»Nein!«, versetzte Sascha Schdanoff scharf.
»Aber das ist die einzige Möglichkeit -«
»Ihre Botschaft hat Verräterohren. Niemand außer Ihnen und den Leuten, die Ihnen helfen, darf etwas davon erfahren. Ihr Botschafter kann mir nicht helfen.«
Dana war mit einem Mal entmutigt. Es war völlig ausgeschlossen, dass sie einen hohen russischen Kommissar außer Landes schleusen konnte. Ich könnte nicht mal eine Katze herausschmuggeln. Und noch etwas anderes ging ihr durch den Kopf. Die ganze Sache war womöglich ein Trick. Sascha Schdanoff hatte gar keine Informationen. Er wollte sie nur benutzen, damit er nach Amerika kam. Die ganze Reise war umsonst gewesen.
»Ich fürchte ich kann Ihnen wirklich nicht helfen, Kommissar Schdanoff«, sagte Dana. Wütend stand sie auf.
»Warten Sie! Sie möchten Beweise? Ich werde Ihnen Beweise liefern.«
»Was für Beweise?«
Es dauerte eine Zeit lang, bis er antwortete. »Sie zwingen mich, etwas zu tun«, sagte er schließlich mit schleppender Stimme, »was ich nicht tun möchte.« Er erhob sich. »Sie kommen mit mir.«
Eine halbe Stunde später gingen sie durch einen privaten Hintereingang zu Sascha Schdanoffs Diensträumen im Büro für internationale Wirtschaftsentwicklung.
»Ich könnte exekutiert werden für das, was ich Ihnen erzählen werde«, sagte Sascha Schdanoff, als sie dort eintrafen. »Aber ich habe keine andere Wahl.« Hilflos breitete er die Arme aus. »Weil ich getötet werde, wenn ich hier bleibe.«
Dana sah zu, wie Schdanoff zu einem großen, in die Wand eingelassenen Safe ging. Er stellte die Zahlenkombination ein, zog die Tür auf und nahm ein dickes Buch heraus. Er trug es zum Schreibtisch.
»Das ist streng geheimes Material«, erklärte Kommissar Schdanoff Dana. Er schlug das Buch auf.
Dana schaute genau hin, als er langsam umblätterte. Auf jeder Seite waren Farbfotos von diversen Bombern, Raketenwerfern, Luftabwehrraketen, Luft-Boden-Raketen, Schnellfeuerwaffen, Panzern und Unterseebooten abgebildet.
»Das ist das komplette russische Waffenarsenal.« Es wirkte gewaltig, tödlich.
»In diesem Moment besitzt Russland mehr als eintausend Interkontinentalraketen, mehr als zweitausend Atomsprengköpfe und siebzig strategische Bomber.« Er deutete auf die diversen Waffen, während er umblätterte. »Das ist der Awl ... Acrid ... Aphid ... Anab ... Archer ... Unser Atomwaffenarsenal kann mit dem der Vereinigten Staaten mithalten.«
»Ganz schön eindrucksvoll.« »Das russische Militär hat große Probleme, Miss Evans. Wir stecken in einer Krise. Es ist kein Geld vorhanden, um die Soldaten zu bezahlen, und die Moral ist sehr schlecht. Der Präsident bietet uns wenig Anlass zur Hoffnung, und die Zukunft sieht noch schlechter aus, daher ist das Militär gezwungen, sich der Vergangenheit zuzuwenden.«
»Ich - ich fürchte, ich verstehe nicht recht, wie das -«, setzte Dana an.
»Als Russland noch eine wirkliche Supermacht war, stellten wir mehr Waffen als die Vereinigten Staaten her. All diese Waffen liegen nun hier herum. Es gibt dutzende Länder, die gierig darauf sind. Sie sind Milliarden wert.«
»Kommissar«, sagte Dana geduldig, »ich bin mir des Problems durchaus bewusst, aber -«
»Das ist nicht das eigentliche Problem.«
Dana blickte ihn verdutzt an. »Nein? Was denn dann?« Schdanoff wählte seine Worte mit Bedacht. »Haben Sie schon mal von Krasnojarsk-26 gehört?«
Dana schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Das erstaunt mich nicht. Es steht auf keiner Karte, und die Menschen, die dort leben, gibt es offiziell nicht.«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie werden sehen. Morgen werde ich Sie dorthin bringen. Sie werden mich mittags im gleichen Cafe treffen.« Er legte die Hand auf Danas Arm und drückte fest zu. »Sie dürfen niemandem etwas davon erzählen.« Er tat ihr weh. »Haben Sie verstanden?«
»Ja.«
»Orobopeno. Abgemacht.«
Um zwölf Uhr mittags war Dana bei dem kleinen Cafe im WDNCh-Park. Sie ging hinein, setzte sich an denselben Tisch und wartete. Eine halbe Stunde später war Schdanoff noch immer nicht aufgetaucht. Was nun?, fragte sie sich beklommen.
