»Und Sie glauben, sie könnten möglicherweise einen Teil dieses Plutoniums ins Ausland verkaufen?«, sagte Dana bedächtig.
Er nickte. »Bevor Taylor Winthrop zum Botschafter ernannt wurde, berichteten ihm Freunde von Krasnojarsk-26 und fragten ihn, ob er ein gutes Geschäft machen möchte. Nachdem er mit einigen Wissenschaftlern gesprochen hatte, die sich von ihrer Regierung verraten vorkamen, war Winthrop einverstanden. Aber die Sache war komplizierter, als er dachte, und so musste er warten, bis alle Einzelheiten geklärt waren.«
Er war wie von Sinnen. Er hat irgend so was ähnliches gesagt wie »Alle Einzelheiten sind geregelt.« Dana bekam kaum noch Luft.
»Kurz darauf wurde Taylor Winthrop amerikanischer Botschafter in Russland. Winthrop und sein Kompagnon wurden mit einigen aufbegehrenden Wissenschaftlern handelseinig und begannen Plutonium ins Ausland zu schmuggeln, unter anderem nach Libyen, in den Iran und Irak, nach Pakistan, Nordkorea und China.«
Nachdem alle Einzelheiten geregelt waren! Der Botschafterposten war für Taylor Winthrop nur deshalb so wichtig gewesen, weil er vor Ort sein musste, um das ganze Unternehmen zu leiten.
»Es war einfach«, fuhr der Kommissar fort, »weil eine etwa tennisballgroße Menge an Plutonium für den Bau einer Atombombe ausreicht. Taylor Winthrop und sein Kompagnon verdienten Milliarden von Dollars. Sie stellten sich sehr schlau an, sodass niemand Verdacht schöpfte.« Es klang verbittert. »Russland ist zu einem Krämerladen geworden -nur dass man hier keine Seife oder Süßigkeiten kaufen kann, sondern Atombomben, Panzer, Kampfflugzeuge und Raketen jedweder Reichweite.«
Dana versuchte all das, was sie gehört hatte, zu verarbeiten. »Weshalb wurde Taylor Winthrop umgebracht?«
»Weil er zu gierig wurde und das Geschäft allein über die Bühne bringen wollte. Als sein Kompagnon erfuhr, was Winthrop vorhatte, ließ er ihn liquidieren.«
»Aber - wieso wurde die ganze Familie ermordet?«
»Nachdem Taylor Winthrop und seine Frau bei dem Brand umgekommen waren, versuchte sein Sohn Paul den Kompagnon zu erpressen. Deshalb musste Paul über die Klinge springen. Und weil womöglich auch die anderen Kinder etwas von dem Plutoniumgeschäft wussten, beschloss dieser Kompagnon, keinerlei Risiko einzugehen, ließ sie ebenfalls ermorden und sorgte dafür, dass es so aussah, als wären sie verunglückt beziehungsweise bei einem missglückten Einbruch umgekommen.«
Dana blickte ihn entsetzt an. »Wer war Taylor Winthrops Kompagnon?«
Kommissar Schdanoff schüttelte den Kopf. »Das muss Ihnen vorerst genügen, Miss Evans. Ich werde Ihnen den Namen nennen, wenn Sie mich außer Landes bringen.« Er schaute auf seine Uhr. »Wir müssen aufbrechen.«
Dana wandte sich um und warf ein letztes Mal einen Blick auf den Reaktor, der nicht abgeschaltet werden konnte, der fortwährend neues Plutonium erzeugte. »Weiß die Regierung der Vereinigten Staaten über Krasnojarsk-26 Bescheid?«
Schdanoff nickte. »O ja. Und man hat eine Heidenangst davor. Ihr Außenministerium bemüht sich nach Kräften darum, gemeinsam mit uns eine Lösung zu finden, wie man diese Atommeiler umbauen könnte, ohne dass dieses tödliche Nebenprodukt anfällt. Bis es soweit ist ...« Er zuckte die Achseln.
»Kennen Sie die FRA?«, fragte Kommissar Schdanoff, als sie wieder im Aufzug waren.
»Ja«, sagte Dana vorsichtig und musterte ihn.
»Die haben ebenfalls die Finger drin.«
»Was?« Und dann wurde ihr mit einem Mal alles klar. Deshalb hat mich General Booster ständig vergraulen wollen.
»Ich habe hier eine Wohnung«, sagte Schdanoff, als sie oben angelangt und aus dem Fahrstuhl stiegen. »Wir werden uns dorthin begeben.«
Als sie die Straße entlanggingen, fiel Dana eine Frau auf, die so ähnlich gekleidet war wie sie und sich bei einem Mann unterhakte.
»Die Frau da -«, setzte sie an.
