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Nun möchte ich von ihr wissen, ob sie sich an mich erinnern kann, ob sie noch weiß, dass ich ihr einmal eine braune Puppe mitgebracht habe und wie wir öfter zusammen am Fluss waren. Sie beantwortet alles mit einem ernsten Nicken. Shankayon hüpft nun mit dem Album in den Händen auf uns zu und überreicht es Saguna. Sie blättert darin und beginnt natürlich mit den neuesten Bildern von meiner Tochter. Verwundert fragt sie, ob dies wirklich Napirai sei. Lketinga erklärt ihr ausführlich die einzelnen Bilder, auf denen Napirai im Schnee, auf dem Eis oder beim Badespaß abgebildet ist. Sie betrachtet alles mit Staunen und großem Interesse. Es muss für sie etwas Besonderes sein, ein Mädchen zu sehen, das nicht viel jünger ist als sie und in einer solch andersartigen Welt lebt, obwohl sie am gleichen Ort geboren wurde. Sicher kommt es ihr komisch vor, Napirai mit langen Haaren zu sehen. Ihr eigener Kopf ist kahl geschoren, denn lange Haare entsprechen hier bei Frauen und Mädchen nicht dem Schönheitsideal. An den Fotos, auf denen meine Tochter Jeans trägt, bleibt ihr Blick eine ganze Weile haften. Ich würde so gerne wissen, welche Gedanken ihr durch den Kopf gehen!

Mittlerweile beugen sich schon wieder mehrere Köpfe über das Album und vor allem Shankayon strahlt über die Fotos ihrer Halbschwester Napirai. Immer wieder durchblättert Saguna das kleine Album von vorne nach hinten und flüstert und lacht mit den anderen Mädchen. Ich setze mich näher zu ihr und betrachte ihre schlanken Arme, die mit mehreren farbigen Armreifen geschmückt sind. Nach einer Weile fragt sie mich: „Warum hast du Napirai nicht mitgebracht? Wo ist sie jetzt und bei wem?“ Ich erzähle ihr, dass sie in der Schule ist und während meiner Abwesenheit bei der Familie einer Freundin aufgenommen wurde. Lketinga übersetzt und ergänzt, dass sie nach dem Schulende vielleicht auf Besuch kommen wird.

Saguna hört aufmerksam zu und berührt dabei sachte meinen Arm. Offensichtlich ist sie von meinem silbernen Armreif fasziniert, in dem sie sich spiegeln kann. Durch die sanften Berührungen fühle ich wieder die Nähe zu ihr, die sich während unseres Zusammenlebens in Mamas Manyatta aufgebaut hatte. Damals war sie für mich der kleine Sonnenschein, der in manch traurigem Moment den Tag erhellte. Ich komme mir hilflos vor, wenn ich an ihr Schicksal denke, denn ich kann sie nicht davor bewahren. Aber vielleicht würde sie das gar nicht wollen, sondern möchte hier in ihrem Stamm aufgenommen und respektiert werden. Ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie einen guten jungen Mann bekommt.

Klaus hat in der Zwischenzeit Filmaufnahmen gemacht und Shankayon hat Saguna wahrscheinlich erzählt, dass man sich auf dem Monitor sehen kann. Nun setzt sie sich neben Klaus, der ihr die Kamera zeigt. Zuerst erschrocken und dann belustigt schaut sie auf die bewegten Bilder. So hat sie sich noch nie gesehen und dementsprechend neugierig bestaunt sie das Ganze. Immer wieder muss Klaus vor- und wieder zurückspulen und wir alle werden von dem kindlichen Staunen angesteckt. Doch leider ist es bald an der Zeit, dass Saguna sich auf den weiten Heimweg begeben muss. Morgen beginnt wieder das Alltagsleben, in dem sie mit der Herde unterwegs sein wird. Ich überreiche ihr einen schönen Rock, eine gut riechende Seife und eine Körpercreme, die ich für sie mitgebracht habe. Sie freut sich sehr über die Geschenke und verstaut sie unter ihrem Kanga. Als wir uns verabschieden, weiß ich, dass ich sie in dieser Natürlichkeit und Farbenpracht wohl nie mehr sehen werde.

Neue Essgewohnheiten

James lädt uns nun zum Essen in sein Haus ein. Stefania verteilt Aluminiumteller und stellt einen Topf mit Spaghetti auf den Tisch. Wir essen mit großem Appetit, obwohl bei uns ein solches Gericht anders aussieht.

Stefania hat die Spaghetti in kurze Stäbchen gebrochen und beim Kochen Ziegenfleisch und Gemüse dazugemischt.

