Francis und John packen gekonnt die Dachzelte zusammen und wir verstauen unsere persönlichen Dinge, bevor wir zum Kral hinübergehen. Lketinga kommt uns entgegen und James steht bereits abfahrbereit bei seinem Motorrad. Wir besprechen letzte Einzelheiten für das Fest und geben James das nötige Geld für die Einkäufe.
Mama kommt aus der Hütte, um uns zu verabschieden. Da wir alle wissen, dass wir bald wieder hier sein werden, fällt der Abschied nicht allzu schwer. Ich umarme Mama und lasse ihr sagen, dass ich mich freue, sie schon bald wiederzusehen, was sie mit einem Lächeln zur Kenntnis nimmt. James startet sein Motorrad und hinterlässt wie immer eine Staubwolke. Kurz darauf werden auch wir von unseren Fahrern abgeholt. Lketinga schaut mich nicht an, sondern berührt mich nur leicht am Arm und sagt: „Lesere — auf Wiedersehen!“ Er geht langsam weg, dreht sich noch einmal um und fragt: „Kommst du nach zwei Mal oder nach drei Mal schlafen wieder?“ Ich antworte: „Zwei Mal, aber dann halten wir nur kurz hier in Barsaloi, um uns mit Giuliani zu treffen, und fahren dann weiter nach Sererit. Dort bleiben wir eine Nacht und nach drei Mal schlafen sind wir wieder hier zum Fest.“ Mit ernstem Gesicht sagt er: „Okay, no problem, geht jetzt.“
Wir fahren wieder durch den ausgetrockneten Barsaloi-River und an der Schule vorbei. Kurz darauf biegen wir in Richtung Wamba ab. Abzweigungen sind hier nie mit Wegweisern versehen. So kann man nur erahnen, wohin man fährt, zumal die Naturstraßen alle gleich aussehen: rote Erde mit einigen Löchern und ab und zu Fahrspuren, immer wieder unterbrochen von kleineren ausgetrockneten Flussläufen. Wir bewegen uns in einer einzigartigen Landschaft, die geprägt ist von zahlreichen Schirmakazien. Ab und an leuchtet ein kleiner Busch mit wunderschönen großen roten Blüten mitten in dieser Halbwüste und zeigt an, dass die Natur auch ohne viel Wasser lebt. Ein unglaublich schöner Anblick! Am Horizont erkenne ich die Bergketten mit ihrem dichten Urwald, in den sich in der Trockenzeit die wilden Tiere zurückgezogen haben.
Der Himmel ist heute zum ersten Mal nicht durchgehend blau, sondern mit weißen Wolken durchzogen. In etwa drei Wochen wird die Regenzeit beginnen. Dann verwandelt sich dieses Gebiet mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die Flüsse schwellen so schnell an, dass sie alles mit ihrer braunroten Wasserwucht mitreißen.
Sie sind dann für einige Tage nicht mehr passierbar. Die Erde, die jetzt staubig und trocken aufwirbelt, wird zu einem wahren Schlammfeld. Dies wollen wir möglichst während unserer kurzen Safari nicht erleben und hoffen, dass auch das Filmteam verschont bleibt. Mein Blick schweift immer wieder durch diese grandiose Gegend. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich hin und wieder einzelne Krals in der Steppe. Sie sind der Umgebung sehr gut angepasst und farblich kaum davon zu unterscheiden. Nur die kreisförmige Dornenumzäunung deutet sie an.
Obwohl wir mit geringem Tempo unterwegs sind, müssen die Fahrer sehr konzentriert sein. Immer wieder tauchen mitten auf der Piste Tiere auf, die durch den Motorenlärm aufgeschreckt werden. Die Kamele können nur langsam ausweichen, da die meisten ein Vorderbein am Kniegelenk hochgebunden haben, damit sie auf drei Beinen nicht so schnell weglaufen können. Für uns ist das kein schöner Anblick, doch scheint es ein brauchbares Mittel zu sein, die Herde beisammen zu halten.
Am Straßenrand stehen hin und wieder Kinder jeden Alters, winken fröhlich unseren Wagen hinterher oder halten uns ihre leeren Hände entgegen. Ich kann nicht anders und verteile die letzten Süßigkeiten, die wir dabei haben. Die meisten freuen sich, als hätten sie soeben das größte Weihnachtsgeschenk bekommen. Die Frauen, denen wir begegnen, tragen fast alle ein Kleinkind am Rücken und auf dem Kopf ein Bündel Holz oder einen Wasserkanister. Ab und zu sind die Lasten auch auf Esel geladen. Die farbenfrohen Menschen erblickt man schon von weitem. Für unser Auge sieht es majestätisch aus, wie sie sich elegant durch die dürre heiße Steppe bewegen, und ihre roten, blauen und gelben Kangas vom ständigen Wind bewegt um ihre Körper flattern. Der farbige Schmuck trägt ein Übriges zu dem beeindruckenden Aussehen der Menschen bei.