»Wie schon gesagt. Bestimmte Männer dürfen tagsüber eine Prostituierte mitnehmen. Aber abends müssen sich die Huren in ein überwachtes Quartier begeben. Sie dürfen nicht erfahren, was hier tief unter der Erde vor sich geht.«
Unterwegs fiel Dana wieder ein, dass viele der Schaufenster leer gewesen waren.
Von der einstigen Vorzugsbehandlung ist nichts geblieben. Wegen der Wirtschaftslage in Russland ist kein Geld für die Ingenieure und Wissenschaftler vorhanden, die hier arbeiten. Sie haben seit Monaten keinen Lohn erhalten. Vor ihnen ragte ein hohes Gebäude auf, an dem sich eine Art Uhr ohne Ziffern befand.
»Was ist das?«, fragte Dana
»Ein Geigerzähler. Eine Vorsichtsmaßnahme, falls es bei einem der Reaktoren eine Havarie gibt.« Sie bogen in eine Nebenstraße ab, in der ein Wohnhaus neben dem anderen stand.
»Dort ist meine Wohnung. Wir müssen uns eine Weile dort aufhalten, damit niemand Verdacht schöpft. Das FSB überwacht alles.«
»Das FSB?«
»Ja. Das ehemalige KGB. Der Name ist ein anderer, aber ansonsten ist alles beim Alten geblieben.«
Es war eine große und einstmals vermutlich auch erstklassig ausgestattete Wohnung gewesen, die mittlerweile ziemlich vergammelt war. Die Vorhänge waren fadenscheinig, der Teppichboden abgetreten und die Sitzgarnitur verschlissen.
Dana nahm Platz und dachte über all das nach, was Schda-noff ihr über die FRA erzählt hatte. Und über Jeffs Worte. Die ganze Behörde ist eine Tarnorganisation. Die eigentliche Aufgabe der FRA besteht darin, ausländische Nachrichtendienste zu überwachen. Taylor Winthrop war einst Chef der FRA gewesen, und Victor Booster hatte unter ihm gedient.
Ich kann dir nur raten, dich von General Booster so fern wie irgendmöglich zu halten.
Und sie musste an ihre Begegnung mit Booster denken. Könnt ihr Scheißjournalisten die Toten nicht in Frieden lassen. Ich warne Sie, lassen Sie die Finger davon. General Victor Booster hatte einen Geheimdienst an der Hand, der sehr wohl jemanden beseitigen konnte.
Und Jack Stone wollte sie davor schützen. Seien Sie bitte vorsichtig. General Booster würde mir an den Kragen gehen, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen spreche ...
Die FRA hatte überall ihre Spione, und Dana kam sich mit einem Mal nackt und schutzlos vor.
Sascha Schdanoff warf einen Blick auf seine Uhr. »Wir müssen aufbrechen. Wissen Sie inzwischen, wie Sie mich außer Landes bringen wollen?«
»Ja«, sagte Dana bedächtig. »Ich glaube, ich weiß, wie es sich bewerkstelligen lässt. Aber ich brauche ein bisschen Zeit.«
Als die Maschine in Moskau landete, warteten zwei Limousinen auf dem Vorfeld. Schdanoff reichte Dana einen Zettel.
»Ich werde bei einer Freundin absteigen, in den Tschiaka-Apartments. Niemand weiß, dass ich dort bin. Es handelt sich um eine Art sicheres Haus, wie man bei Ihnen sagen würde. Hier ist die Adresse. Ich kann nicht in meine Wohnung zurück. Kommen Sie heute Abend um acht Uhr dort vorbei. Ich muss über Ihren Plan Bescheid wissen.«
Dana nickte. »Na schön. Aber ich muss noch einen Anruf erledigen.«
Die Frau an der Rezeption starrte Dana an, als sie ins Foyer des Sojus-Hotels trat. Ich kann ’s ihr nicht verübeln, dachte Dana. Ich muss diese scheußlichen Klamotten loswerden.
Sobald Dana auf ihrem Zimmer war, zog sie wieder ihre eigenen Sachen an, bevor sie zum Telefon griff. Sie betete, während sie auf das Klingelzeichen lauschte. Bitte seid da. Bitte seid da. Dann meldete sich gottlob Cesar.
»Bei Hudson.«
»Cesar, ist Mr. Hudson da?« Dana bemerkte, dass sie unwillkürlich den Atem anhielt.
»Miss Evans! Wie schön, dass Sie von sich hören lassen. Ja, Mr. Hudson ist da. Einen Moment bitte.«
Dana stellte fest, dass sie vor Erleichterung zitterte. Wenn ihr irgendjemand dabei helfen konnte, Sascha Schdanoff in die Vereinigten Staaten zu bringen, dann war es Roger Hudson.