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Wir erreichen Opiroi und plötzlich zeigt Lketinga auf eine Gruppe von Frauen und Kindern: „Schau, dort ist Mama Natascha, willst du sie begrüßen?" Natürlich will ich das! Wir haben uns früher viele Male gegenseitig besucht und bei einem dieser Besuche war es, dass ich ihrer Tochter den Namen Natascha gab. Ihr Ehemann ist ein Halbbruder von Lketinga. Auch ihn mochte ich sehr gern. Mit ihm konnte ich stundenlang lachen. Er kannte wirklich nichts aus der „Welt der Weißen“. Feuerzeuge waren für ihn etwas Unheimliches, er nannte sie brennende Hände. Coca Cola hatte er noch nie getrunken, allein die dunkle Farbe machte ihn misstrauisch. Als er den ersten kohlensäurehaltigen Schluck trank, spuckte er in heller Aufregung alles weit von sich.

Mama Natascha kommt mit einem Kleinkind auf dem Arm auf mich zugelaufen und ruft: „Supa, Mama Napirai!“ Ich umarme sie und freue mich mit ihr. Sie hat von Natascha erfahren, dass ich hier bin. Ich frage nach ihrem Mann und erfahre, dass er mit den Kühen unterwegs sei. Als Erstes erkundigt sie sich nach Napirai. Ich muss ihr zeigen, wie groß mein Kind mittlerweile ist. Als sie hört, dass Napirai zur Schule geht, streckt sie mir lachend ihr jüngstes Kleinkind entgegen und meint: „Nimm diesen Jungen mit und stecke ihn auch in eine Schule.“ Alle Umstehenden lachen. Lketinga übersetzt, dass sie inzwischen sieben Kinder habe und es allen gut gehe. Ich glaube, dass ihre Ehe glücklich ist, denn ihr Mann wirkte immer gutmütig und hat auch keine Zweitfrau geheiratet.

Um Mama Natascha herum stehen noch weitere Frauen. Alle tragen in ihren Kangas Kleinkinder am Rücken.

Eine von ihnen ist noch mit gegerbtem Kuhfell bekleidet. Zwei ältere Männer erkennen und begrüßen mich. Sie fragen, ob ich mich an sie erinnere. Da ich ihnen eine Freude machen möchte, nicke ich. Sie segnen mich mit ihrer Spucke. Bevor wir weiterfahren, krame ich meine zwei Lieblingskangas aus der Reisetasche und schenke sie Mama Natascha. Überrascht bedankt sie sich mehrmals und ich freue mich, zum Abschluss noch eine fröhliche Bekannte getroffen zu haben.

Die Fahrt führt uns wieder an der halbfertigen „Termitenkirche“ vorbei und hinauf in dichter bewaldetes Gebiet.

Es rumpelt und schaukelt fürchterlich. Wenn hier richtig Regen fällt, wird diese Straße sicher bald weggeschwemmt und unbrauchbar sein.

Wir legen nur noch eine kurze Rast vor Maralal ein, da in der Ferne der Regen schon zu sehen ist. Es ist merklich kühler geworden. Lketinga spricht für seine Tochter Napirai ein paar Sätze auf meinen kleinen Rekorder. Gerade hat er den letzten Satz gesprochen, als sich ein sintflutartiger Regen über uns ergießt. Schnell klettern wir ins rettende Auto zurück und beeilen uns, nach Maralal zu kommen, bevor die Straße zum Schlammfeld wird. Schon rauscht uns das Wasser entgegen. Die Tiere, denen wir begegnen, stehen reglos in den auf sie niederprasselnden Schauern und die Menschen suchen Schutz unter Bäumen. Die Fahrer müssen die mit Wasser gefüllten Schlaglöcher vorsichtig umfahren, da in der braunen Brühe nicht auszumachen ist, wie tief sie sind.

In Maralal möchten wir gemeinsam mit Lketinga in einem einheimischen Lodging essen. Ich schlage das Somali-Restaurant vor, da ich gute Erinnerungen daran habe.

Als ich meine erste Malaria hatte und fast vier Wochen kaum Nahrung zu mir genommen hatte, war ich dem Erschöpfungstod nah. Die Ärzte im Maralal-Spital waren mit der Schwere meiner Krankheit überfordert und den Weg in das viel bessere Spital in Wamba hätte ich nicht mehr geschafft. Lketinga und meine damalige Freundin Jutta schleppten mich verzweifelt aus dem Spital direkt zum Somali-Restaurant. Es war ihre letzte Hoffnung und es klappte. Die gekochte Leber mit Zwiebeln und Tomaten, die mir dort vorgesetzt wurden, waren das erste Gericht, das ich in kleinen Häppchen essen und bei mir behalten konnte. Das war der erste Schritt zur Genesung.

