In diesem Augenblick donnerte ein weiterer Jet über das Dach hinweg. Er konnte nicht erkennen, woher er stammte, doch sobald die Maschine gelandet war, richtete er das Fernglas auf die Tür und beobachtete die Männer, die von Bord gingen. Ein paar von ihnen machten nicht die geringsten Anstalten, die Maschinenpistolen zu verbergen, die sie unter die Achsel geklemmt hatten.
»Die Palästinenser sind eingetroffen.«
Ein weiterer Jet donnerte über sie hinweg. Fehlen noch zwölf, dachte er. Die morgige Auktion wird die größte Versteigerung aller Zeiten sein. Dabei darf nichts schief gehen.
Er wandte sich an seinen Begleiter. »Notieren Sie.«
VERTRAULICHE MITTEILUNG AN ALLE EINSATZKRAEFTE -NACH KENNTNISNAHME SOFORT VERNICHTEN.
ZIELPERSON WEITERHIN UEBERWACHEN. BERICHTEN SIE UEBER KONTAKTAUFNAHMEN UND HALTEN SIE SICH FALLS NOETIG BEREIT ZUM LIQUIDIEREN.
20
Als Dana am nächsten Morgen aufwachte, griff sie zum Telefon und rief Tim Drew an.
»Hat sich Botschafter Hardy noch mal bei Ihnen gemeldet?«, fragte er.
»Nein. Ich glaube, er ist eingeschnappt. Tim, ich muss mit Ihnen reden.«
»Von mir aus. Nehmen Sie sich ein Taxi und kommen Sie zum Boyrskij-Club am Teatralnij Projesd Nummer einviertel.«
»Wohin? Ich kann mir -«
»Der Taxifahrer weiß Bescheid. Nehmen Sie sich eine alte Karre.«
»Gut.«
Dana war froh, dass sie ihren neuen Wintermantel übergezogen hatte, als sie hinaus in den eisigen Wind trat. Auf einer Reklametafel am Haus gegenüber war die Temperatur angegeben: minus neunundzwanzig Grad Celsius. Mein Gott, dachte sie.
Ein nagelneues Taxi stand vor dem Hotel. Dana wartete, bis ein anderer Gast einstieg, und nahm das nächste, das ziemlich abgehalftert aussah. Der Fahrer warf ihr im Rückspiegel einen fragenden Blick zu.
Dana betonte jedes Wort. »Ich möchte zum Teatr -« Sie stockte. »- ralnij -« Sie holte tief Luft. »- Projesd -«
»Wollen Sie zum Boyrskij-Club?«, fragte der Fahrer ungeduldig.
»Da.«
Sie fuhren los, mitten durch den dichten Verkehr auf den langen Boulevards, vorbei an einsamen Fußgängern, die auf den verschneiten Gehsteigen dahinhasteten. Die ganze Stadt wirkte düster und grau. Und das liegt nicht nur am Wetter, dachte Dana.
Der Boyrskij-Club mit seinen Ledersesseln und Sofas entsprach durchaus ihrem Geschmack. Tim Drew erwartete sie bereits an einem Fensterplatz.
»Sie haben also hergefunden.«
»Der Taxifahrer hat ein paar Brocken Englisch verstanden.«
»Da haben Sie aber Glück gehabt. Manche können nicht einmal Russisch. Die kommen von wer weiß woher. Schon erstaunlich, dass so ein Land auch nur halbwegs über die Runden kommt. Irgendwie muss ich dabei immer an einen sterbenden Dinosaurier denken. Wissen Sie, wie groß Russland ist?«
»Nicht genau.«
»Fast doppelt so groß wie die Vereinigten Staaten. Dieses Land hat dreizehn Zeitzonen und grenzt an vierzehn Länder. Vierzehn andere Länder.«
»Erstaunlich«, sagte Dana. »Tim, ich möchte ein paar Russen sprechen, die möglicherweise geschäftlich mit Taylor Winthrop zu tun hatten.«
»Das betrifft fast die gesamte russische Regierung.«
»Ich weiß«, erwiderte Dana. »Aber mit irgendjemand muss er hier näher zu tun gehabt haben. Der Präsident -«
»Vielleicht eher jemand aus dem zweiten Glied«, versetzte Tim Drew trocken. »Meiner Meinung nach kommt da vor allem Sascha Schdanoff in Frage. Mit dem pflegte er vermutlich den engsten Kontakt.«
»Wer ist dieser Sascha Schdanoff?«
»Er ist Kommissar im Büro für internationale Wirtschaftsentwicklung. Ich glaube, Winthrop hat sich nicht nur dienstlich, sondern auch auf privater Ebene mit ihm getroffen.« Er musterte Dana. »Hinter was sind Sie eigentlich her?«
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte sie. »Ich weiß es wirklich nicht genau.«
Das Büro für internationale Wirtschaftsentwicklung befand sich in einem riesigen roten Ziegelbau an der Uliza Ozernaja. Hinter dem Haupteingang standen zwei russische Polizisten in Uniform, und ein weiterer uniformierter Wachmann saß an einem Empfangsschalter.
