Выбрать главу

Mama bedankt sich wie gewohnt mit einem eher finsteren Gesichtsausdruck, der seine Erklärung findet, als kurz darauf mehrere Frauen um Einlass in die Hütte bitten. Wir machen Platz und gehen nach draußen, da wir uns sowieso auf den Weg zum Fluss machen möchten.

Am Fluss

Bei meiner Spurensuche möchte ich mit dem Platz beginnen, wo unsere frühere Manyatta stand. Durch dorniges Savannengelände stapfen wir zur gegenüberliegenden Seite des Dorfes. Klaus hat wie immer seine Filmkamera, Albert einen Fotoapparat dabei. Als wir die Anhöhe erreichen, sehe ich nur noch einige wenige vertrocknete Dornenzweige, die an den ehemaligen Kral erinnern. Am sandigen rotbraunen Boden ist nichts mehr zu erkennen. Nur die Akazie, unter der sich Mama immer mit den Kindern aufhielt, steht einsam und verloren da.

Lketinga und ich erzählen unseren beiden Begleitern, wie wir hier gelebt haben. Anschließend marschieren wir den gleichen Weg zum Fluss, den ich jahrelang benutzte, um mein tägliches Trinkwasser zu holen oder mich und die Kleider zu waschen. Im Gegensatz zu früher, als ich auf diesem Weg ständig Frauen traf, begegnen wir heute niemandem, da sich ja neuerdings eine Wasserstelle im Dorf befindet.

Lketinga nimmt wie selbstverständlich meinen Rucksack und schultert ihn. Wir gehen voraus und er fragt mich:

„You remember this way?“ Ich antworte, dass ich mich so gut erinnere, als wäre es gestern gewesen.

Schweigend gehen wir weiter. Ab und zu bleibt mein Rock an einem Dornenast hängen. Hier in Barsaloi ziehe ich bewusst nur Röcke an, da Hosen für Frauen als „unsittlich“ gelten.

Wir haben den Fluss fast erreicht, als Lketinga beginnt, über den Film und das Buch zu sprechen. In vorwurfsvollem Ton fragt er: „Warum spielt jemand mich und ist doch nicht ich? Wofür kann das gut sein?

Kennst du diesen Mann? Was hat er mit uns zu tun?“ Gerade noch in meine Erinnerungen an damals vertieft, bin ich zunächst völlig überrumpelt. Vorsichtig versuche ich ihm zu erklären, dass die Personen im Film nichts mit uns zu tun haben: „Auch ich spiele ja nicht mich, sondern eine Frau, die du nicht kennst. Mama ist auch nicht Mama und James ist nicht James. Das ist normal bei einem Film. Viele Menschen in Europa lieben unsere Geschichte und möchten außerdem sehen, wie es hier aussieht. Der Film zeigt es ihnen, ohne dass sie hierher reisen müssen.“

Aufmerksam hört er zu, schweigt einen Augenblick und fährt fort: „Aber immer wieder kommen fremde Leute zu uns und erzählen, dass du mich betrügen willst. Dass du in der Schweiz ein eigenes Flugzeug hast, viele Häuser und große Autos besitzt.“ Diese absurden Vorwürfe machen mich im ersten Moment sprachlos, doch nach einer Weile frage ich ihn, welche Leute diese Lügen erzählen. Da antwortet er: „Ich kenne diese Personen nicht, aber sie kommen von überall, auch aus der Schweiz, und vielleicht kennen sie dich. Ich weiß nicht, ob das alles stimmt. Manchmal kommen Krieger von der Küste nach Hause und erzählen auch solche Geschichten.“

Ich fühle mich gekränkt und bin gleichzeitig traurig. Dennoch versuche ich Ruhe zu bewahren, als ich, wenn auch in einem etwas energischeren Ton, entgegne: „Diese Leute kennst du nicht! Mich aber kennst du seit achtzehn Jahren. Ich habe in Barsaloi gelebt und habe alles versucht, hier mit dir glücklich zu sein und zu überleben. Es hätte mich mein Leben gekostet, wenn ich geblieben wäre. Aber ich unterstütze deine Familie, seit ich dieses Land völlig mittellos verlassen habe. Meinst du, das ist normal? Meinst du, wenn ich ein schlechter Mensch wäre, hätte ich mich all die Jahre um dich und deine Familie gekümmert? In meinem Land ist es nicht üblich, dass eine Frau, wenn sie weggeht, den Mann unterstützt. Ich habe euch sogar geholfen, als ich keine Arbeit hatte, und nach dem Erfolg des Buches umso mehr. Auch der Verlag und die Filmleute helfen euch. Glaubst du, du hättest all dies an meiner Stelle für mich getan?“