»Döbrij djen.« Sascha Schdanoff stand vor dem Tisch. »Kommen Sie. Wir müssen einkaufen.«
»Einkaufen?«, fragte sie ungläubig.
»Kommen Sie!«
Dana folgte ihm hinaus in den Park. »Was müssen wir kaufen?«
»Etwas für Sie.«
»Ich brauche nichts -«
Schdanoff hielt ein Taxi an, worauf sie schweigend und angespannt zu einem Einkaufszentrum fuhren. Sie stiegen aus, und Schdanoff entlohnte den Fahrer.
»Hier hinein«, sagte Sascha Schdanoff.
Sie gingen in das Einkaufszentrum und liefen an einem halben Dutzend Geschäften vorbei. Vor einem Laden, in dessen Schaufenster allerlei Reizwäsche auslag, blieb Schdanoff stehen.
»Hier.« Er führte Dana hinein.
Dana blickte sich inmitten der durchsichtigen Dessous um. »Was machen wir hier?«
»Sie werden sich umziehen.«
Eine Verkäuferin kam auf sie zu, worauf Schdanoff mit ihr ein paar Worte auf Russisch wechselte. Die Verkäuferin nickte und kehrte kurz darauf mit einem extrem kurzen rosa Minirock und einer tief ausgeschnittenen mit Bändern verzierten Bluse zurück.
Schdanoff nickte beifällig. »Da.« Er wandte sich an Dana. »Sie werden das anziehen.«
Dana fuhr zurück. »Nein! Ich denke nicht daran, so was zu tragen. Was wollen Sie -«
»Sie müssen.« Es klang bestimmt.
»Weshalb?«
»Sie werden schon sehen.«
Der Mann ist eine Art Sexbesessener, dachte Dana. Worauf, zum Teufel, habe ich mich da bloß eingelassen?
Schdanoff musterte sie. »Nun?«
Dana atmete tief durch. »Na schön.« Sie ging in die winzige Umkleidekabine und zog die Sachen an. Als sie wieder herauskam, warf sie einen Blick in den Spiegel und keuchte kurz auf. »Ich sehe aus wie eine Hure.«
»Noch nicht«, erklärte ihr Schdanoff. »Wir werden Ihnen noch etwas Make-up besorgen.«
»Kommissar -«
»Kommen Sie.«
Danas Kleidung wurde in eine Papiertüte gepackt. Dana zog ihren Wollmantel über und versuchte ihre Aufmachung so weit wie möglich zu verbergen. Wieder gingen sie quer durch das Einkaufszentrum. Passanten starrten Dana an, und gelegentlich bedachten sie die Männer mit einem wissenden Lächeln. Ein Arbeiter zwinkerte ihr zu. Dana fühlte sich beschmutzt.
»Hier hinein!«
Sie standen vor einem Kosmetikladen. Sascha Schdanoff ging hinein. Dana zögerte kurz, dann folgte sie ihm. Er begab sich an den Ladentisch.
»Ano tjomnij«, sagte er.
Die Kosmetikerin zeigte ihm einen hellroten Lippenstift und eine Dose Rouge.
»Sawirschenstwa«, sagte Schdanoff. Er wandte sich an Dana. »Tragen Sie das auf. Dick.«
Dana hatte genug. »Nein, danke. Ich weiß nicht, welches Spiel Sie treiben, Kommissar, aber ich werde dabei nicht mitmachen. Ich habe -«
Mit stechendem Blick schaute er sie an. »Ich versichere Ihnen, das ist kein Spiel, Miss Evans. Krasnojarsk-26 ist ein Sperrbezirk. Ich bin einer der wenigen Auserwählten, die Zugang dazu haben. Man erlaubt nur ein paar Außenstehenden, für einen Tag Prostituierte mitzubringen. Das ist die einzige Möglichkeit, wie ich Sie an den Posten vorbeischleusen kann. Und dazu eine Kiste guten Wodka - das ist der Eintrittspreis. Haben Sie Interesse oder nicht?«
Sperrbezirk? Posten? Wie weit wollen wir die Sache treiben? »Ja«, rang sich Dana widerwillig ab. »Ich habe Interesse.«
22
Eine Militärmaschine stand in einem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich des Flughafens Scheremetjewo II bereit. Dana stellte überrascht fest, dass sie und Sascha Schdanoff die einzigen Passagiere waren.