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«Iss deine Suppe«, sagte Deborah.»Du bleibst übrigens über Nacht.«

«Kommt nicht in Frage. Das kann ich nicht — «

«Quatsch! Deine Kleider sind im Trockner und brauchen noch eine Weile. Du willst doch nicht jetzt, mitten in der Nacht, wieder losziehen und dir ein Hotel suchen?«

«Deborah hat Recht«, mischte sich Simon ein.»Platz ist genug. Wir freuen uns, wenn Sie bleiben.«

Cherokees Gesicht spiegelte Erleichterung und Dankbarkeit.»Danke. Ich komme mir vor. «Er schüttelte den Kopf.»Ich komme mir vor wie ein kleines Kind, das im Supermarkt verloren gegangen ist. Ihr kennt das doch sicher. Es merkt erst, dass die Mutter weg ist, wenn es von dem aufschaut, wovon es bis zu diesem Moment so gefesselt war — von einem Comic-Heft zum Beispiel — , und kriegt die große Panik. Genauso fühle ich mich. Hab ich mich gefühlt.«

«Jetzt bist du ja in Sicherheit«, beruhigte ihn Deborah.

«Ich wollte nicht auf euren Anrufbeantworter sprechen, als ich bei euch angerufen habe«, erklärte Cherokee.»Ich wollte nicht, dass es dich wie eine kalte Dusche trifft, Debs. Darum hab ich beschlossen, zu euch zu fahren, aber ich habe mich in der Untergrundbahn total verirrt und bin in Tower Hill gelandet, bevor ich begriffen hatte, wo ich falsch umgestiegen war.«

«Scheußlich«, murmelte Deborah.

«So ein Pech«, sagte Simon.

Ein Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, nur vom Geräusch des Regens durchbrochen, der auf die Steinplatten draußen vor der Küchentür prasselte und an den Fensterscheiben herabströmte. Drei Menschen — und ein hoffnungsvoller Hund — in einer mitternächtlichen Küche. Aber sie waren nicht allein. Die Frage stand im Raum. Sie schwebte unter ihnen wie ein lebendiges Geschöpf, dessen geräuschvoller Atem nicht überhört werden konnte. Weder Deborah noch ihr Mann griffen sie auf, und das brauchten sie auch gar nicht.

Cherokee tauchte den Löffel in die Suppenschale, führte ihn zum Mund und ließ ihn wieder sinken, ohne von der Suppe gekostet zu haben. Einen Moment lang hielt er den Blick gesenkt, dann hob er den Kopf und sah von Deborah zu ihrem Mann.

«Also, es war so«, begann er.

Es sei alles seine Schuld, erklärte er. Ohne ihn wäre China gar nicht erst auf die Idee gekommen, nach Guernsey zu reisen.

Aber er hatte Geld gebraucht, und als ihm dieser Auftrag angeboten worden war, ein Päckchen von Kalifornien auf die Kanalinseln zu befördern und dafür nicht nur den Flug, sondern auch noch ein Honorar bezahlt zu bekommen — na ja, so was konnte man doch nicht ausschlagen!

Er hatte China gebeten, mit ihm zu fliegen, weil der Auftrag vorsah, dass ein Mann und eine Frau gemeinsam die Ware beförderten, und auch zwei Tickets bereitlagen. Warum nicht? hatte er sich gedacht. Warum nicht China fragen? Die kam doch sowieso nie aus ihren vier Wänden raus.

Er hatte sie überreden müssen. Das nahm ein paar Tage in Anspruch, aber sie hatte gerade mit Matt Schluss gemacht — Debs erinnere sich doch sicher an Chinas Freund, den Filmemacher, mit dem sie seit Ewigkeiten zusammen war? — und fand schließlich, ein Tapetenwechsel könnte ihr nur gut tun. Sie hatte ihn angerufen, um ihm Bescheid zu geben, und er hatte alles Nötige veranlasst. Sie sollten das Päckchen in Tustin, südlich von LA, abholen und nach Guernsey zu einem Ort in der Nähe von St. Peter Port bringen.

«Was war denn in dem Päckchen?«Deborah stellte sich eine Festnahme wegen Drogenbesitzes am Flughafen vor, mit knurrenden Hunden, die China und Cherokee zähnefletschend bedrohten.

Nichts Verbotenes, antwortete Cherokee. Baupläne. Der Anwalt, der ihn angeheuert hatte -

«Ein Anwalt?«, warf Simon ein.»Nicht der Architekt?«

Nein. Cherokee war von einem Anwalt beauftragt worden, und China hatte das verdächtig gefunden, noch verdächtiger als die üppige Bezahlung und die kostenlosen Flugtickets. Sie hatte deshalb darauf bestanden, das Päckchen vor Antritt der Reise zu öffnen.

Wenn China gefürchtet hatte, die Versandröhre, die ziemlich umfangreich war, enthalte Drogen, Waffen, Sprengstoff oder irgendeine andere Schmuggelware, die sie beide ins Gefängnis bringen würde, so legten sich ihre Befürchtungen, sobald sie den Inhalt sah. Es waren Baupläne, wie angegeben. Sie war beruhigt. Ebenso Cherokee, den Chinas Misstrauen, wie er zugab, nervös gemacht hatte.

