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Mein Gott, wie alt und resigniert diese Frau aussieht! Sie war etwa zwölf Jahre alt, als ich in die Beschneidungshütte schaute, wo sie tapfer lächelnd auf dem Kuhfell saß, obwohl sie zwei Stunden vorher mit einer Rasierklinge ohne Betäubung beschnitten worden war. Stolz ließ sie sich trotz ihres jungen Alters keine Schmerzen anmerken und verbreitete in der einfachen Manyatta eine mich beeindruckende Aura. Damals kroch ich beschämt aus der Hütte, weil ich erwartet hatte, ein wimmerndes Häufchen Mensch anzutreffen. Und nun frage ich mich: Was ist aus diesem stolzen und fröhlichen Mädchen nur geworden?

Auf jeden Fall scheint sie vom Hunger gezeichnet zu sein. Ich spreche sie an und frage, ob sie nicht unser Nachbarmädchen war. Sie lächelt und schaut weg. Ich gebe nicht auf und sage, ich wüsste, dass sie mein Englisch versteht, da sie eine Zeitlang zur Schule gegangen ist. Jetzt strahlt sie für einen kurzen Moment, vielleicht weil sich wieder einmal jemand für sie interessiert.

Nun erscheint auch ihr Bruder. Er ist als Krieger gewandet und sieht ebenfalls älter und abgehärmter aus als andere in seinem Alter. Er begrüßt mich mit meinem Namen. Sein Mund ist zu einem ständigen, fast unheimlichen Lächeln erstarrt. Dieser Familie muss es wirklich schlecht gehen und doch weiß ich nicht, wie ich helfen kann. Ich kann mich nicht auf den Dorfplatz stellen und Geld verteilen. Ein Konflikt wäre unausweichlich und innerhalb kürzester Zeit müssten wir fliehen, weil wir überrannt würden. Da ich ständig von mehreren Menschen umgeben bin, kann ich ihnen auch nichts heimlich zustecken.

Noch während ich mir darüber Gedanken mache, höre ich die ersten Glöckchen und vereinzeltes Blöken der Ziegen. Kurz darauf schreien die Zicklein hinter mir in der kleinen Hütte und man versteht kaum noch sein eigenes Wort. Der Kral füllt sich innerhalb kürzester Zeit mit weißen Ziegen, die in alle Richtungen rennen.

Mama verscheucht eine, die schnurstracks in ihre Manyatta will. Offensichtlich ist sie die Mutter des kleinen angebundenen Zickleins. Sofort tauchen mehrere Frauen und Mädchen auf und beginnen mit dem Melken. Einige Mädchen, kaum älter als zehn Jahre, tragen dabei gleichzeitig noch ihr Geschwisterchen auf dem Rücken.

Lketinga schreitet mit seiner neuen rot-gelben Decke stolz durch seine Herde. Hie und da kontrolliert er Hufe oder Ohren der Ziegen. Auch James hat sich für die Rückkehr der Ziegen umgezogen und trägt einen Kanga.

Wir drei Weißen schauen dem Treiben fasziniert zu und stellen fest, dass es sofort viel lebendiger ist, wenn die Kinder wieder anwesend sind.

Um diese Zeit erscheinen immer auffällig viele Besucher, meist alte Männer, im Kral, um gemeinsam Tee zu trinken. Heute ist auch der Mann vom „Hotel“ unter ihnen und bettelt Albert verstohlen an, ihm doch ein paar Schillinge für ein Bier zu spendieren. Nebenbei erklärt er mir in verschwörerischem Ton, indem er kurz auf ein etwa siebzehnjähriges Mädchen zeigt, dass dies Lketingas neue Frau sei.

Nur einige Meter von uns entfernt melkt sie gerade eine Ziege. Anscheinend war sie mit einem Teil der Herde unterwegs, da ich sie vorher noch nicht gesehen habe. In Anbetracht der Tatsache, dass ihre Eheschließung und die damit verbundene Beschneidung erst einen Monat zurückliegen, ist dies für sie sicherlich keine leichte Aufgabe.

Möglichst unauffällig versuche ich, sie zu beobachten. Sie ist ein junges, robustes Mädchen, trägt den traditionellen Samburu-Schmuck und macht einen scheuen und etwas unsicheren Eindruck. Das ist nicht verwunderlich, denn sie lebt ja erst seit kurzem hier, einige Stunden Fußmarsch von ihrem bisherigen Zuhause entfernt, und weiß nicht, wann sie ihre Eltern oder Freundinnen wiedersehen wird. Noch ist sie fremd hier und lebt darüber hinaus mit einem ihr unbekannten und für sie sicher auch alten Ehemann zusammen. Je mehr ich mich in das Mädchen hineinversetze, desto mehr Mitleid empfinde ich mit ihr. Da die Dämmerung hereinbricht, sehe ich nicht allzu viel von ihrem Gesicht. Doch nehme ich mir vor, morgen genauer auf sie zu achten. Seltsam, dass Lketinga mir seine neue Frau noch nicht vorgestellt hat!

