»Njet«, sagte Dana entschieden. »Das ist mein Taxi.« Sie stieg ein.
»Da?«, sagte der Fahrer.
»Ich möchte zum Sojus-Hotel.«
Er wandte sich zu ihr um und musterte sie. »Sie wirklich wollen dorthin?«, fragte er in gebrochenem Englisch.
»Wieso? Was meinen Sie damit?«, erwiderte Dana verdutzt.
»Das ist nicht sehr gutes Hotel.«
Dana war mit einem Mal beunruhigt. Will ich wirklich dorthin? Aber jetzt gibt’s kein Zurück mehr. Er wartete auf eine Antwort. »Ja. Ich - ich will wirklich dorthin.«
Der Fahrer zuckte die Achseln, fuhr los und fädelte sich in den Verkehr auf der verschneiten Straße ein.
Was mache ich, wenn in dem Hotel kein Zimmer für mich reserviert ist?, dachte Dana. Was ist, wenn das Ganze nur ein schlechter Scherz ist?
Das Sojus-Hotel befand sich an der Uliza Lewobereschnaja, in einem Arbeiterviertel am Stadtrand von Moskau. Es war ein altes, wenig einladend wirkendes Gebäude, braun gestrichen, von dessen Fassade überall die Farbe abblätterte.
»Wollen Sie, ich warten?«, fragte der Fahrer.
Dana zögerte einen Moment. »Nein.« Sie bezahlte das Fahrgeld, stieg aus und kämpfte sich durch den eisigen Wind zu dem Hotel durch. Eine ältere Frau saß an der Rezeption in dem heruntergekommenen Foyer und las in einer Illustrierten. Sie blickte verwundert auf, als Dana eintrat und auf sie zukam.
»Da?«
»Ich glaube, für mich ist hier ein Zimmer reserviert. Dana Evans.« Sie hielt einen Moment lang die Luft an.
Die Frau nickte bedächtig. »Dana Evans, ja.« Sie griff hinter sich und nahm einen Schlüssel von dem Brett an der Wand. »Vier-null-zwei, vierter Stock.« Sie reichte ihn Dana.
»Wo muss ich mich eintragen?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Kein Eintrag. Sie zahlen gleich. Ein Tag.«
Wieder war Dana mulmig zu Mute. Ein russisches Hotel, in dem sich ausländische Gäste nicht eintragen mussten? Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Fünfhundert Rubel«, sagte die Frau.
»Ich muss erst Geld wechseln«, sagte Dana. »Später.«
»Nein. Jetzt. Ich nehme Dollars.«
»Na schön.« Dana griff in ihre Handtasche und holte eine Hand voll Scheine heraus.
Die Frau nickte, griff zu und nahm sich ein halbes Dutzend.
Ich glaube, damit hätte ich das ganze Hotel kaufen können. Dana blickte sich um. »Wo ist der Fahrstuhl?«
»Kein Fahrstuhl.«
»Oh.« Einen Pagen gab es offensichtlich auch nicht. Dana nahm ihr Gepäck und stieg die Treppe hinauf.
Das Zimmer übertraf ihre schlimmsten Erwartungen. Es war klein und schmuddelig, das Bett ungemacht, die Vorhänge zerrissen. Wie wollte sich Boris mit ihr in Verbindung setzen? Das kann nur ein schlechter Scherz sein, dachte Dana. Aber wieso macht sich jemand all die Umstände?
Sie setzte sich auf die Bettkante und blickte durch das schmutzige Fenster auf das Menschengetümmel drunten auf der Straße.
Ich habe mich zum Narren halten lassen, dachte Dana. Vermutlich hocke ich tagelang hier herum, ohne dass -
Jemand klopfte leise an die Tür. Dana atmete tief durch und stand auf. Wenn sie das Rätsel lösen wollte, dann jetzt, falls es denn überhaupt etwas zu lösen gab. Dana ging zur Tür und riss sie auf. Draußen auf dem Flur war weit und breit niemand zu sehen. Ein Briefumschlag lag am Boden. Dana hob ihn auf und nahm ihn mit hinein. Auf dem Zettel, der darin steckte, stand WDNCh 21 Uhr. Dana hatte keine Ahnung, was damit gemeint war. Sie öffnete ihren Koffer und suchte den Stadtführer heraus, den sie diesmal wohlweislich mitgenommen hatte. Da stand es: WDNCh - Ausstellung der volkswirtschaftlichen Errungenschaften der UdSSR. Sogar die Adresse war angegeben.