Manchmal hüpfen Tic Tics, kleine rehähnliche Tiere, vorbei. In Hungerzeiten eine Delikatesse! Hier und da erblicken wir kleinere Zebraherden. Von größeren Tieren wie Giraffen oder Elefanten fehlt heute allerdings jede Spur. Lediglich große Kothaufen lassen erkennen, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Elefantenherden durchgezogen sind. Zwischen den Schirmakazien stehen nicht selten bis zu zwei Meter hohe, verlassene, kunstvolle Termitenbauten. Der neue Priester aus Barsaloi erzählte uns, dass er die entstehende Kirche in Opiroi aus diesem steinharten Material bauen lasse. Es eigne sich hervorragend, sei strapazierfähig und koste nichts.
Wir sind nun schon etwa zwei Stunden unterwegs und sollten allmählich darauf achten, wann wir von der Piste in den Busch abzweigen müssen. Klaus war zwar schon einmal vor unserer gemeinsamen Reise am Filmset, kam aber aus einer anderen Richtung. Er hat gehört, dass ein neuer Zubringerweg zum Set angelegt worden ist.
Fahrspuren sind zwar immer wieder zu erkennen, aber keine sehen wie die von schweren Lastern aus. Das Filmset befindet sich irgendwo in der Nähe von Wamba, das ich in der Ferne bereits erkenne. Nun kann es wirklich nicht mehr weit sein!
Je geringer die Entfernung zum Filmset wird, desto unruhiger und nervöser werde ich. War ich bis vor kurzem in Gedanken noch ausschließlich mit meiner afrikanischen Familie beschäftigt, wird dieses Gefühl nun mehr und mehr von einer neuen inneren Erregung überlagert. Vor allem bin ich gespannt auf die Begegnung mit Nina Hoss, der Schauspielerin, die mich darstellen soll. Ich hoffe inständig, dass sie und ich einander sympathisch sind. Für sie ist es wahrscheinlich auch nicht einfach, der Frau zu begegnen, deren Leben sie nun nachspielt. Und der Hauptdarsteller? Wird er Lketinga würdig vertreten, obwohl er kein Samburu und kein Massai ist? Natürlich habe ich meine Zweifel.
Auf der anderen Seite war mir immer klar, dass ein traditionell lebender Samburu diese Rolle nicht spielen kann.
Wie sollte er ein Leben spielen, wenn er gar nicht weiß, was ein Film ist. Wenn er vielleicht noch nie mit einer weißen Frau gesprochen, geschweige denn körperlichen Kontakt hatte? Die traditionellen Samburu tauschen kaum Zärtlichkeiten aus und Küsse sind absolut tabu. Und nun sollte ein Krieger diese Rolle drei Monate lang spielen und einige Szenen bis zu zwanzig Mal wiederholen? Nein, das wäre wirklich nicht möglich gewesen!
Nachdem die Filmemacher auch unter den „touristenerfahrenen“ Samburu oder Massai von der Küste nicht fündig geworden sind, haben sie sich für einen weltoffenen, sympathischen Afrikaner entschieden, der nicht aus Ostafrika stammt. Und nun bin ich sehr neugierig, ob ich die Lobeshymnen der Filmverantwortlichen über ihn teilen kann. Ich hoffe es sehr.
Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, auf dem Weg zu einem Filmset zu sein, an dem gerade ein Teil des eigenen Lebens verfilmt wird. Meist gelingt es mir zwar gut, die Dinge auseinander zu halten und mir klar zu machen, dass dies nur ein Film und nicht meine reale Vergangenheit ist. Immer wieder aber gibt es Momente, in denen ich erwarte, dass alles exakt so sein sollte, wie ich es erlebt habe. Ich glaube, es wird nicht immer einfach sein und ich hoffe sehr, dass dieser Besuch bei den Dreharbeiten meine Ängste etwas mildern wird.
So sehr bin ich in meinen Gedanken versunken, dass ich die vergebliche Suche nach dem Zubringerweg gar nicht so recht mitbekomme. Ein paar Mal endet die vermeintlich richtige Piste im Nichts und wir müssen umkehren. Wir befinden uns mittlerweile kurz vor Wamba, als uns ein Jeep begegnet, der mit einem großen gelben Aufkleber