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Oh Gott! Bei dem Gedanken wird mir ganz elend. Wie soll das nur gut gehen? Ich weiß, dass es für mich schon schwierig genug sein wird, am Filmset alles zu erfassen und zu begreifen. Wie soll ich dann noch die Energie aufbringen, Lketinga immer wieder alles zu erklären? Mir ist ja selbst nicht klar, was mich erwartet und wie ich es verdauen werde. Zudem die Verantwortung für jemanden zu übernehmen, der nicht weiß, was eine Filmproduktion bedeutet, ist mir einfach zu viel.

Mir kommt die Szene in den Sinn, als ich mit Lketinga einmal einen Film in der Barsaloi-Mission anschaute. Es handelte sich dabei ausgerechnet um das Kolossalepos „Ben Hur“. Lketinga war ungeheuer aufgewühlt und wollte mir nicht glauben, dass dies nichts mit dem heutigen Mzungu-Leben zu tun hatte. Er war fest davon überzeugt, dass es bei uns in Deutschland oder der Schweiz genauso zuging wie im Film. Nach etwa zwanzig Minuten mussten wir die Vorführung verlassen und hatten anschließend einen von viel Misstrauen belasteten Streit. Ich konnte ihm damals nur erklären, dass ein Film nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat.

Und nun will er mit zum Filmset, wo ein Film über die Samburu und einen Teil seines eigenen Lebens gedreht wird. Wie soll er damit klar kommen, zumal nicht einmal ein fertiger Film zu sehen ist, sondern komplizierte und undurchschaubare Dreharbeiten im Gang sind? Nein, diese Verantwortung kann und will ich nicht übernehmen, da ich nicht einmal meinen eigenen Gemütszustand einschätzen kann.

Gott sei Dank mischt sich nun James in die Diskussion ein und unterstützt uns, indem er Lketinga erklärt, dass er hier gebraucht werde. Er könne doch nicht abwesend sein, während das ganze Dorf für seine Gäste ein Fest vorbereitet. Das sieht er ein und verspricht, auf uns zu warten und die Ziegen zu kaufen.

Ein Blick auf die Uhr erinnert mich, dass ich mich auf den Weg zur Mission begeben sollte, um den Radiocall mit Pater Giuliani nicht zu verpassen. Klaus und Lketinga begleiten mich. Die Missions-Angestellte empfängt uns freundlich und führt uns in einen Flur, in dem das Sende- und Empfangsgerät installiert ist. Aus einem altertümlichen Kasten ertönen bereits verschiedene Gespräche, mal in Kisuaheli, mal in Italienisch oder Englisch. Lketinga hört aufmerksam zu und versteht offensichtlich mehr von diesem Gerät als ich. Nach einigen Minuten stößt er mich an und sagt ganz ruhig, dass ich jetzt sprechen muss.

Plötzlich höre ich Pater Giulianis Stimme nach über vierzehn Jahren zum ersten Mal wieder. Sie hört sich nach wie vor kräftig an. Offensichtlich freut er sich auf unseren Besuch und versucht zu beschreiben, wie wir ihn finden können. Doch es hört sich so kompliziert an, dass sich Giuliani kurz entschlossen bereit erklärt, uns in drei Tagen Punkt zwölf Uhr mittags in der Barsaloi-Mission abzuholen. Gerade will ich mich über-schwänglich bedanken, als die Verbindung bereits unterbrochen ist.

Wir schlendern zurück zu Albert und James in den Kral. Die Tiere sind wieder da und es herrscht das uns inzwischen vertraute bunte Treiben. Alle Frauen melken die blökenden Ziegen. Lketingas Schwester nimmt mich am Arm, drückt mir eine Tasse in die Hand und fordert mich lachend auf, es auch einmal zu probieren. Ich versuche mein Glück bei einer großen weißen Ziege und freue mich, dass ein kleiner dünner Milchstrahl in die Tasse spritzt. Allerdings bin ich natürlich nicht geübt und muss zugeben, dass hier jedes dreijährige Kind das Melken besser beherrscht. Bald bin ich von einer lachenden Kinderschar umringt. Ich liebe die Fröhlichkeit dieser Menschen. Trotz der harten Lebensbedingungen haben viele ihren Schalk nicht verloren. Die Kinder hüpfen den Zicklein hinterher und es wird gelacht und gekichert wie überall auf der Welt, wo Kinder spielen. Nach Einbruch der Dunkelheit sind die Menschen damit beschäftigt, Maisbrei und Tee zu kochen, und auch wir ziehen uns ins Camp zurück. In etwa einer Stunde wollen Lketinga und James noch einmal vorbeischauen.

