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Auf holprigen Wegen nähern wir uns langsam diesen Bergen. Auf dem Kamm ist deutlich dichter Dschungel erkennbar. Giuliani erzählt, dass dort noch riesige Büffel- und Elefantenherden leben und für Menschen kaum ein Durchkommen möglich sei. Die Samburu führten ihre Herden bis an den Rand des Dickichts, weil dort das Gras besonders fett sei.

Völlig unerwartet taucht am Wegesrand ein längliches Gebäude auf. Das sei die neue Schule, erklärt Giuliani stolz. Leider sei es schwierig, sie ausreichend mit Lehrern zu besetzen, da die meisten nach ein paar Monaten einfach nicht mehr zur Arbeit kämen. Bis aber jemand, der hier aufgewachsen ist, als Lehrkraft eingesetzt werden könne, werde es noch eine Weile dauern. Wir rumpeln über die Piste und umfahren größere Steine und Buschwerk. Nebenbei erwähnt Giuliani, dass er diesen Fahrweg selbst ausgebaut habe, früher sei hier nichts außer Geröll und Busch gewesen. Es ist mir ein Rätsel, wie Giuliani es schafft, hier zu leben.

Die Mission in Sererit

Langsam schleichen die Wagen einen kurvenreichen Pfad bergauf, bis wir nach einer letzten Kurve vor seiner Mission stehen. Nach Mission sieht es hier allerdings nicht aus. Ich habe eher den Eindruck, dass wir uns zwischen einer Ansammlung von überdimensionierten Konservendosen befinden. Alles außer der „Kirche“, die die kleine aus ein paar Hütten bestehende Ansiedlung dominiert, ist hier aus Wellblech erstellt. Sogar sein Motorrad, das er früher schon besaß, steht unter einer Wellblechhaube. Unsere Wagen sind fast so hoch wie diese Hüttchen. Jetzt verstehe ich, warum wir nur mit einem Fahrzeug hierher kommen sollten. Es gibt einfach keinen Platz dafür. Doch Giuliani wäre nicht Giuliani, wenn er dieses Problem nicht schnell lösen könnte. Einer der Wagen muss über seiner „Werkstattgrube“ parken. Sie besteht aus einem ausgehobenen Graben, neben dem er auf beiden Seiten kleine Rampen aus Beton errichtet hat. Der zweite Wagen parkt schräg am Hang. Unsere Dachzelte sind also nicht benutzbar.

Wir schauen uns die Mission an, und nicht nur wir drei europäischen Besucher, sondern auch unsere afrikanischen Fahrer fragen sich staunend, wie man hier leben kann. Der Pater, darauf angesprochen, erwidert lachend: „Ich gehe dahin, wo Samburu leben und wo es Wasser gibt. Das sind meine Auswahlkriterien, mehr brauche ich nicht. Von allen Plätzen, die ich in all den Jahren hier in Kenia kennen gelernt habe, ist das der schönste Flecken mit dem besten Wasser.“ Ein stolzes Strahlen unterstreicht seine Worte.

Nun beginnt das Entladen seines Wagens. Als zwei riesige Fässer gefüllt mit Diesel unter der Wagenplane auftauchen, frage ich mich, wie er die wohl von der Ladefläche bringen wird. Doch auch das ist für ihn kein Problem, da er speziell dafür eine Hebevorrichtung gebastelt hat und ihm einige Samburu helfen. Anschließend werden noch zahlreiche Schachteln Fett für die Bevölkerung aus der Umgebung in einer Art Schuppen verstaut.

Ich schaue dem Spektakel zu und stelle fest: „Das ist wohl Ihre Vorratskammer?“ Giuliani lacht und erwidert:

„Nein, Corinne, das ist mein Haus. Hier wohne ich und auf diesem Tisch schlafe ich. Abends werfe ich eine Matratze darauf und so liege ich bequem.“ Offensichtlich sieht er mir mein Staunen an und beteuert heiter:

„Mehr brauche ich nicht.“ Während er erzählt, gesellt sich ein zweiter italienischer Pater zu uns. Der 77-Jährige lebt hier mit Giuliani und macht einen ausgesprochen rüstigen Eindruck.

Später besichtigen wir den Mittelpunkt der Mission — die originellste „Kirche“, die ich je gesehen habe. Sie gleicht einer überdimensionalen Manyatta. Das Dach und die Seitenwände des runden Gebäudes sind mit blauen, gelben und grünen Plastikbahnen abgedeckt, zwischen denen einige Strohgeflechte hervorschauen. Die Fronttore bestehen aus Wellblech, die man mit Stützposten nach oben öffnen kann. Im Inneren des runden Zeltes befinden sich etwa vierzig Zentimeter über dem Boden auf Holzpflöcke genagelte Bretter, die als Sitzbänke dienen. Sichtlich stolz auf seinen Bau kündigt Giuliani an, dass wir morgen eine volle Kirche erleben werden.

