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Jetzt wünsche ich mir, dass Lketinga diese Seite einmal erleben würde und sehen könnte, wie viele Menschen weltweit an unserer Geschichte Anteil nehmen und dabei auch für ihn und seine Familie positive Worte übermitteln. Zu Hause erlebe ich das täglich durch die vielen Zuschriften und E-Mails oder persönlich bei Lesungen und sogar im Alltag auf der Straße. Ihn hingegen erreichen in Barsaloi offensichtlich nur schlechte Nachrichten. Irgendwie bereue ich es ein wenig, dass er all das hier nicht sehen und hören kann. Ich werde ihm beim Fest alles erzählen und später Fotos schicken, beruhige ich mich.

Mit ein paar Filmleuten kann ich mich kurz unterhalten, sei es mit der Kostümbildnerin aus Südafrika, die trotz des aufregenden Abenteuers langsam Heimweh verspürt, oder mit dem freundlichen Maskenbildner aus Deutschland. Jemand zeigt mir die in einiger Entfernung stehende, nur für die Zeit der Dreharbeiten errichtete Handy-Antenne. Große Generatoren erzeugen den benötigten Strom. Unglaublich, welche Mengen an Arbeitsmaterial sie hierher in den Busch transportieren mussten! Es ist nur zu hoffen, dass der Regen die Crew nicht überrascht.

Während am Nachmittag das Leben im Camp unter der schwirrenden und flimmernden Gluthitze wie ausgestorben scheint, wird es nach Einbruch der Dunkelheit lebendig. Aus allen Richtungen strömen Menschen nach getaner Arbeit in die umstehenden Zelte. Der Weg dorthin ist mit Petroleumlampen ausgeleuchtet. Auf offenen Feuerstellen wird das Duschwasser in großen Fässern erwärmt und im Inneren der Hauszelte wird geschäftig hantiert. Die meisten waren heute zum Drehen im nachgebauten Barsaloi. Ich kann es kaum erwarten, morgen den Drehort zu besichtigen.

Albert, Klaus und ich sitzen mit dem Produzenten bereits im Dinnerzelt und beobachten, wie das Essen für weit über hundert Personen angerichtet wird. Mehrere kenianische Hilfskräfte arbeiten unter der Regie von Rolf Schmid, einem Deutschen, der seit vielen Jahren in Kenia lebt und Gastronomie betreibt. Was den Catering-Service für in Kenia arbeitende Filmteams betrifft, ist er ein erfahrener Profi. Er hat bereits bei vielen Filmen für das leibliche Wohl der Mitarbeiter gesorgt, unter anderem bei „Jenseits von Afrika“ mit Robert Redford und Meryl Streep sowie bei Caroline Links Film „Nirgendwo in Afrika“. Nach Aussage vieler Fachleute ist er der wohl beste „Caterer“ in ganz Kenia. Wenn ich mir vorstelle, dass alles, was hier aufgetischt wird, in großen Lastwagen aus Nairobi angefahren werden muss, erfüllt mich die logistische Leistung eines solchen Unternehmens mit Bewunderung und großem Respekt.

Allmählich füllt sich das Zelt. Als Hermine, die Regisseurin, erscheint, freue ich mich sehr, sie begrüßen zu können. Schon bei unserer ersten Begegnung war sie mir sehr sympathisch und ich fühlte meine Geschichte bei ihr gut aufgehoben. Auch freue ich mich, dass eine Frau die Regie führt. Endlich taucht auch Nina auf. Sofort sehe ich, dass sie meiner Rolle zumindest äußerlich voll entspricht. Groß, schlank, blond — so ähnlich sah ich vor achtzehn Jahren tatsächlich aus. Auch mit ihrer Ausstrahlung kann ich mich identifizieren, was mich sehr erleichtert. Neugierig begrüßen wir uns und sitzen während des Essens nebeneinander. Aufgrund der doch recht außergewöhnlichen Situation fühle ich mich leicht gehemmt und denke, dass es ihr nicht viel anders ergeht. Schräg gegenüber gesellt sich der italienische Schauspieler, der im Film Pater Giuliani spielt, an unseren Tisch. Er gefällt mir, auch wenn er dem „Original“ nur wenig ähnlich sieht. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass er wie Giuliani sehr energisch reagieren kann.

Dann erscheint Jacky Ido, mit Filmnamen Lemalian, der Lketinga spielt. Hier beim Abendessen ist er normal gekleidet und sein Äußeres erscheint mir weit entfernt vom Aussehen eines Samburu. Ich bemühe mich, meine erste Irritation nicht zu zeigen. Als ich ihn begrüße, erkenne ich zumindest um die Augenpartie eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Ex-Mann und seinem damaligen Aussehen. Schon beim ersten Wortwechsel spüre ich seine angenehme, sympathische und herzliche Ausstrahlung. Auch die Körpergröße stimmt annähernd. Ich bin gespannt, wie er morgen nach der Maske aussieht. Er erzählt mir, dass er für die Verwandlung in einen traditionellen Samburu jeden Tag zwei Stunden benötigt. Da er nichts dagegen hat, möchte ich mir morgen dieses Kunststück nicht entgehen lassen und dabei zuschauen.