James erzählt, dass sich bei einigen der Dorfbewohner, vor allem in den Familien von ehemaligen Schülern, die Esskultur verändert hat. Er kenne Spaghetti schon von der Schule und deshalb sei dieses Gericht nichts Außergewöhnliches für ihn und seine Familie. Seine Kinder wachsen damit auf. Mich interessiert, ob denn auch Mama heute Nudeln essen würde. Früher verzichtete sie lieber, als etwas zu sich zu nehmen, das sie nicht kannte. Die einzige Ausnahme waren Ananas. James lacht und erwidert: „Nein, Mama mag das nicht essen, aber sie liebt nach wie vor Ananas und immer, wenn ich ihr eine mitbringe, beginnt sie von dir zu reden. Du hast sie ihr schmackhaft gemacht.“ Daran kann ich mich lebhaft erinnern und sehe sie förmlich vor mir, wie sie langsam und vorsichtig an den Ananasstückchen saugt.

Auf meine Frage, ob denn die Somali-Shops mittlerweile auch solche Waren verkaufen, antwortet James energisch: „Es gibt hier keine Somali mehr. Wir haben alle vertrieben. Weißt du, als du Barsaloi verlassen hast und damit der einzige Samburu-Shop geschlossen wurde, sind die Preise für Maismehl und Zucker in die Höhe geschnellt. Die Somali haben sich nicht mehr an die vom Staat vorgeschriebenen Preise gehalten, wie wir es getan haben, sondern verdoppelten sie. Die Leute hier im Dorf schimpften und jammerten. Alle haben geklagt: Warum ist Corinne nicht mehr hier? Jetzt haben wir keinen guten Shop und kein Auto mehr.< Das Wenige, was die Somali anboten, war zu teuer, und für die Ziegen- und Kuhhäute gaben sie den Leuten auch nicht mehr so viel Geld wie du. Damals kamen viele Dorfbewohner zu mir und fragten: >Was können wir tun, damit Corinne wieder hierher kommt? Nur Mzungus können einen solchen Shop betreiben und keine andere wird mit uns so leben wollen wie sie.< Sie schlugen mir sogar vor, ich solle dich bitten zurückzukommen und ich solle dich heiraten! Sie waren so verzweifelt, dass sie die verrücktesten Ideen hatten.“ Ich trinke erst einmal in Ruhe meinen Tee aus, um das Gehörte zu verdauen. Vor allem das mit dem Heiratsvorschlag höre ich zum ersten Mal und muss bei der Vorstellung lachen.

Auch James fällt in mein Lachen ein und fährt mit seiner Erzählung fort: „Ich habe ihnen gesagt, dass wir uns zusammen tun und eigene Samburu-Shops eröffnen müssen, damit wir den Preis wieder kontrollieren können. So entstanden nach und nach so viele Läden, dass jetzt sogar ein Überangebot besteht und das Geschäft nicht mehr so gut läuft.“

Lketinga kommt herein und setzt sich neben mich auf das einfache Sofa, während er mit finsterer Miene fragt, ob wir über ihn gesprochen haben. Irgendwie scheint er schlechter gelaunt zu sein als noch vor einer Stunde.

Niemand weiß, warum und wo er sich aufgehalten hat. Einen kurzen Moment denke ich, dass er sich vielleicht etwas ausgeschlossen fühlt, wie damals vor vierzehn Jahren, als James mit seinen Schulfreunden zu uns nach Hause kam und wir zusammen Karten spielten und lachten. Um ihn aufzuheitern, frage ich ihn, ob er sich noch an das Spaghetti-Essen in Mombasa mit meinem Bruder Eric und seiner Frau Jelly erinnern könne. Damals herrschte helle Aufregung, weil alle dachten, wir essen lange weiße Würmer. Mit seiner kratzigen Stimme meint er lachend: „Natürlich erinnere ich mich, es war verrückt! Und heute essen das sogar einige Leute aus dem Dorf.“

Reisepläne

Später besprechen wir den weiteren Ablauf unseres Besuches und beschließen, morgen wie geplant zum Filmset zu fahren, dort zwei Tage zu verbringen, dann Pater Giuliani zu besuchen und anschließend hierher zurückzukommen. So können sich alle etwas erholen und bei der Familie wird wieder ein wenig Normalität einkehren. Wenn wir zurück sind, würden wir gerne gemeinsam ein Abschiedsfest für alle, die kommen möchten, ausrichten. Leider können wir als Gäste nicht viel dazu beitragen. Wir möchten aber die Kosten übernehmen, während auf die Familienmitglieder viel Arbeit zukommt. Sie werden vier Ziegen schlachten und große Mengen Reis und Bohnen kochen. Dafür müssen sie erst genügend Feuerholz sammeln und mehrere Kochstellen errichten. Eine große Aufgabe, wenn man kein Auto und wenig Zeit zur Verfügung hat. James erklärt sich bereit, für die Lebensmittel zu sorgen. Als er Lketinga fragt, ob er die Ziegen kaufen könne, erhält er die barsche Antwort: „Nein, ich habe keine Zeit, ich gehe mit Corinne und schaue auch zum Film. Ich möchte wissen, was sie da machen!“