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James meint, dass es schwierig sei, hier die richtigen Worte zu finden, und beendet das heikle Thema, indem er über seine Wünsche für die Zukunft spricht: „Ich möchte mein Haus noch etwas vergrößern, damit ich mehr Platz habe, wenn Besuch kommt. Meine Gäste sollen komfortabel untergebracht sein. Außerdem wünsche ich mir ein Mobiltelefon, damit ich zumindest in Maralal, wo es bereits ein Funknetz gibt, besser und schneller kommunizieren kann. In Barsaloi ist noch kein Netz eingerichtet und das wird bestimmt noch eine ganze Weile dauern. Einen Fernseher hätte ich auch gerne, damit ich weiß, was im Land passiert oder gar auf der ganzen Welt, vielleicht sogar in Deutschland oder der Schweiz.“ Er lacht und beendet seine Wunschliste: „Mehr brauche ich vorläufig nicht.“

Saguna

Draußen vor der Manyatta hören wir nun Stimmen und Lketinga meint, dass Saguna gekommen sei. Ich freue mich und bin neugierig. Wir beenden unser Gespräch und kriechen alle nach fast drei Stunden aus der Hütte. Das grelle Sonnenlicht blendet mich. Albert setzt sich auf den kleinen Hocker vor der Manyatta und ist sofort wieder von malenden Kindern umringt. Weiter hinten entdecke ich Lketingas Frau beim Bauen einer neuen Manyatta.

Das junge Mädchen flicht gerade die dünnen Weidenäste in die Seitenwände.

Stefania erscheint und erzählt, dass Saguna in ihrem Haus auf uns warte. Ich trete ein und erblicke zuerst Lketingas Schwester, die mit ernstem Gesicht auf dem grünen Wandtischchen sitzt. Hinter ihr versteckt entdecke ich Saguna. Sie ist von Kopf bis Fuß traditionell geschmückt und sieht umwerfend schön aus. Als ich damals das Dorf verlassen hatte, war sie gerade etwa vier Jahre alt. Und nun stehe ich einem robusten, schönen Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren gegenüber. Freudig begrüße ich sie, auch wenn sie eher schüchtern reagiert. In all den Jahren habe ich sie nie vergessen. In meinen Briefen fragte ich immer wieder nach ihr und bekam zur Antwort, dass sie nun eine fast erwachsene Frau sei und schon lange nicht mehr bei Mama in der Hütte lebe.

Saguna trägt einen roten Rock und um die Schultern hat sie einen blauen und einen gelben Kanga geschlungen, die ihre nackten Brüste bedecken. Den gelben Kanga tragen nur unbeschnittene Mädchen im heiratsfähigen Alter. Ihr Hals und ihre Brust sind über und über mit Perlenschmuck bedeckt. Über den vielen roten Perlenschnüren trägt sie eine außergewöhnlich bunte Schmuckschicht, die wie ein Teller wirkt. Allein diese zusammengeknüpfte Pracht wiegt sicher zwei Kilogramm. Der Kopf ist umrahmt von einem eng anliegenden farbigen Perlenstirnband. Daran ist ein rotes Perlenkreuz befestigt, an dem wiederum viele kleine Metallplättchen hängen. Die Stirn selbst schmückt ein Perlmuttknopf mit einem verzierten Metallkreuz, das bis über die Nase reicht. Daran sind nochmals zwei Kettchen befestigt, die links und rechts über die Wangen fallen und nach hinten wieder mit dem Stirnband verbunden sind. Derart geschmückt erscheinen Sagunas Gesichtszüge zierlich und weich. Mir fällt auf, dass sie ihrer verstorbenen Mutter unglaublich ähnlich sieht. Diese starb leider bei einer Geburt, als Saguna etwa elf Jahre alt war. Doch glücklicherweise lebte sie damals noch bei Mama.

Man merkt ihr deutlich an, dass sie es nicht gewöhnt ist, im Mittelpunkt zu stehen. Das ist bei Mädchen ohnehin nur bei der Hochzeit und der damit verbundenen Beschneidung der Fall. Wenn ein Mädchen geboren wird, so ist dies für den Vater normalerweise nicht von großer Bedeutung. Er versucht, bei der Geburt nicht anwesend zu sein. Handelt es sich jedoch bei dem Neugeborenen um einen Sohn, sind die Rituale bei der Geburt wesentlich aufwändiger als bei den Mädchen. Auf diese Weise weiß die Nachbarschaft schnell, welches Geschlecht das Kind hat, auch wenn sie das Neugeborene wegen der Angst vor schädlichem Zauber erst Wochen später zu Gesicht bekommen.