Er blickte auf, als Dana vor ihn trat.
»Döbrij djen«, sagte Dana.
»Sdräwstwujtje. Ne —«
Dana fiel ihm ins Wort. »Entschuldigen Sie bitte. Ich möchte Kommissar Schdanoff sprechen. Mein Name ist Dana Evans. Ich bin vom Washington Tribune Network.«
Der Wachmann blickte auf ein vor ihm liegendes Blatt Papier und schüttelte den Kopf. »Haben Sie einen Termin?«
»Nein, aber -«
»Dann müssen Sie einen Termin vereinbaren. Sind Sie Amerikanerin?«
»Ja.«
Der Wachmann suchte in den Formularen herum, die auf dem Schalter lagen, und reichte Dana eines. »Füllen Sie das bitte aus.«
»Gut«, sagte Dana. »Könnte ich den Kommissar möglicherweise heute Nachmittag sprechen?«
Er blinzelte. »Ja ne ponimaju. Ihr Amerikaner seid immer in Eile. In welchem Hotel wohnen Sie?«
»Im Sewastopol. Ich möchte nur ein paar Min-«
Er machte sich eine Notiz. »Jemand wird Ihnen Bescheid sagen. Döbrij djen.«
»Aber -« Sie sah seinen Gesichtsausdruck. »Döbrij djen.«
Dana blieb den ganzen Nachmittag auf ihrem Zimmer und wartete auf einen Anruf. Um sechs Uhr abends meldete sie sich bei Tim Drew.
»Sind Sie zu Schdanoff vorgedrungen?«, fragte er.
»Nein. Man will mich zurückrufen.«
»Verlassen Sie sich nicht darauf, Dana. Sie haben es hier mit einer Bürokratie zu tun, die nicht von dieser Welt ist.«
Am nächsten Morgen begab sich Dana in aller Frühe zum Büro für internationale Wirtschaftsentwicklung. Derselbe Wachmann saß am Empfang.
»Döbrij djen«, sagte Dana.
Mit versteinerter Miene blickte er auf. »Döbrij djen.«
»Hat Kommissar Schdanoff gestern meine Nachricht erhalten?«
»Ihr Name?«
»Dana Evans.«
»Sie haben eine Nachricht hinterlassen?«
»Ja«, sagte sie tonlos. »Bei Ihnen.«
Der Wachmann nickte. »Dann hat er sie erhalten. Alle Nachrichten kommen an.«
»Kann ich mit Kommissar Schdanoffs Sekretärin sprechen?«
»Haben Sie einen Termin?«
Dana holte tief Luft. »Nein.«
Der Wachmann zuckte die Achseln. »Isvinitje, njet.«
»Wann kann ich -?«
»Jemand wird Sie anrufen.«
Auf dem Rückweg zum Hotel kam Dana am Detskij Mir vorbei, einem Kaufhaus für Kinder, und so ging sie hinein und sah sich um. Eine ganze Abteilung war nur für Spiele reserviert. In der einen Ecke befand sich ein Regal voller Computerspiele. Das wird Kemal bestimmt gefallen, dachte Dana. Sie kaufte ein Spiel und war erstaunt darüber, wie teuer es war. Anschließend begab sie sich ins Hotel zurück und wartete auf den Anruf. Um sechs Uhr abends gab sie die Hoffnung auf. Sie wollte gerade hinuntergehen und zu Abend essen, als das Telefon klingelte. Dana eilte zum Apparat und nahm ab.
»Dana?« Es war Tim Drew.
»Ja, Tim.«
»Schon was erreicht?«
»Leider nein.«
»Tja, wenn Sie schon mal hier sind, sollten Sie sich die Sachen nicht entgehen lassen, die wirklich großartig sind. Heute ist ein Ballettabend. Sie führen Giselle auf. Haben Sie Lust dazu?«