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Dennoch möchte ich meinen Weg nicht mehr verlassen. Ich liebe meinen Beruf, der mir die Möglichkeit bietet, sowohl hier als auch in Afrika zu helfen. Meine Bücher tragen bei vielen Menschen zu einem besseren Verständnis zwischen Weißen und Schwarzen bei, wie ich zahllosen Leserzuschriften entnehmen kann. Gibt es eine schönere Aufgabe, gerade weil ich selbst einem Mischlingskind das Leben schenken durfte? Für mich steht fest: Ich werde weiterhin alles in meiner Macht Stehende tun, um mit Energie, Kraft und meinem Bekannt-heitsgrad zu helfen. Dieses Wissen hilft mir bei der Aufarbeitung meiner Trauer um die zerbrochene Beziehung zu meinem Lebenspartner.

Ich stürze mich noch mehr in die Arbeit, die Freizeit verbringe ich mit meiner Tochter oder bei langen Wanderungen in den von mir geliebten Bergen.

Einige Wochen später bekomme ich den Bescheid aus Nairobi, dass meine europäischen Scheidungspapiere auch in Kenia rechtsgültig seien und dass ich vor vierzehn Jahren meine Tochter nach kenianischem Recht nicht entführt habe, da ihr Vater damals die Einwilligung zur Ausreise gab, auch wenn dies natürlich aus seiner Sicht nicht für immer gedacht war. Bei dieser Neuigkeit spüre ich eine große Befreiung und Erleichterung.

Nachts dagegen verarbeite ich nach Wochen noch die zerbrochene Beziehung. Ich schlafe schlecht und träume viel. Einmal schrecke ich mitten in der Nacht hoch und sitze total verschwitzt und kerzengerade im Bett mit der Eingebung, dass ich nach Kenia reisen muss, wenn ich meine Schwiegermama noch einmal lebend sehen möchte. Verstört und verwirrt finde ich für den Rest der Nacht keinen Schlaf mehr.

Der Gedanke lässt mich nicht mehr los. In den kommenden Tagen überlege ich fieberhaft, ob ich wirklich nach Kenia reisen soll. Was wird Napirai dazu sagen? Was meine Mutter? Und vor allem, was wird meine ganze afrikanische Familie einschließlich Lketinga darüber denken?

Die Idee frisst mich langsam auf und meine Stimmung wechselt zwischen Euphorie und Aggression. Wäre ich noch mit meinem Partner zusammen, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, jetzt nach Kenia zurückzukehren.

Seltsam! Vielleicht ist das Leben schon vorprogrammiert und alles musste so kommen.

Erneut reise ich nach München und treffe die Regisseurin des Films „Die weiße Massai“, die in der Zwischenzeit in Kenia war und unter anderem auch meine Familie in Barsaloi besucht hat. Sie erzählt, dass sie nach anfänglichem Misstrauen freundlich aufgenommen wurde und sich nach einigem Zureden sogar meine Schwiegermutter blicken ließ. Mama sei immer noch eine stattliche, aber alte Frau. Beim Abschied gab sie ihr eine Botschaft für mich mit: „Corinne soll neunzig Jahre alt werden, so wie ich. Sie soll wissen, dass ich sie von ganzem Herzen liebe, dass ich ihr alles Gute wünsche, dass sie jederzeit willkommen ist, und dass ich sie gerne noch einmal sehen möchte, bevor ich sterbe.“

Als ich diese Worte höre, schießen mir Tränen in die Augen. Ich spüre eine intensive Verbundenheit mit ihr und im gleichen Moment steht mein Entschluss fest: Ich muss meine Schwiegermama noch einmal sehen und in den Arm nehmen — ich gehe nach Afrika!

Im Verlag besprechen wir die neue Entwicklung. Albert, mein Verleger, der schon vor sechs Jahren meiner Familie das erste Buch „Die weiße Massai“ bei einem Besuch überbrachte, erklärt sich bereit, mich zu begleiten.

„Dann kann ich auch Little Albert kennen lernen“, meint er vergnügt. James, der Bruder meines Ex-Ehemannes, hat nämlich seinen ersten Sohn nach ihm benannt, um sich auf diese Weise für die langjährige Unterstützung des Verlages zu bedanken.

Nun teile ich unser Vorhaben in einem Brief an James mit. Er ist das Verbindungsglied zur Familie, weil nur er schreiben und lesen kann. Gespannt und neugierig warte ich auf eine Antwort. Im Mai erhalte ich endlich den ersehnten Brief, in dem er seine große Freude und die der ganzen Familie kund tut. Er schreibt auch, dass Mama immer gefühlt habe, dass sie mich noch einmal sehen wird, solange sie lebe. Sie freue sich sehr und auch Lketinga werde mir keine Probleme bereiten. Alle Menschen, denen er die Neuigkeit erzähle, glaubten es kaum und fragten zweifelnd: Really, Corinne will come once again to our place in Kenia?

