Hat sich Botschafter Winthrop irgendwelche Feinde gemacht, als er hier war?«
Lee Hopkins schaute Dana verwundert an. »Feinde?«
»Ja. Wenn man so einen Posten innehat, wäre es doch denkbar, dass man auch mal zu jemandem nein sagen muss, der einem das vielleicht übel nimmt. Botschafter Winthrop konnte doch bestimmt nicht jeden Wunsch erfüllen.«