Saguna sitzt, die Hände im Schoß, mir gegenüber und schaut mich scheu, aber neugierig an. Ich mache ihr Komplimente, die sie bescheiden entgegennimmt. Weil ich weiß, dass sie vier Stunden durch die heiße Steppe gelaufen ist und deshalb sicher Durst und Hunger hat, bitte ich James, ihr etwas anzubieten. Doch er erwidert, dass sie in der Manyatta von Mama etwas bekommen werde. Ich vermute, dass es sich hierbei wieder um einen traditionellen Verhaltenskodex handelt. Saguna ist noch eine unbeschnittene junge Frau und kann wohl deswegen nicht im Haus von James bewirtet werden, da er vor einiger Zeit noch den Status eines Kriegers hatte.

So schlage ich vor, dass sie erst Mama besucht und wir uns später unterhalten können. Als sie das Haus verlassen hat, frage ich James, wann Saguna verheiratet werde. Er weiß es nicht und auch Lketinga kann mir später keine Auskunft darüber geben. Mir fällt nur auf, dass sie mit ihren achtzehn Jahren eher zu den älteren unverheirateten Mädchen gehört. Sie muss jedoch einen Freund unter den Kriegern haben, ansonsten besäße sie nicht so viel Schmuck. Dieser bedeutet für ein Mädchen eine Art Statussymbol. Je mehr Schmuck sie bekommt, desto begehrter ist sie, und ihr Hochzeitspreis kann dann mehr als sieben Kühe betragen. Leider dürfen die Mädchen aber nie ihren Freund heiraten. Dieser hat am Hochzeitstag nur die Pflicht, das Fett und den roten Ocker anzurichten, den sich die Braut auf den Körper reiben wird.

Meistens arrangiert der Vater eine Heirat. Er achtet darauf, dass die Ehe unabhängig von äußerlichem und sexuellem Begehren ist. Stattdessen ist der Ruf der Familie der Auserwählten von großer Bedeutung. Die zukünftige Frau muss Kinder gebären, den Haushalt fuhren und nach der Herde des Mannes schauen, bis später ihre Kinder diese Aufgabe übernehmen können. Die Auserwählte weiß manchmal gar nicht, wer ihr Ehemann sein wird. Am begehrtesten sind die Männer, die gerade ihre Kriegerzeit beendet haben, denn vorher darf kein Mann heiraten. Haben die Mädchen Pech, werden sie mit einem alten Mann oder gar mit einem Greis als dessen dritte oder vierte Frau verheiratet und müssen den Anweisungen der ersten Frau gehorchen.

Die Vorstellung, dass Saguna ein solches Schicksal drohen könnte, beunruhigt mich und macht mich traurig. Ich frage James, ob es denn für Saguna keine Möglichkeit gäbe, etwas Derartiges zu verhindern. „Nein, Saguna kennt nur dieses traditionelle Leben und daran kann man nichts ändern. Alles nimmt seinen Lauf. Sie wird ihre Zeremonie bekommen und später ein neues Zuhause bei ihrem zukünftigen Mann haben.“ Er sagt dies so bestimmt und selbstverständlich, dass ich nicht umhin kann einzusehen, dass es noch ein langer Weg ist, bis diese Frauen ein Recht auf ein eigenständiges Leben haben werden.

In diesem Moment wird mir bewusst, wie absurd und zwiespältig meine eigene Einstellung ist: Einerseits bewundere ich die Schönheit und Farbenpracht der traditionellen Kleidung von Kriegern und jungen Mädchen und wünsche mir, dass die Samburu-Traditionen noch lange bewahrt werden mögen, andererseits hätte ich es gerne, wenn die Gebräuche und Rituale, die mein europäisches Empfinden stören, verändert würden. Diese Einsicht schmerzt mich und gleichzeitig bin ich froh, dass meine Tochter Napirai in der Schweiz aufwachsen kann. Sie ist ungefähr zwei Jahre jünger als Saguna und wenn sie hier leben würde, hätte sie wohl keine Chance, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, auch wenn ich noch so sehr darum gekämpft hätte.

Als wir etwas später das Haus verlassen, sehe ich Saguna unter der Akazie auf einem Stein sitzen. Sie spielt mit Shankayon und zwei anderen Mädchen. Ich setze mich neben sie und warte gespannt. Ihren schönen Kopfschmuck hat sie abgenommen, da es ihr wohl zu heiß ist. Ab und zu fasst sie mit den Händen unter ihren Halsschmuck und hebt ihn an, um etwas Luft an ihre Haut zu lassen. Plötzlich fragt sie nach Napirai. Ich versuche, etwas zu erzählen, komme jedoch aufgrund der Sprachprobleme nicht sehr weit. Deshalb bitte ich Shankayon, bei Mama das kleine rote Fotoalbum zu holen. Mittlerweile ist auch Lketinga wieder da und übersetzt für mich.