„Ihr glaubt gar nicht, wie befreiend diese Frage in der Situation war. Ich war so froh, ihm etwas Gutes tun zu können. Nachdem er sich die Zigarette angesteckt hatte, sagte er: >Let's go in the shadow.< Da standen wir dann stumm nebeneinander im Schatten der Akazie. Ich kann euch versichern, dass ich schon lange nicht mehr so sehnsüchtig auf jemanden gewartet habe wie heute auf euch!“, beendet Klaus seine Erzählung, die uns vor Lachen Tränen in die Augen treibt. Die beschriebene Haltung meines Ex-Mannes und seinen misstrauischen starren Blick kann ich mir lebhaft vorstellen, so dass mir Klaus noch im Nachhinein Leid tut.
Abgesehen von dieser Episode sind wir uns alle einig, dass der heutige Empfang und auch das Verhalten von Lketinga unsere positivsten Erwartungen übertroffen haben. Ich bin glücklich und nehme einen letzten Schluck.
Die Herren klettern auf die Autos und verschwinden in ihren Zelten. Ich krieche in mein Igluzelt und richte mich mit dem Schlafsack gemütlich ein. Draußen sitzen die Fahrer und unterhalten sich noch leise. Im Dorf blöken vereinzelt Ziegen und dazwischen bellt kurz ein Hund. Die Menschenstimmen hören sich auf die Distanz wie ein Gemurmel an. Allzu gerne würde ich wissen, was Mama, Lketinga und alle anderen über uns denken und wie sie unseren ersten gemeinsamen Tag erlebt haben. Ich für meinen Teil bin sehr froh über die bis jetzt gelungene Rückkehr und spüre eine wohlige innere Wärme. Ob sie es auch so empfinden?
In Mamas Manyatta
Am nächsten Morgen bin ich schon zeitig wach. Etwas gerädert krieche ich aus dem Zelt und beobachte, wie der rote Sonnenball langsam hinter den Bergen auftaucht. In unserem Camp ist noch alles ruhig. Ich „wasche“ mich mit Erfrischungstüchern und genieße den Sonnenaufgang. Bald erwachen auch meine Begleiter. Wir trinken gerade unseren Frühstückstee, als bereits Lketinga bei uns erscheint. Im Gegensatz zu gestern trägt er heute europäische Kleidung, eine lange Hose, ein T-Shirt und normale Halbschuhe. Er begrüßt jeden mit Handschlag, erkundigt sich, wie wir geschlafen haben, und steuert dann in Richtung meines Zeltes. Wie selbstverständlich öffnet er den Reißverschluss und kontrolliert mit einem Blick, wie es in meinem Zelt nach dieser Nacht aussieht.
Früher, als seine Ehefrau, wäre ich verärgert gewesen, doch jetzt kann ich mir vor Staunen kaum das Lachen verkneifen.
Nachdem er sich zu uns gesetzt hat, besprechen wir, wie der heutige Tag gestaltet werden könnte. Er teilt uns mit, dass James mit dem Motorrad zur Schule fahren muss, weil heute eine Kontrollkommission aus Nairobi erscheinen wird. Sein älterer Bruder sei noch hier, möchte aber bald nach Hause marschieren, bevor die Hitze zu groß wird. Bevor er aufbricht, möchte ich ihm natürlich noch seine Geschenke überreichen. Am Vormittag könnten wir dann zum Fluss hinuntergehen und anschließend das Dorf besichtigen.
Lketinga ist einverstanden und so brechen wir langsam auf und schlendern zu Mamas Manyatta, vor der im Schatten Papa Saguna sitzt. Freundlich begrüßt er uns und erklärt in Maa, dass er sich auf den Heimweg begeben möchte, damit er morgen Saguna hierher schicken kann. Schnell laufe ich in James' Haus, wo sich die Tasche mit den Geschenken befindet, und hole eine karierte Samburu-Decke und ein flauschiges orangenes Flanellhemd hervor. Als ich diese schlichten Gaben dem staunenden Papa Saguna überreiche, scheint er sich wirklich und von Herzen zu freuen. Er bedankt sich mit den Worten: „Ke subat, ke supati pi, schön, wirklich sehr schön.“ Wir werden ihn sicher noch einmal sehen, bevor wir Weiterreisen, da uns zu Ehren ein Fest geplant ist. Genaueres können wir dann seiner Tochter Saguna mitteilen. Nach einem kurzen Abschied verlässt er mit seinem grünen Hut auf dem Kopf und der neuen Decke um die Hüften mit leichtem Schritt den Kral.