James fragt, ob wir noch etwas essen möchten. Seine Frau würde uns Spaghetti kochen. Ich muss lachen. Früher haben sie bei diesem Essen selbst in Mombasa die Nase gerümpft und gemeint, dass wir Weißen Würmer essen!

Und nun werden Nudeln sogar hier im Busch gekocht. Wie sich die Zeiten geändert haben! Niemand von uns hat Appetit, da die sättigende Wirkung des Eintopfgerichts noch nicht nachgelassen hat. Ich beschränke mich auf einen Chai mit der eben gemolkenen, lauwarmen Ziegenmilch.

Inzwischen ist es dunkel und überall in den Hütten wird lebhaft geredet und gekocht. Zuerst wird Chai zubereitet und anschließend Maisbrei, Ugali genannt. Kinder jeden Alters hüpfen von einer Manyatta zur anderen, immer mit kleinen Aufgaben beschäftigt. James fühlt sich wieder etwas angeschlagen und fiebrig und auch bei uns macht sich allmählich eine gewisse Erschöpfung bemerkbar. Permanent sind wir von Menschen umgeben. Es gibt keinen Augenblick, in dem man sich allein eine halbe Stunde zurückziehen könnte, um den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ständig sind wir von Frauen, Männern und mittlerweile auch Kindern umgeben, die auf uns in der kaum verstehbaren Maa-Sprache einreden oder einfach nur dastehen und uns anstaunen.

Auch von einigen jungen Männern habe ich bereits Besuch bekommen. Zwei von ihnen sind damals mit James zur Schule gegangen und haben sich oft in unserem Haus zum Kartenspielen aufgehalten. Ich freue mich sehr zu sehen, dass es ihnen insgesamt gut geht. Allerdings haben alle das gleiche Problem: keine Arbeit. Deshalb wollen sie gerne weiterstudieren, haben aber keine Sponsoren. Sie bitten mich um finanzielle Unterstützung. Es ist natürlich schwer, den einen etwas zu versprechen und den anderen nicht. Wie soll man eine gerechte Auswahl treffen? Zudem sind sie alle in James' Alter, das heißt knapp über dreißig. Ich verspreche, darüber nachzudenken, und will mich auch mit der Mission absprechen.

Abend in der Mission

Um allen eine kleine Erholungspause zu verschaffen, beschließen wir, heute auf ein gemeinsames Abendessen zu verzichten und uns ins Camp zurückzuziehen. Wir verabreden uns für morgen früh, um ein ausführlicheres Gespräch mit James, Lketinga und Mama zu führen. Mich würde aus der Vergangenheit noch so vieles interessieren.

Im Camp setzen wir uns in die Klappstühle und Francis und John, unsere Fahrer, entzünden Lampen, damit wir etwas Licht haben. Zur Abrundung des Tages gönnen wir uns einen Schluck Rotwein. Als auch noch diverse Knabbereien aus den Wagen gezaubert werden, geht mir kurz durch den Kopf, dass ich — im Gegensatz zu meinem früheren Leben in Barsaloi — auf dieser Reise gewiss keine Pfunde verlieren werde.

Ich berichte von der Möglichkeit, über die Mission mit Pater Giuliani in Funkkontakt zu treten, und wir nehmen uns vor, es gleich morgen zu versuchen. Da wir in zwei Tagen am Filmset „zur weißen Massai“ angemeldet sind, könnten wir danach Giuliani besuchen und später noch einmal hierher nach Barsaloi kommen, um ein Abschiedsfest zu feiern. Es ist auch sinnvoll, dass wir die Familie vorübergehend verlassen, damit jeder wieder etwas zur Ruhe kommen kann. Seit unserem Erscheinen ist ihr Leben doch ziemlich durcheinander geraten.

Auch James hat zu verstehen gegeben, dass er ab und zu in seine Schule fahren muss.

Während wir alles besprechen, huschen vier Frauen in Schwesterntracht an uns vorbei in Richtung Mission.

Kurz darauf erscheint der neue kolumbianische Pater und setzt sich zu uns. Er erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden und wie unser Aufenthalt bisher verlaufen ist. Es interessiert ihn sehr, wie sich Lketinga mir gegenüber verhält, und er ist erfreut zu hören, dass wir keine Schwierigkeiten haben und sehr gut aufgenommen wurden. Er berichtet, dass er mit James einige Projekte auf den Weg gebracht hat. Zum Beispiel ist James der Vermittler und Finanzverwalter für eine Frauengruppe, die traditionellen Schmuck herstellt, der bis nach Nairobi verkauft wird. Da die Frauen pro Stück bezahlt werden, haben sich einige bereits bescheidene Holzhäuser errichten lassen können. Diese Information beeindruckt mich, weil damit vor allem den Frauen geholfen wird.