Nun werden die Schlafplätze verteilt. Ich bekomme ein kleines Wellblechhäuschen für mich allein und Albert und Klaus müssen sich ein anderes teilen. Die Fahrer können ihr Zelt hier in dieser Schräglage leider nicht benützen. Selbst dafür hat Giuliani eine Lösung. Er bietet ihnen an, unter der Plane auf der Ladefläche seines großen Unimogs zu schlafen. Für eine Nacht dürfte das kein Problem sein.

Kaum haben wir unsere Sachen verstaut, bietet er uns auf einem Tablett einen heißen Espresso an — original italienisch. Anschließend bittet er uns in seine kleine Küche. Auf dem Weg dorthin zeigt er uns seinen Gemüsegarten, um dessen Eingangstor sich ein wunderschöner, rot blühender Strauch rankt. Die verschiedensten Gemüsesorten, unter anderem Tomaten, Auberginen und Salat, hat er hier angepflanzt. Kräuter in allen Variationen wachsen links und rechts des Gartenzaunes. Wir betreten die bescheidene Küche, in der ein hoher Kühlschrank steht. Er wird, wie auch die Beleuchtung in der kleinen Mission, mit Solarstrom betrieben. Gekocht wird mit Gas, das in Flaschen gelagert ist. Auf dem Tisch stehen ein großes Stück italienischer Hartkäse, Salami und Schinken. Wie macht der Mann das nur, all diese Köstlichkeiten hier am Ende der Welt auf den Tisch zu zaubern?

Ständig ist er in Bewegung und nimmt sich kaum Zeit, sich einmal hinzusetzen. Nachdem er hier der Koch ist, wird er uns heute Abend bekochen, einfach, aber gut. „Derart feine Dinge auf dem Tisch gibt es hier natürlich nicht täglich“, gibt er augenzwinkernd zu und schenkt uns dabei Rotwein in die Kaffeetassen. Ja, so ist er, unkompliziert, herzlich und ein Organisationstalent! Er sprüht vor Energie und man fühlt sich bei ihm gut aufgehoben und sicher.

Während des Essens fragt ihn Albert, ob er mein Buch gelesen habe. „Oh ja“, erwidert er lächelnd, „ich habe genau gelesen, was Corinne geschrieben hat. Dass ich ihr die Türe vor der Nase zugeschlagen habe, fand ich besonders interessant!“ Dabei steht er auf und spielt uns die Szene unserer ersten Begegnung, bei der ich eine ziemliche Abfuhr von ihm erhielt, vor, was ein herzliches Gelächter auslöst. Jedenfalls könne er bestätigen, dass das, was er im Buch gelesen habe, den tatsächlichen Geschehnissen, so weit er sie mitbekommen habe, voll entspricht. Er ergänzt, dass aus seiner Sicht die Liebe zu Lketinga nicht von Bestand sein konnte, weil Ehe und Sexualität bei den Samburu ganz anders gelebt werden als in Europa.

Nachdem auch er ausführlich den schlimmen Überfall der Turkana geschildert hat, berichtet er von einer neuerlichen Gefahr für dieses Gebiet, denn die Regierung möchte die Gegend zwischen Barsaloi und Sererit zu einem Wildreservat erklären lassen. Den Einheimischen würde versprochen, durch den Tourismus Arbeitsplätze für sie zu schaffen. Doch was sie verlieren würden, wäre wesentlich schwerwiegender: nämlich die Verfügungsgewalt über ihr Land. Sie könnten dann für ihre Herden nicht mehr genügend Weidegrund finden.

Hier können sie nur überleben, wenn sie das traditionelle Leben als Halbnomaden mit ihren Herden führen, davon ist Giuliani überzeugt.

Er redet sich richtig in Rage bei der Vorstellung, dass man diesen Menschen das Land wegnehmen könnte. Und hier in Sererit wäre das besonders schlimm, da das ganze Jahr über sauberes Trinkwasser von den Bergen fließt.

Anschaulich erklärt er uns alles anhand einer Landkarte.

Trotz der spannenden Erzählungen muss ich mich zwischendurch nach der Toilette erkundigen. Giuliani zeigt auf ein winziges Hüttchen, das aus Plastik und Strohgeflecht besteht. Schon beim Eintreten muss ich mir ein lautes Lachen verkneifen. Auch hier ist die Toilette nur ein Plumpsklo, aber was für eines! Über dem Loch ist eine Holzverkleidung angebracht, an der ein halbierter Baumast links und rechts, schön gebogen, die WC-Brille ersetzt. Natur pur! Daneben ist die Dusche installiert, die nach demselben System funktioniert wie am Filmset. Sogar einen separaten Wasserhahn gibt es, so dass man sich bei fließendem Wasser die Hände waschen kann! Voller Begeisterung verlasse ich diesen Ort, um meinen Begleitern davon vorzuschwärmen. Beim ersten Ton jedoch brechen sie in schallendes Gelächter aus. Als ich sie verwundert anblicke, erfahre ich, dass Giuliani ihnen schon prophezeit hat, dass ich begeistert zurückkommen würde, da er diesen Spezialsitz extra für mich gebaut hat.