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Aufgewühlt höre ich zu und mir laufen wieder Tränen über die Wangen. Bis heute war mir nicht klar, wie viele Sorgen sie sich damals gemacht hatte. Sie erzählt weiter, dass auch die Leute aus dem Dorf zu ihrer Manyatta gekommen seien und sie ständig gefragt hätten, was ich für eine Mzungu sei. Wieso sie mir erlaube, in ihrer Hütte zu leben, wenn sie mich nicht kenne. Wie sie es mit mir überhaupt aushalte, wenn sie nicht mit mir sprechen könne. „Mit der Zeit antwortete ich allen: „Ich fühle mich trotzdem gut mit ihr und sie erledigt ihre Arbeit. Sie macht keine Probleme und fängt keinen Streit an.“ Nach einigen Monaten sah ich keinen Unterschied mehr zwischen dir und den eigenen Kindern. Du bist mein Kind geworden. Von da an habe ich die volle Verantwortung für dich und die damit verbundenen Probleme übernommen.“

Ständig wische ich mir die Tränen aus den Augen und schäme mich, weil ich ja nicht heulen soll. Mama schaut zu James und fragt, was mit mir los sei. Schnell bitte ich ihn, ihr zu erklären, dass dies die Art der Mzungus sei, ein gutes Gefühl und starke Emotionen auszudrücken, und sie sich keine Gedanken und Sorgen machen müsse.

James übersetzt lachend und nun kann auch sie lächeln.

Lketinga ergänzt Mamas Erzählung: „Yes, es war sehr schwer am Anfang. Auch zu mir kamen die anderen Krieger und wollten wissen, warum ich eine Weiße nach Hause gebracht habe. Ich war der erste Krieger, der eine Mzungu nach Barsaloi brachte und sie heiratete. Alle Leute kamen aus den Häusern und schauen uns misstrauisch an und sprachen manchmal schlecht über die Weißen. Sogar der Mini-Chief kam und fragte mich, warum ich bei ihm keine Erlaubnis eingeholt hätte, um dich zu heiraten. Ich bin doch ein Mann und soll plötzlich einen anderen fragen, wen ich heiraten kann. Crazy!“ Wieder müssen wir alle lachen.

Nun erzähle ich, dass Napirai, als wir kurz nach unserer Rückkehr in die Schweiz in einem Dorf wohnten, das erste Mischlingskind war. Auch dort liefen die Kinder zusammen oder rannten davon, weil der Anblick eines farbigen Kindes für sie ungewohnt war. Aber heute leben viele dunkelhäutige Menschen selbst in kleinen Dörfern und die Leute haben sich mit der Zeit daran gewöhnt. Mama nickt und sagt: „Eh na, es ist wie hier.“

James berichtet, dass mittlerweile rund um Maralal noch mehr weiße Frauen bei den Samburu leben, wenn auch nicht gerade in einer Manyatta wie dieser hier. Lketinga sorgt erneut für Heiterkeit, indem er mit rauer Stimme ergänzt: „Aber diese Ladies sind meistens alt und nicht so gut wie du. So eine hätte ich nicht geheiratet.“ James gibt ihm Recht und sagt: „Ja, Corinne ist überallhin mitgegangen. Sie hat mit meinem Bruder Verwandte besucht an Orten, wo es kein Wasser gab oder die Kühe mit im Kral lebten wie in Sitedi, und sie hatte keine Probleme damit.“ Na ja, ein bisschen schon, geht es mir durch den Kopf.

Mama schaukelt immer noch das kleine Baby und erzählt: „Ich war so glücklich, als Du mir ein Enkelkind geschenkt hast, und ich war stolz, dass Du mir Napirai anvertraut hast, wenn du fort musstest. Das war der größte Liebesbeweis. Von da an konnte ich dich wirklich voll akzeptieren und sah keinen Unterschied zwischen Weiß und Schwarz. Wir waren eins.“

Mamas Gesicht wird starr und regungslos, und mir ist klar, dass sie versucht, ihre Emotionen zu verbergen.

Schnell wischt sie sich mit der freien Hand über die Augen. Zwar bestand zwischen uns eine tiefe Verbundenheit, die ich immer spürte, aber erst jetzt, nach vierzehn Jahren, erhalte ich endlich die Gewissheit.

Für einen Augenblick schweigen wir alle. Fliegen summen um unsere Köpfe. Draußen gackern die Hühner und einige Zicklein blöken. Albert hören wir draußen vor der Hütte mit den Kindern sprechen. Er scheint mit ihnen etwas auf den Erdboden zu malen.