Sie waren also nach Guernsey geflogen, um die Pläne abzugeben, und hatten vorgehabt, von dort aus nach Paris und Rom weiterzurei- sen. Eine große Tour würde es nicht werden: Die konnten sie sich beide nicht leisten und wollten deshalb in jeder Stadt nur zwei Tage verbringen. Aber in Guernsey erfuhren ihre Pläne eine unerwartete Änderung. Sie hatten mit einem schnellen Austausch am Flughafen gerechnet: Papiere gegen die vereinbarte Bezahlung -

«In welcher Größenordnung?«, erkundigte sich Simon.

Fünftausend Dollar, antwortete Cherokee und fügte angesichts ihrer ungläubigen Mienen hastig hinzu, klar, das sei echt der Wahnsinn und es sei auch der Hauptgrund dafür gewesen, dass China darauf bestanden hatte, das Päckchen aufzumachen, denn wer, zum Teufel, sei so verrückt, einen solchen Haufen Geld für die simple Beförderung eines Pakets von Los Angeles nach Europa hinzulegen?

Doch wie sich dann herausstellte, ging es bei dem ganzen Deal um wahnsinnige Beträge. Der Mann, für den die Baupläne bestimmt waren, hatte Geld wie Heu und offenbar die Gewohnheit, damit nach Lust und Laune um sich zu werfen.

Aber am Flughafen wurden sie nicht, wie erwartet, von einem Beauftragten mit einem Scheck oder einem Aktenkoffer voll Geld abgeholt, sondern von einem einsilbigen Mann namens Kevin Soundso, der sie in einen Lieferwagen verfrachtete und zu einem sehr coolen Landsitz einige Kilometer entfernt fuhr.

China habe wahnsinnige Angst bekommen bei dieser Wendung der Ereignisse, die ja echt einigermaßen beunruhigend gewesen sei: Plötzlich mit einem wildfremden Typen, der keine fünf Wörter zu ihnen sagte, in einem Auto eingesperrt, das sei schon sehr seltsam gewesen. Aber es habe auch etwas Abenteuerliches gehabt, und Cherokee selbst sei fasziniert gewesen.

Der Wagen brachte sie zu einem imposanten Herrenhaus, das mitten in einem Riesenanwesen thronte. Das Haus war uralt — und komplett restauriert — , und in China erwachte bei seinem Anblick sofort das Interesse der Fotografin. Hier war eine ganze Doppelseite für den Architectural Digest und wartete nur darauf, von ihr fotografiert zu werden.

Spontan beschloss sie, Aufnahmen zu machen. Nicht nur vom Haus, sondern von dem ganzen weitläufigen Besitz mitsamt Park und Teich und vorgeschichtlicher Grabstätte. Sie wusste, dass sich ihr hier eine Gelegenheit bot, die vielleicht nie wiederkommen würde, und war bereit, Zeit, Geld und Arbeit zu investieren, obwohl gar nicht sicher war, dass sie einen Abnehmer für die Bilder finden würde.

Cherokee hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt. Er beschloss, in der Zeit, die sie brauchen würde — vielleicht zwei Tage, wie sie meinte — , die Insel zu erkunden, die so weit ganz cool zu sein schien. Die Frage war nur, ob der Besitzer mitmachen würde. Manche Leute mochten ihre Häuser nicht in Zeitschriften abbilden lassen, weil sie fürchteten, das könnte Einbrecher auf dumme Gedanken bringen.

Aber Guy Brouard, so hieß der Mann, dem das Anwesen gehörte, gefiel die Idee. Er lud Cherokee und China ein, über Nacht oder auch länger zu bleiben und sich so viel Zeit wie nötig für die Fotos zu nehmen. Meine Schwester und ich leben ganz allein hier, sagte er. Besuch ist uns immer eine willkommene Abwechslung.

Wie sich zeigte, war auch der Sohn des Mannes da, und Cherokee dachte zunächst, Brouard hoffe vielleicht, China und sein Sohn würden sich zusammentun. Aber der Sohn war ein ungeselliger Typ und ließ sich nur zu den Mahlzeiten sehen. Dafür war die Schwester sehr nett, und Brouard selber auch. Cherokee und China fühlten sich wie zu Hause.

China und Guy fuhren gleich total auf einander ab. Sie interessierten sich beide für Architektur — sie von Berufs wegen, er weil er ein Gebäude plante. Er nahm sie sogar mit zu dem Platz, auf dem das Projekt entstehen sollte, und zeigte ihr diverse Gebäude auf der Insel, die geschichtliche Bedeutung hatten. China solle die ganze Insel fotografieren, sagte er, einen Bildband über Guernsey machen. So klein die Insel sei, sie habe eine ereignisreiche und lange Geschichte, die sich in ihren Bauten spiegle.