Er schaut mich an und sagt etwas ruhiger: „Nein, ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht. Ich verstehe auch nicht, warum mir immer wieder Leute solche Geschichten erzählen. Es sind schon Journalisten gekommen und wollten, dass ich etwas Schlechtes über dich erzähle. Denen habe ich gesagt, dass du immer noch meine Frau bist, auch wenn du jetzt in der Schweiz lebst. Dass du mir hilfst und ich nicht weiß, warum ich etwas Schlechtes sagen soll. Denn du gehörst nach wie vor zu unserer Familie und bist die Mama meines Kindes. Ich habe einfach nicht mehr mit diesen Leuten gesprochen.“

Das sei wahrscheinlich das Beste, bestärke ich ihn und versuche ihm zu erklären, dass vieles mit Neid zu tun hat.

Ich erinnere ihn an unsere Zeit in Mombasa, als so viele Intrigen gegen uns gesponnen wurden. Viele so genannte Freunde waren gegen uns, weil ich jung, hübsch und für afrikanische Verhältnisse vermögend war.

„Und heute ist es so, dass ihr Unterstützung bekommt. Ihr habt eine große Tierherde, James besitzt ein Haus und auch du bekommst durch die Filmleute zusätzlich ein richtiges Holzhaus. Wenn ihr mit dem Geld gut umgeht, braucht ihr nicht mehr zu hungern. Und das alles nur, weil du einmal den Mut 83

hattest, eine Weiße zu heiraten. Ich glaube, so sehen es die Menschen. Es liegt doch auf der Hand, dass das Eifersucht erzeugt und viele Unbeteiligte versuchen, unser gutes Verhältnis zu zerstören, indem sie schlechte Dinge erfinden. Wahr ist, dass ich ein Auto in der Schweiz habe. Doch ich besaß schon immer einen Wagen, auch in Afrika. Mir gehört kein Haus, wie dir fremde Leute erzählen, sondern ich zahle jeden Monat Miete dafür. Und über die Geschichte von dem eigenen Flugzeug kann ich nur lachen.“

Tatsächlich kann ich mir, trotz aller Traurigkeit über die Missgunst mancher Menschen, bei der Vorstellung, im eigenen Flugzeug durch die Gegend zu Jetten, ein" Lächeln nicht verkneifen. Lketinga dagegen schaut etwas betreten und sagt mit seiner kratzigen Stimme: „It's okay, now I believe you, really. Jetzt, wo du mir alles erklärst, glaube ich dir. Aber manchmal weiß ich einfach nicht mehr, was stimmt. Auch James erzählt so vieles und ich muss es einfach glauben, obwohl ich manchmal daran zweifle. Ich glaube, weil er zur Schule gegangen ist, möchte er Karriere machen wie ein Minister. Ich aber bin ein Samburu, ein wirklich echter Samburu, und habe meine Tiere und meine Familie. This is okay for me.“

Ich nehme die Hand meines Ex-Mannes und schaue ihn an, während ich eindringlich sage: „Ich wäre nicht hierher zurückgekommen, wenn ich je absichtlich etwas Unrechtes getan hätte. Als ich wegging, wollte ich nichts anderes, als mein Leben schützen. Und ich glaube, du kannst auch deinem Bruder vertrauen. Wem willst du denn sonst glauben, wenn nicht der eigenen Familie?“ Nach diesen Worten wende ich mich ab, um meine Emotionen unter Kontrolle zu bringen, da Albert und Klaus uns schon fast erreicht haben.

Mittlerweile sind wir am trockenen Flussbett angelangt und ich bin froh, dass hier gerade viel Betrieb herrscht.

Direkt vor uns stehen einige Kamele um ein Wasserloch, aus dem ein fröhliches Singen ertönt. In einem gleichmäßigen Rhythmus schießen zwei Arme aus dem Loch und gießen geschickt aus 84

einem Eimer Wasser in eine Mulde, die mit einer Plastikplane ausgelegt ist. Die Kamele schlürfen sofort das köstliche Nass weg. Als wir näher treten, wenden sich die Tiere ab und traben langsam davon. Der Krieger, zu dem die Arme gehören, blickt nach oben, hört auf zu singen und steigt aus der Grube. Er schaut uns misstrauisch an, während er Lketingas Begrüßungsfloskeln beantwortet, und geht gemächlich den Kamelen hinterher. Aus allen Richtungen strömen um diese Zeit Mädchen, Jungen oder Krieger mit ihren Herden zum Fluss. Innerhalb kürzester Zeit ist das ganze Flussbett mit Hunderten von Ziegen und vereinzelten Schafen in allen Farben