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»Wohin fliegen wir?«, fragte Dana.

Sascha Schdanoff bedachte sie mit einem freudlosen Lächeln. »Nach Sibirien.«

Sibirien. Dana spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. »Oh.«

Der Flug dauerte vier Stunden. Dana versuchte mehrmals mit Schdanoff ins Gespräch zu kommen, damit sie sich zunächst eine ungefähre Vorstellung davon machen konnte, was sie erwartete, doch der Kommissar saß nur schweigend und mit grimmiger Miene auf seinem Platz.

Die Maschine landete auf einem kleinen Flughafen mitten in der schlimmsten Einöde, die Dana je gesehen hatte, wo sie ein Lada 2110 auf dem vereisten Vorfeld erwartete. Dana blickte sich in der trostlosen Landschaft um.

»Dieser Ort, zu dem wir fahren - ist er weit von hier entfernt?« Und werde ich jemals zurückkommen?

»Es ist nur ein kurzes Stück. Wir müssen sehr vorsichtig sein.«

Weshalb vorsichtig?

Nach einer kurzen, holprigen Fahrt gelangten sie zu einer Art kleinem Bahnhof. Ein halbes Dutzend dick vermummter Wachposten in Uniform stand am Bahnsteig.

Als Dana und Schdanoff auf sie zugingen, glotzten die Wachen auf Danas freizügige Garderobe. Einer von ihnen deutete auf Dana und feixte. »Ti wesutschi!«

Schdanoff grinste und sagte irgendetwas auf Russisch, worauf sämtliche Posten laut loslachten.

Ich will es gar nicht wissen, dachte Dana.

Schdanoff stieg in den Zug, und Dana, die überhaupt nicht mehr wusste, wie ihr geschah, folgte ihm. Wo könnte ein Zug mitten in der öden, eisigen Tundra hinfahren? In dem Waggon war es bitterkalt.

Die Lokomotive fuhr los und ein paar Minuten später rollte der Zug in einen hell erleuchteten Tunnel, der aus dem Berg herausgehauen war. Dana blickte auf die nur wenige Zentimeter entfernten Felswände zu beiden Seiten und kam sich vor wie in einem unheimlichen, aberwitzigen Traum.

Sie wandte sich an Schdanoff. »Würden Sie mir bitte verraten, wohin wir fahren?«

Der Zug hielt ruckartig an. »Wir sind da.«

Sie stiegen aus und gingen auf ein sonderbar aussehendes Zementgebäude zu, das etwa hundert Meter entfernt war. Davor ragten zwei abschreckend wirkende Stacheldrahtzäune auf, die von schwer bewaffneten Soldaten bewacht wurden. Als Dana und Sascha Schdanoff sich dem Tor näherten, salutierten die Soldaten.

»Haken Sie sich bei mir unter«, flüsterte Schdanoff, »küssen Sie mich und lachen Sie.«

Das glaubt mir Jeff nie und nimmer, dachte Dana. Sie hakte sich bei Schdanoff unter, küsste ihn auf die Wange und rang sich ein dumpfes Lachen ab.

Das Tor ging auf, und Arm in Arm schritten sie hindurch. Neidisch blickten die Soldaten hinterher, als sich Kommissar Schdanoff mit seiner bildhübschen Hure hineinbegab. Zu Danas Erstaunen befand sich in dem Gebäude ein Aufzug, der nach unten führte. Sie waren kaum in die Kabine eingestiegen, als sich die Tür schloss.

»Wohin fahren wir«, fragte Dana, als sich der Aufzug in Bewegung setzte.

»Unter den Berg.« Der Aufzug wurde immer schneller.

»Wie tief unter den Berg?«, fragte Dana nervös.

»Einhundertachtzig Meter.«

Dana blickte ihn ungläubig an. »Wir fahren einhundertachtzig Meter tief hinab. Wieso? Was ist dort unten?«

»Sie werden schon sehen.«

Nach ein paar Minuten wurde der Aufzug langsamer. Schließlich hielt er an, und die Tür ging automatisch auf.

»Wir sind da, Miss Evans«, sagte Kommissar Schdanoff.

Aber wo?

Sie traten aus dem Aufzug und waren keine zwanzig Schritte weit gegangen, als Dana fassungslos stehen blieb. Vor ihr lag ein Straßenzug, eine moderne Stadt mit Geschäften, Restaurants und Kinos. Männer und Frauen spazierten die Gehsteige entlang, und Dana fiel auf, dass niemand einen Mantel trug. Mit einem Mal bemerkte sie, wie warm es hier war. Sie wandte sich an Schdanoff. »Wir sind tief unter dem Berg?«

»Ganz recht.«

»Aber -« Sie blickte auf die unglaubliche Szenerie, die sich vor ihr auftat. »Ich kann es nicht fassen. Was ist das hier?«

»Wie gesagt. Krasnojarsk-26.«

»Ist das eine Art Luftschutzbunker?«

»Ganz im Gegenteil«, erwiderte er rätselhaft.