James kommt noch einmal auf den Mini-Chief, der hier eine Art Dorfpolizist ist, zu sprechen: „Er wollte sicher nur Geld von euch. Hier denken nämlich die Leute, alle Mzungus hätten viel Geld, lebten in großen Häusern, besäßen Autos und hätten immer etwas zu essen und keine Sorgen. Sie meinen, alle lebten wie ein Präsident. Ich versuche immer wieder, sie aufzuklären, indem ich sage, dass die weißen Leute auch Sorgen haben, sie aber nicht allen erzählen. Bei den Samburu ist es Tradition, dass du mit jedem, dem du begegnest, ein oder zwei Stunden sprichst. Erst beginnt der Ältere zu berichten, woher er kommt, wer er ist, wie es seinen Tieren und seiner Familie geht, wer krank ist und was er hat, was in seinem Dorf oder Kral gerade passiert ist, und zum Schluss, wohin er geht und weshalb. Der Erzahlende erwähnt jedes Detail und das kann schon mal eine Stunde dauern. Danach wiederholt sich das Ganze auf der anderen Seite.“

James spielt uns eine solche Begegnung in einem erfundenen Dialog wie in einem Kabarett vor und wir lachen erneut Tränen. „Hier ist das normal“, erzählt er weiter, nachdem wir uns etwas erholt haben, „denn die Leute sind manchmal stundenlang zu Fuß unterwegs und sehen niemanden. Deshalb sind sie glücklich, wenn sie sich mit jemandem unterhalten können, auch wenn sie sich nicht kennen. Wenn sie dann am Ziel ihrer Reise angekommen sind, berichten sie dem nächsten, wen sie alles getroffen haben und was derjenige ihnen erzählt hat. So wird das Gespräch immer länger und die Nachrichten verbreiten sich in ein paar Stunden über viele Kilometer. Und dann sehen sie ab und zu Weiße, die sich nur ein paar Minuten unterhalten und gleich weiterfahren oder — gehen. So denken sie, diese Menschen hätten keine Probleme, weil sie sich nicht lange unterhalten müssen. Dabei erzählen sich die Weißen nur nicht alle Probleme.“

Wie unterschiedlich die Dinge doch aufgefasst werden können! Unsere Gesellschaft ist dabei, zwischenmenschlich zu verarmen, weil immer weniger Kommunikation zwischen den Menschen stattfindet und viele dadurch krank werden. Die Einheimischen hier dagegen sehen gerade in unserer Sprachlosigkeit ein Zeichen dafür, dass wir keine Probleme haben.

Schon höre ich James weitersprechen: „Ich bin nun auch schon fast wie ein Mzungu. Ich arbeite viel und bin nur noch mit dem Motorrad unterwegs, weil ich eine Menge erledigen muss. Wenn ich dabei Leuten begegne, halten sie mich an der Straße an. Am Anfang dachte ich, es sei wichtig, und stoppte mit dem Motorrad. Aber meistens wollen sie nur wissen, woher ich komme und wohin ich fahre. Oder sie wollen mein Motorrad sehen und alles darüber wissen. Doch ich habe keine Zeit und annvorte nur knapp mit ja oder nein. Manchmal erzähle ich nicht einmal, wenn zu Hause jemand krank ist, weil es zu lange dauern würde. Wenn allerdings derjenige später erfährt, dass ich das nicht erwähnt habe, bekomme ich das nächste Mal Vorwürfe. Die Leute können einfach nicht verstehen, dass ich einen Zeitplan einhalten muss, weil ich Verpflichtungen habe. Für sie spiele es keine Rolle, ob sie eine Stunde länger hier stehen oder nicht.“

Bei dieser Beschreibung merkt man ihm an, dass er auch stolz daraufist, hier im Busch einer der Ersten zu sein, die ein neues, ein moderneres Leben führen. Mich stimmt es nachdenklich, weil es den beginnenden Zerfall der natürlichen Kommunikation andeutet. Letztendlich wird es wahrscheinlich für viele wie in Europa in der Einsamkeit enden.

Klaus spricht ihn darauf an, dass er die kleinen Dinge doch gar nicht mehr mitbekommen kann, wenn er mit seinem Motorrad so schnell durch die Gegend braust. Darauf entgegnet James, dass sich die Zeit eben auch schnell verändert. Lketinga widerspricht: „Mir gefällt das aber nicht. Heute haben viele Moran keine langen Haare mehr, wie ich sie früher hatte. Sie wollen das nicht mehr, auch weil sie zur Schule gegangen sind. Die Mädchen tragen nicht mehr so viel Schmuck, weil die Schulboys ihnen keinen schenken. Die Schulmädchen, wie meine Tochter Shankayon, haben gar keinen Schmuck mehr, weil das verboten isr. Sie wollen sich auch den roten Ocker nicht mehr auf die Haut reiben. Sogar die, die nicht zur Schule gehen, wollen lieber die Hautcremes aus Nairobi benutzen. Kein Mädchen trägt mehr einen Rock aus Tierhaut, der mit Perlen verziert ist, wie du das noch bei meiner Schwester erlebt hast. Nur noch bei Zeremonien werden diese Sachen angezogen.“ James fügt hinzu: „Auch das wird in fünf oder zehn Jahren vorbei sein. Schon heute gibt es kaum mehr den traditionellen Halsschmuck aus Giraffen haaren oder die Elfenbeinohrringe der Krieger.“