Im Camp lassen wir uns auf den Klappstühlen nieder und unsere Fahrer Francis und John gesellen sich zu uns.

Sie sind sehr sympathisch und freundlich und wachen all die Tage über die Autos und unsere Sachen. Wie schon gewohnt, wollen sie uns einen Drink bringen. Doch wir verzichten darauf, da wir nicht wollen, dass Lketinga Alkohol sieht, wenn er kommt. Ich möchte ihn auf keinen Fall gefährden, denn bis jetzt hat er offensichtlich wirklich nichts getrunken.

Auf dem hohen Wassertank sitzen die vier Schwestern und meditieren. Ihr kleiner wolliger Hund leistet uns Gesellschaft und ist bald der Liebling von Albert und Klaus. Wir alle genießen für eine Weile die Stille und hängen unseren Gedanken nach. Das so lang herbeigesehnte Wiedersehen hat all meine Erwartungen übertroffen und ich fühle mich zufrieden und wohl. Dennoch ist mir klar geworden, dass ich hier nicht mehr leben könnte.

Obwohl manches einfacher geworden ist, ist das Leben nach wie vor rau und karg. Vor allem der langsame, immer wiederkehrende Rhythmus des Alltags wäre für mich mit der Zeit schwer zu ertragen. Wie habe ich das damals nur gemacht? Es war wohl nur möglich, weil ich Lketinga über alles liebte und meist hart ums Überleben kämpfen musste.

Mit seinem eleganten Gang schlendert Lketinga langsam auf uns zu und berichtet, dass er schon zwei Ziegen gesehen hat, die er kaufen möchte, aber abwarten wolle, bis wir weggefahren sind, weil dann die Preise niedriger sind. Er werde nach seinem älteren Bruder schicken lassen, damit auch er zum Abschied kommen kann.

Während er erzählt, eilt James an uns vorbei und unterhält sich mit dem Pater, bevor er sich kurz darauf zu uns setzt. Auch er steckt mitten in den Vorbereitungen für das große Fest in vier Tagen. Als wir ihn besorgt fragen, was ist, wenn das Essen nicht für alle reicht, beruhigt er uns: „Für uns Samburu ist das kein Problem. Bei uns darf jeder zu einem Fest kommen und wir dürfen niemanden abweisen. Doch wenn es nichts mehr zu essen oder trinken gibt, ist das nicht schlimm. Wir sind nicht verpflichtet, so lange Essen anbieten zu können, bis jeder satt ist. Da ich mit dem halben Dorf rechne, wäre das auch gar nicht möglich. Wichtig ist, dass wir genügend Tabak für die Alten haben.“ Lketinga nickt zustimmend und ist überzeugt, dass alles klappen wird.

Nach einer weiteren halben Stunde verabschieden wir uns und vereinbaren, morgen vor der Abfahrt noch einmal zum Kral zu kommen. Bevor er geht, fragt Lketinga: „You sleep good alone here, no problem?“ Dabei zeigt er auf mein Zelt. Ich lache und erwidere: „Hakuna matata — keine Probleme und gute Nacht.“ Dann krieche ich ins Zelt und es dauert nicht lange, bis ich eingeschlafen bin.

Aufbruch zum Filmset

Früh am Morgen erwache ich und weiß nicht, welches Geräusch mich geweckt hat. Ich lausche nach draußen und vernehme das lang gezogene Schreien eines Esels, das sich mit dem Bellen eines Hundes vermischt, und wie jeden Morgen höre ich Dutzende von Vogelstimmen in allen Tonlagen. So verbunden mit der Natur zu sein und nicht durch Motoren-und Straßenlärm geweckt zu werden, wirkt sehr beruhigend auf mich. Neugierig auf den heutigen Tag krieche ich aus dem Zelt. Die Fahrer sind bereits auf den Beinen und können es anscheinend kaum erwarten, wieder einmal ihre Autos bewegen zu können. Es dauert nicht lange und alle stehen in der Morgenfrische um den Gaskocher herum und warten auf heißen Tee oder Kaffee. Der drollige Hund der Schwestern, den wir inzwischen Willi getauft haben, hängt auch schon am Hosenbein von Klaus, was für allgemeine Heiterkeit sorgt. Zu essen gibt es die letzten Krümel Chips und Nüsse, doch schmecken will das niemandem so recht.