Um acht Uhr abends hielt Dana ein Taxi an. »Zum WDNCh. Dem Park.« Sie war sich nicht sicher, ob sie alles richtig aussprach.
Der Fahrer drehte sich zu ihr um: »WDNCh? Alles geschlossen.«
»Oh.«
»Sie wollen trotzdem hin?«
»Ja.«
Der Fahrer zuckte die Achseln und gab Gas.
Das weitläufige Gelände lag im Nordosten von Moskau. Laut Stadtführer sollte die umfassende Ausstellung einst vom Ruhm der sowjetischen Landwirtschaft, Industrie und Forschung künden, doch im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs wurden die Mittel für den Unterhalt gestrichen, sodass das ganze Gebäude zu einem verfallenen Denkmal des sowjetischen Machtanspruchs wurde. Von den einstmals so großartigen Hallen und Pavillons bröckelte der Putz und der Park war menschenleer.
Dana stieg aus dem Taxi und zückte eine Hand voll US-Dollar. »Ist das -«
»Da.« Der Fahrer schnappte sich die Scheine und war im nächsten Moment verschwunden.
Dana blickte sich um. Sie war allein in dem Park, durch den ein eisiger Wind fegte. Sie ging zu einer in der Nähe stehenden Bank, setzte sich hin und wartete auf Boris. Sie musste daran denken, wie sie im Zoo auf Joan Sinisi gewartet hatte. Was ist, wenn Boris -?
Dana schrak auf, als eine Stimme hinter ihr ertönte. »Cho-roschij wjetschernij.«
Sie wandte sich um und riss überrascht die Augen auf. Sie hatte Boris Schdanoff erwartet. Stattdessen sah sie Kommissar Sascha Schdanoff vor sich stehen. »Kommissar! Ich hatte nicht damit gerechnet -«
»Sie folgen mir«, sagte er kurz angebunden. Sascha Schdanoff lief mit raschen Schritten durch den Park davon. Dana zögerte einen Moment, stand dann auf und eilte hinter ihm her. Er ging in ein kleines, russisches Cafe am Rande des Parks und nahm an einem der hinteren Tische Platz. Außer ihnen war nur noch ein anderes Paar in dem Cafe. Dana ging zu seinem Platz und setzte sich.
Eine ungepflegte Kellnerin mit einer schmuddeligen Schürze kam zu ihnen. »Da?«
»Dwa köfe, paschhaljusta«, sagte Schdanoff. Er wandte sich wieder an Dana. »Ich war mir nicht sicher, ob Sie kommen, aber Sie sind sehr hartnäckig. Das kann manchmal gefährlich sein.«
»Sie haben mir in Ihrer Nachricht mitgeteilt, dass Sie mir erzählen könnten, was ich wissen möchte.«
»Ja.« Der Kaffee kam. Er trank einen Schluck und schwieg einen Moment lang. »Sie möchten wissen, ob Taylor Winthrop und seine Familie ermordet wurden.«
Danas Herz schlug einen Takt schneller. »Ist es so?«
»Ja.« Sein Flüstern klang geradezu unheimlich.
Dana fröstelte mit einem Mal. »Wissen Sie, wer sie umgebracht hat?«
»Ja.«
Sie holte tief Luft. »Wer?«
Er hob die Hand und gebot ihr Einhalt. »Ich werde es Ihnen sagen, aber erst müssen Sie etwas für mich tun.«
Dana blickte ihn an. »Was?«, sagte sie vorsichtig.
»Bringen Sie mich aus Russland weg. Ich bin hier nicht mehr sicher.«
»Wieso gehen Sie nicht einfach zum Flughafen und fliegen weg? Soweit ich weiß, sind Reisen ins Ausland nicht mehr verboten.«
»Liebe Miss Evans, Sie sind naiv. Sehr naiv. Es stimmt, es ist nicht mehr wie seinerzeit unter dem Kommunismus, aber wenn ich versuchen würde, was Sie mir vorschlagen, würde man mich töten, bevor ich auch nur in die Nähe des Flughafens komme. Hier haben die Wände noch immer Augen und Ohren. Ich bin in großer Gefahr. Ich benötige Ihre Hilfe.«
Es dauerte einen Moment, bis Dana seine Worte verdaut hatte. Bestürzt blickte sie ihn an. »Ich kann Sie nicht - ich wüsste nicht, wie ich das anstellen soll.«
»Sie müssen. Sie müssen einen Weg finden. Mein Leben ist in Gefahr.«
Dana dachte kurz nach. »Ich kann mit dem amerikanischen Botschafter reden und -«