Ich lausche den verschiedenen Gesprächen und merke, dass alle sehr müde und erschöpft sind. Die Drehtage sind lang und die Hitze tut ihr Übriges. Doch das Essen entschädigt für vieles. Das Dessertbuffet kann locker mit einem Vier-Sterne-Hotel konkurrieren, obwohl es draußen im Busch unter dem Sternenhimmel steht.

So sehr ich diesen Luxus heute auch genieße — damals, als ich hier im Busch lebte, brauchte ich nichts davon.

Dafür machte mich die Liebe zu Lketinga enorm stark und überlebensfähig. Denn ich lebte und spürte sie und konnte dadurch sprichwörtlich Berge versetzen. Hier dagegen sitzen Menschen um mich herum, die lediglich für drei Monate unter erschwerten Bedingungen arbeiten. Wahrscheinlich verblasst für sie die Schönheit und Romantik dieser Gegend allmählich, da sie weit weg von ihren Lieben und ihrem Zuhause sind. Ich kann es gut nachvollziehen, würde gerne noch vieles fragen, spüre aber, dass der Zeitpunkt für derartige Gespräche nicht geeignet ist.

Der Produzent hält eine kleine Rede, stellt mich dabei vor und so weiß nun jeder hier, wer ich bin. Schon bald nach dem Essen ziehen sich die Hauptdarsteller zurück. Nina möchte noch ihren morgigen Text einstudieren und Jacky muss wegen der zweistündigen Vorbereitung in der Maske sehr früh aufstehen. Auch wir trinken das letzte Glas Wein und verlassen das Essenszelt.

Etwas abseits brennt ein Lagerfeuer und einige Stühle stehen im Halbkreis herum. Ich setze mich und genieße den Blick ins knisternde Feuer. Nach einer Weile gesellen sich eine Samburu-Mutter und ein etwa achtjähriges, quirliges Mädchen dazu. Die Frau begrüßt mich und beginnt sofort, in Maa etwas zu erzählen. Ich strenge mich an, aus den wenigen Brocken, die ich verstehe, den Inhalt zu erahnen. Plötzlich bin ich hellwach, denn sie versucht mir gerade klar zu machen, dass sie mich von früher kennt. Sie sei zur selben Zeit im Wamba-Spital gewesen, als ich meine Tochter zur Welt brachte. Sie habe damals ihr letztes, das heißt ihr vierzehntes Kind geboren. Ich kann es kaum glauben, was ich mir aus dem Wortschwall zusammenreime. Als sie mir weiterberichtet, dass sie hier die Film-Mama sei, bin ich völlig aus dem Häuschen. Jetzt muss ein Übersetzer her! Ich möchte genau wissen, was sie sagt.

Schnell ist jemand gefunden, der ihre Sprache sowie Englisch spricht. Offensichtlich habe ich alles richtig interpretiert. Es ist unglaublich: Nach vielen Probeaufnahmen mit verschiedenen Samburu-Frauen spielt schließlich eine Frau meine Schwiegermama, die mich bereits aus früheren Zeiten kennt und darüber hinaus zum selben Zeitpunkt in Wamba einem Kind das Leben schenkte wie ich. Diese Neuigkeit kann mich nur glücklich machen und ich habe das Gefühl, dass das kein Zufall sein kann.

Das lustige Mädchen spielt Saguna und heißt im Film Christine. Sie ist lebendig wie ein Gummiball und sucht nach Geborgenheit, das spürt man sofort. Später erzählt man mir, dass sie von ihrer Tante aufgezogen wird, weil ihre Eltern sie entweder weggegeben haben oder gestorben sind. Da die Samburu über Verstorbene äußerst ungern reden, ist es schwer, etwas Genaueres zu erfahren.

Ich beobachte die Film-Mama noch eine ganze Weile und finde sie sehr sympathisch. Allerdings erscheint sie mir im Vergleich zu meiner Schwiegermama etwas jung und dadurch fehlt ihr Mamas mystische Ausstrahlung.

Aber hier am Lagerfeuer, mit der eben gehörten Geschichte, fühle ich mich ihr eng verbunden. Sie erwähnt, dass sie einige meiner Familienmitglieder aus Barsaloi kenne. Ich freue mich und bin wirklich gespannt, wie sie die Rolle der Schwiegermama meistert. Für mich spielte Mama natürlich eine Hauptrolle. Sie bewahrte mich vor viel Leid und gab mir innerlich enorm viel Kraft. Wenn das im Spielfilm gezeigt werden könnte, wäre ich mehr als glücklich.