Als ich meiner Tochter diesen schönen Brief vorlese, meint sie spontan: „Ja, Mama, ich glaube, du musst da wirklich nochmal hin.“ Das sind die erlösenden Worte, die ich mir gewünscht und die ich gebraucht habe. Ich liebe meine Tochter sehr und hoffe, auch für sie mit vielen neuen Eindrücken, Geschichten und Fotos nach Hause zurückkehren zu können.

Vier Monate hatte ich innerlich mit mir gerungen, ob diese Rückkehr richtig sei. Ob wir alle dies gut überstehen würden? Doch nun bin ich sicher, dass alles, was seit Beginn des Jahres geschehen ist, nur der Weg war, um das Ziel — das Wiedersehen — zu erreichen.

Nairobi

Beim Verlassen des Flugzeuges schlägt mir keine feuchte Tropenluft wie damals in Mombasa entgegen, es ist eher trocken und warm. Wir reihen uns in die wartende Kolonne bei der Passkontrolle ein und ich werde mein mulmiges Gefühl einfach nicht los. Meine Gedanken kehren kurz zurück, wie ich vor vierzehn Jahren an dieser Kontrolle mit meiner Tochter beinahe gescheitert wäre. Damals schwitzte ich Blut und Wasser, als ich die vielen Fragen beantworten musste: Warum reisen Sie ohne den Vater Ihrer Tochter aus? Wo ist Ihr Ehemann? Wie lange bleiben Sie außer Landes? Warum hat Ihre Tochter einen deutschen Kinderausweis, wenn sie in Kenia geboren ist und der Vater ein Samburu ist? Ist das wirklich Ihre Tochter? Fragen über Fragen, die mich damals fast um den Verstand gebracht hätten. Nur mit viel Glück konnte ich schließlich ins Plugzeug steigen. Und nun reiche ich dem Beamten erneut meinen Pass. Obwohl er freundlich wirkt, klopft mein Herz heftig.

Diesmal ist allerdings meine Tochter nicht dabei. Es erschien mir zu gefährlich sie mitzunehmen, da sie nicht volljährig ist. Nach kenianischem Recht gehört das Kind dem Vater und nach dem Stammesrecht meines ExMannes gehört es sogar der Großmutter, also seiner Mutter. Aus Sicht der Samburu ist Napirai mit ihren fünfzehn Jahren gerade im besten heiratsfähigen Alter. Die Mädchen werden auch heute noch sehr jung verheiratet und durch die Genitalbeschneidung fürchterlich verstümmelt. Das Risiko, dass wir uns unter Umständen mit derartigen Ansprüchen auseinandersetzen müssten, möchte ich einfach nicht eingehen.

Außerdem verspürt Napirai noch nicht den Wunsch, nach Kenia zu reisen. Natürlich erkundigt sie sich immer wieder nach ihrem Vater

und unserer Geschichte, aber bislang ist der Respekt vor dem für sie Unbekannten zu groß.

Der Beamte nimmt meinen Pass und hält ihn vor ein Computerlesegerät. Offensichtlich hat auch hier der Fortschritt Einzug gehalten. Nach weiteren fünf Sekunden erhalte ich einen Stempel und kann erleichtert mit meinen beiden Begleitern einreisen.

Für die erste Nacht beziehen wir im Norfolk Hotei unsere Zimmer. Dieses Hotel kann bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken. Es wurde 1904 im Landhausstil erbaut und war in der Kolonialzeit der Treffpunkt von reichen weißen Siedlern, Geschäftsleuten und Großwildjägern. Das Hotel muss in diesem wilden und unerschlossenen Land wie eine Insel gewesen sein. Überall hängen alte Bilder und Fotos von Berühmtheiten wie zum Beispiel Roosevelt oder Hemingway an den Wänden. Eine tropische Vegetation prägt das Bild der park-

ähnlichen Anlage, die mit alten Pferde kutschen dekoriert ist. Zum ersten Mal bin ich in Nairobi in solch einem noblen Hotel und darf nicht daran denken, was es kosten wird. Sicher ist eine Nacht so teuer wie so mancher Monatslohn eines Angestellten.

Wenn ich früher nach Nairobi musste, was mir jedes Mal ein Gräuel war, verkehrte ich immer in der River Road.