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Während die Herren vor Giulianis Häuschen weiterscherzen, höre ich Glockengebimmel und sehe hinter dem Gartenzaun einige schwarz-weiße Kühe, die langsam nach Hause traben. Hinter ihnen laufen zwei Krieger und ein Mädchen, die neugierig und stumm zu uns hochschauen. Sicher begegnen sie hier äußerst selten weißem Besuch. Ich möchte mich ein wenig bewegen und mache mich auf den Weg, das kleine Missionsareal zu erkunden. Während des Rundgangs erblicke ich überrascht im Garten einen traditionell gekleideten und geschmückten Krieger. Seinen nackten Oberkörper zieren farbige Perlenschnüre und über dem roten Hüfttuch trägt er ein Buschmesser. Recht seltsam und ungewohnt ist für mich allerdings, dass er in der rechten Hand eine grüne Gießkanne hält, mit der er sorgfältig den Garten wässert. Er schaut nicht auf, sondern konzentriert sich auf seine Arbeit.

Giuliani erklärt später, dass ihm bei der Arbeit häufig Samburu helfen und er sie dafür natürlich auch entlohnt.

Auf diese Weise lernen die Samburu Arbeiten zu verrichten, die sie früher nicht kannten oder deren Sinn sie nicht einsahen. Auch als er die einfache Mission, die Schule und die Straße baute, halfen ihm die Samburu. Er sei hier, um den Menschen in erster Linie das Leben zu erleichtern, sei es durch Aufklärung über Hygiene und Krankheiten oder durch Schulbildung und das Entwickeln von Möglichkeiten, etwas daraus zu machen. So ist er in dieser abgelegenen Region Arbeitgeber, Lehrer, Freund, Ratgeber und Helfer in einer Person.

Während meines kleinen Spaziergangs sehe ich ansonsten kaum einen Menschen und habe den Eindruck, dass hier nahezu niemand wohnt. Aber wie fast überall im Busch taucht plötzlich wie aus dem Nichts ein menschliches Wesen auf, wenn man sich gerade ganz sicher ist, weit und breit allein zu sein. Ich blicke noch eine Weile in die wildromantische Landschaft, bevor ich mich zu Giuliani in die Küche geselle, um ihm beim Anrichten des Abendessens zu helfen. Doch ich darf lediglich seine letzten Tomaten und Zwiebeln für den Salat zerkleinern, alles andere kocht er höchstpersönlich.

Auf einmal ertönt in die Stille hinein italienische Opernmusik. Völlig unvorbereitet trifft mich der klare Klang und ich bekomme trotz der Wärme eine leichte Gänsehaut. Die Musik ist so ungewöhnlich an diesem kargen, entlegenen Ort, dass sie fast überirdisch klingt. Giuliani bemerkt mein Staunen und singt laut und fröhlich mit.

Auch Klaus und Albert werden von den Klängen angelockt und schauen herein. Schnell ist geklärt, dass die Quelle für die verzaubernden Töne ein mit Solarenergie betriebener CD-Spieler ist.

Bald sitzen wir alle vor einem mit Knoblauchspaghetti gefüllten Teller. Dazu gibt es in einem Blechtopf gebratenes Ziegenfleisch, das wunderbar schmeckt. Während des Essens erzählt unser Gastgeber von seinen nächsten Vorhaben. Unter anderem will er, wenn er das nötige Geld beisammen hat, eine etwas größere Kirche bauen, da diese bald nicht mehr ausreicht, wie wir uns morgen bei der Messe überzeugen könnten. Später möchte er eine Piste anlegen, die von hier direkt nach Barsaloi führt, denn in der Regenzeit muss er einen beträchtlichen Umweg fahren, weil der Fluss nicht passierbar ist. Gerade bei Krankheiten oder Unfällen, wenn es gilt, keine Zeit zu verlieren, erweist sich dies als Problem.

Während er seine Pläne ausbreitet, fällt ihm immer wieder eine Geschichte aus meinem Leben mit Lketinga ein, die wir dann gemeinsam und uns gegenseitig ergänzend Albert und Klaus erzählen. Auch der ältere Pater hört aufmerksam zu.

Doch plötzlich steht er auf und vcrlässt die Küche. Er möchte auf keinen Fall seine italienischen Nachrichten verpassen. Wir schauen uns etwas verständnislos an, bis Giuliani erklärt, dass jeden Abend zur gleichen Zeit ein italienischer Sender zu empfangen sei.