Wie in früheren Zeiten bitte ich nun bei Mama mit dem Wort „Godie?“ um Einlass in die Manyatta. Erhalte ich als Antwort ein „Karibu“, darf ich eintreten. Mama heißt mich willkommen und so trete ich nach mehr als vierzehn Jahren in gebückter Haltung wieder in eine Manyatta. Ich balanciere an der Feuerstelle vorbei, um dahinter auf dem Kuhfell Platz nehmen zu können. Vor Aufregung passe ich nicht auf und schon habe ich mir am Oberarm eine kleine blutende Schürfwunde zugezogen, da ich an einem der zahlreichen aus der Wand stehenden Weidenäste hängen geblieben bin.
Mama hat für alle Chai auf der Feuerstelle zubereitet. Im Arm hält sie James' kleines Baby und schaukelt es liebevoll, während sie ihm etwas vorsingt. Von dem Kind sehe ich nur die kleinen nackten Beinchen, die unter einem Kleid hervorschauen. Der Kopf ist mit einer großen Mütze bedeckt, so dass man das Gesichtchen nicht sehen kann. Ich erinnere mich an die Tradition, dass man die Neugeborenen die ersten paar Wochen niemandem außer den engsten Familienmitgliedern zeigt. Da die Samburu an eine Art Zauber glauben, fürchten sie, dass dem Neugeborenen etwas Schlechtes angewünscht werden und ihm ein Unglück oder gar der Tod drohen könnte. Als ich mit unserer Tochter Napirai endlich aus dem Spital nach Hause kam und jedem voller Stolz mein süßes Mädchen zeigen wollte, wurde ich von Mama angehalten, das Kind im Haus zu lassen oder, wenn ich mich mit ihr draußen aufhalten wollte, das Gesicht mit einem Tuch abzudecken. Mir brach das jedes Mal fast das Herz.
Mama lässt das Baby von einem der jungen Mädchen im Kral zu seiner Mutter bringen.Trotz des leichten Rauches fühle ich mich sofort wohl in der Manyatta und nehme den Chai gerne entgegen. Lketinga lässt sich neben mir nieder, während sich Klaus und Albert nach der Begrüßung außen neben den Eingang setzen. Mama sitzt uns gegenüber auf ihrem Kuhfell. Diese Ecke ist ihr persönlicher Bereich und darf außer von ihr nur von ganz kleinen Kindern betreten werden. Hinter ihr ist ein Teil der Wand mit einem Stück Wellblech geschützt, vor dem eine alte Decke liegt. Darüber hängt zusammengebunden ein verrußtes Moskitonetz. An der Seite steht ihre persönliche, abschließbare Metallkiste, deren Schlüssel sie immer um den Hals trägt. In dieser Kiste sind die wenigen wichtigen Dinge ihres langen Lebens verstaut. Nebenbei dient sie als Abstellfläche für zwei Teebecher und verschiedene Büchsen. Neben der Feuerstelle stehen der Teetopf und eine schwarz verrußte Pfanne.
Zwischen einem ihrer nackten Füße und der Feuerstelle liegt der abgetrennte, blutverkrustete Ziegenkopf von der gestrigen Schlachtung. Den wird sie sicher im Laufe des Tages garen. An einer Trennwand vor mir ist ein kleines neugeborenes Zicklein angebunden und döst vor sich hin. Neben mir steht eine weitere Metallkiste, auf der ich einige Utensilien von Lketinga erkenne. Deshalb nehme ich an, dass er vorläufig bei Mama wohnt, während seine junge Frau hier irgendwo eine neue Hütte aufbaut, da ihm die Samburu-Sitte nicht erlaubt, mit der dritten Frau in die Manyatta seiner zweiten Frau einzuziehen. Eigentlich hatte ich ja den Wunsch, eine Nacht in der Manyatta von Mama zu verbringen. Aber nach dem, was ich gerade wahrgenommen habe, sollte ich davon lieber Abstand nehmen. Schließlich möchte ich keine unnötigen Aufregungen verursachen.
Während ich den heißen Tee schlürfe, verfolge ich die Unterhaltung zwischen Lketinga und seiner Mutter.
Endlich das lang ersehnte Wiedersehen mit Mama
Innige Begrüßung
Wie früher gemeinsam in Mamas Behausung
Hier stand damals unsere Manyatta
Sie wird immer energischer und ich frage nach, was los ist. Mama sei verärgert, weil es keinen Mais mehr gäbe und sie für die Kinder kein Ugali mehr kochen könne. Auch würde sie schon von einigen Frauen geneckt, weil wir ihr bis jetzt keine Geschenke in Form von Lebensmitteln überreicht hätten. Lketinga erklärt ihr, dass James gestern alles in sein Haus verfrachtet hat und wir mit ihm heute Abend, wenn er zurück ist, gemeinsam die Geschenke verteilen wollten. Das scheint sie zu besänftigen und sie sieht wieder zufrieden aus. Da es allerdings, wenn man Hunger hat, bis zum Abend allzu lange dauert, holen wir einen der mitgebrachten Maismehlsäcke.