Wieder blickte Dana auf all die modernen Gebäude ringsum. »Kommissar, was soll das Ganze hier?«

Er bedachte Dana mit einem langen, scharfen Blick. »Sie wären besser beraten, wenn Sie das, was ich Ihnen erzählen werde, nicht wüssten.«

Dana war mit einem Mal wieder mulmig zu Mute.

»Wissen Sie etwas über Plutonium?«

»Nicht allzu viel, nein.«

»Plutonium ist der Hauptbestandteil von Atomsprengköpfen. Der einzige Daseinszweck von Krasnojarsk-26 ist die Herstellung von Plutonium. Hunderttausend Wissenschaftler und Ingenieure leben und arbeiten hier, Miss Evans. Anfangs bekamen sie nur das Beste vom Besten, egal ob Lebensmittel, Kleidung oder Unterkunft. Aber sie alle sind unter einer Auflage hier.«

»Ja?«

»Sie müssen sich damit einverstanden erklären, dass sie hier nie wieder weggehen.«

»Sie meinen -«

»Sie können nicht fort. Sie dürfen keinen Besuch empfangen. Sie sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten.«

Dana betrachtete die Menschen, die auf den angenehm warmen Straßen unterwegs waren. Das darf nicht wahr sein, dachte sie. »Wo wird das Plutonium hergestellt?«

»Ich werde es Ihnen zeigen.« Eine Elektrobahn näherte sich. »Kommen Sie.« Schdanoff stieg in den Zug und Dana folgte ihm. Sie fuhren die belebte Hauptstraße entlang und dann durch ein Labyrinth schummriger Stollen.

Dana versuchte sich den unglaublichen Aufwand vorzustellen, der über Jahre hinweg getrieben worden sein musste, um diese Stadt zu errichten. Nach ein paar Minuten wurde es draußen heller, und kurz darauf hielt der Zug an. Sie standen am Eingang zu einem riesigen, in gleißendes Licht getauchten Laboratorium.

»Da wären wir.«

Dana blickte sich scheu um, während sie Schdanoff folgte. Drei mächtige Reaktoren befanden sich in dieser gewaltigen Felsenkammer. Zwei waren offenbar stillgelegt, doch ein dritter, von einer ganzen Schar Ingenieure umlagert, war allem Anschein nach in Betrieb.

»Die Anlagen in diesem Raum erzeugen so viel Plutonium, dass man damit alle drei Tage eine Atombombe bauen kann«, sagte Schdanoff. Er deutete auf den nicht abgeschalteten Atommeiler. »Dieser Reaktor produziert noch immer eine halbe Tonne Plutonium pro Jahr, genug für hundert Bomben. Das Plutonium, das im Raum nebenan gelagert wird, ist weit mehr wert als der ganze Zarenschatz.«

»Kommissar«, fragte Dana, »wenn schon so viel Plutonium gelagert ist, wieso stellt man dann noch mehr her?«

»Das ist, wie ihr Amerikaner sagt, der Pferdefuß dabei. Man kann den Reaktor nicht abschalten, weil er die Energie für die ganze Stadt da oben erzeugt. Wenn man kein Plutonium mehr herstellt, gibt es da droben kein Licht und keine Heizung mehr, und die Menschen erfrieren in kürzester Zeit.«

»Das ist ja furchtbar«, sagte Dana. »Wenn -«

»Warten Sie. Ich muss Ihnen noch etwas viel Schlimmeres mitteilen. Wegen der Wirtschaftslage in Russland ist kein Geld für die Wissenschaftler und Ingenieure vorhanden, die hier arbeiten. Sie haben seit Monaten keinen Lohn erhalten. Die schönen Wohnungen, die man ihnen vor Jahren zugeteilt hat, sind mittlerweile heruntergekommen, aber es ist kein Geld für die notwendigen Reparaturen vorhanden. Von der einstigen Vorzugsbehandlung ist nichts geblieben. Die Menschen hier sind verzweifelt. Begreifen Sie den ganzen Widersinn? Das Plutonium, das hier gelagert wird, ist wer weiß wie viele Milliarden Dollar wert, doch die Menschen, die es herstellen, wissen nicht mehr, wovon sie leben sollen.«