Etwas später treten auch wir in die mittlerweile sternenklare Nacht und sehen den Pater auf einem Stuhl sitzen und ein kleines Radiogerät andächtig an sein Ohr drücken. Es ist ein anrührendes Bild. Wir setzen uns auf die freien Srühle und Giuliani zieht ein Eisenbettgestell in unsere Mitte. Ungeniert streckt er sich darauf aus und erklärt einige Sternbilder. Dies sei ihr allabendliches Rituaclass="underline" Beide säßen hier, sein älterer Kollege höre die Nachrichten und danach würden sie diskutieren oder die Sterne beobachten. Nach acht Uhr gingen sie normalerweise zu Bett.

Während wir Giulianis Erzählungen lauschen, erkenne ich an den gegenüberliegenden Hügeln kleine, flackernde Feuerscheine, die wohl von den Kochstellen der Manyattas stammen. Ab und an dringen, vom Wind hergetragen, Menschenstimmen zu uns. Es ist absolut einsam und friedlich. Giuliani jedoch liegr kaum zehn Minuten ruhig, dann springt er auf, um etwas zu erledigen. Ich nutze die Gelegenheit und lege mich auf das Eisengestell, um die Sterne aus der Waagrechten zu betrachten. Der Mond ist voll und von einem hellen Hof umgeben. Die Sterne hängen so tief, dass man sie pflücken möchte. In diesem Moment fühle ich mich eins mit der Natur und mich ergreift ein richtiges Hochgefühl.

Giuliani kommt zurück und fragt lachend: „Corinne, gefällt dir dieses Bett? Ich habe es selbst gebaut. Wenn du willst, kannst du hier draußen schlafen, ich mache das manchmal auch."

So etwas muss man mir nicht zweimal anbieten — natürlich will ich! Ich hole meine dünne Matratze, den Schlafsack und zwei Decken und richte auf dem Gesrell ein kuscheliges Bett her. Meine Begleiter schauen etwas skeptisch und Klaus fragt:

„Ist das dein Ernst, willst du wirklich draußen schlafen? Du weißt doch nicht, was hier nachts so alles rumkrabbelt!“ „Kein Problem, Klaus, das muss jetzt sein. Eine Nacht hier im Busch unter freiem Himmel ersetzt mir die verpasste Nacht in Mamas Manyarta“, erwidere ich freudig.

Alle besuchen, mit einer Taschenlampe ausgerüstet, noch einmal das „Bad“, bevor jeder seinen Schlafplatz aufsucht. Die Fahrer klettern unter die Plane auf dem Laster und Albert und Klaus verschwinden in ihrer

„Konservendose“. Ich schlüpfe in den leichten Schlafsack, lege die Decken darüber und ziehe die Kapuze meines Trainingsanzugs über den Kopf, da es in der Nacht kalt werden wird. Es ist herrlich und ich könnte jauchzen vor Fteude! Ich habe den Eindruck, am Ende der Welt angekommen zu sein, und fühle mich frei und leicht und winzig Idein im Angesicht des Universums. Auch vermeintliche Probleme erscheinen auf einmal unbedeutend und unwichtig. Unentwegt schaue ich zum Himmel und erkenne immer wieder neue Sternbilder.

Weit oben hinter einem dunklen Hügel erscheint plötzlich ein blinkendes Licht. Bald ist mir klar, dass es sich um ein Flugzeug handelt, das in 10.000 Meter Höhe über mich hinwegfliegt, irgendwohin.

Giuliani hantiert ein letztes Mal in seiner Küche, bis auch dort das Licht ausgeht. Die Fahrer diskutieren noch leise in ihrer Sprache, dann ist es endgültig still. Meine Gedanken kehren nach Barsaloi zu meiner Familie zurück. Ich frage mich, wie wohl morgen das Fest verlaufen wird und wie viele Menschen vorbeikommen werden. Zugleich steht uns dann der Abschied bevor. Doch schnell verdränge ich diesen Gedanken, da er mein momentanes Glücksgefühl merklich dämpft.

Hie und da raschelt es, aber es kümmert mich nicht, denn ich liege einen Meter über dem Boden. Die Luft ist rein und klar. Als mich die Müdigkeit überfällt, bedanke ich mich in einem leisen Gebet für das bis jetzt gelungene Wiedersehen in Barsaloi und Sererit und schlafe ein. Mitten in der Nacht wache ich noch einmal auf.