Jetzt parken wir direkt davor und beim Eintreten staune ich, wie groß das Lokal geworden ist. Es herrscht viel Betrieb. Lketinga stülpt sich die Kapuze seiner Jacke über den Kopf. Das hat er früher schon gemacht, wenn er nicht erkannt werden wollte. Er fragt mich, was ich möchte, und gibt meinen Wunsch weiter. Doch leider gibt es keine Leber mehr. So bestelle ich Ziegenfleisch mit Kartoffeln und süßen Chai. Lketinga isst nur Brotfladen und trinkt Chai.

Immer wieder wundere ich mich, wie wenig er zu sich nimmt. Sein Blick irrt unruhig hin und her. Es ist schwierig, an einem solchen Ort Abschiedsworte zu formulieren, und so sitzen wir mehr oder weniger schweigend da, obwohl die letzten gemeinsamen Minuten verfliegen.

Ich frage ihn, was er hier in Maralal machen wird. Er antwortet, dass er zur Bank gehen wird, um zu sehen, ob das zugesagte Geld der Filmleute eingetroffen ist. Ein paar persönliche Worte will ich noch an ihn richten:

„Bitte, Lketinga, pass auf dich auf! Fange nicht mehr mit dem Alkohol an. Ich bin sehr froh, dass du in diesen Tagen keinen Tropfen getrunken hast. Ich habe gesehen, dass du dein Leben geändert hast, und das macht mich glücklich. Ich werde Napirai davon erzählen und eines Tages kommt sie mit mir nach Barsaloi.“

Er schaut mich an und erwidert schlicht: „Okay, I will wait for you.“

Es wird Zeit aufzubrechen und wir verlassen das laute Lokal. Draußen gießt es in Strömen und Maralal versinkt im Morast. Überall stehen Menschen unter den Unterständen und warten das Ende des Regens ab. Wie soll ich mich hier nur von Lketinga verabschieden? Eine Umarmung vor all den Fremden, die uns beobachten, wäre nicht möglich, ohne ihn lächerlich zu machen. Lketinga wirft eine dünne Decke über die Kapuzenjacke, schaut mich mit ruhigem und ernstem Gesicht an, berührt meinen Arm und sagt: „Okay, lesere.“

Er verabschiedet sich kurz von Albert und Klaus und verschwindet, ohne sich umzusehen, zwischen den anderen Leuten.Wir fahren langsam los und ich suche ihn mit meinen Augen, kann ihn aber nicht mehr ausfindig machen, denn zu viele Menschen im Gedränge haben ebenfalls Tücher und Decken über ihre Köpfe geworfen.

Ich bin sehr traurig. Ich liebe diesen Mann nicht mehr, aber er ist der Vater meiner Tochter und dadurch bleiben wir unser Leben lang verbunden. Während unseres Besuches habe ich wieder neu gelernt, ihn zu achten. Er hat viel dazu beigetragen, dass dieses Wiedersehen gelungen ist.

Dank seines und James' Humor habe ich in diesen Tagen mehr gelacht als im vergangenen halben Jahr davor.

Deshalb empfinde ich diesen kurzen Abschied fast tragisch. Auch er war traurig, das sagte mir sein bewegungsloses Gesicht. Aber er lebt wieder ganz in seiner Welt und ich in meiner, und beiden geht es gut dabei. Die Verbindung lebt in unserer gemeinsamen Tochter weiter.

Der letzte Abend im Samburuland

Die Nacht wollen wir wieder im Maralal Lodging verbringen, unsere letzte Übernachtung im Samburugebiet. Ich beziehe dasselbe hübsche Zimmer mit Kamin. Draußen ziehen trotz des Regens Zebras und Wildschweine zum Wasserloch. Wir haben noch genügend Zeit bis zum Abendessen und so gönne ich mir ein heißes Bad, um meine Beklommenheit aus der Brust zu lösen. Das Wasser läuft mit einem rotbraunen Schimmer ein, was dem Regen zuzuschreiben ist. Ich genieße es trotzdem, denn heikel darf man in Afrika nicht sein.

Gerade als ich fertig bin, klopft jemand an die Türe und ruft: „Madame, ich habe eine Nachricht für Sie. Sie werden im Restaurant erwartet.“ Neugierig mache ich mich auf den Weg. Zwei afrikanische Männer sitzen in den Sesseln. Erst beim Nähertreten erkenne ich einen der beiden. Es ist der Buscharzt aus Barsaloi, der mir ein paar Mal mit Gesprächen und Diagnosen geholfen hatte. Sofort ist ersichtlich, dass er dem Alkohol zugeneigt ist.

Sein Begleiter wird mir als Beamter aus Maralal vorgestellt. Überrascht begrüße ich den Buscharzt. Mein Gott, hat er sich verändert! Sein Gesicht ist aufgedunsen und ihm fehlen ein paar Zähne. Ich bin richtig schockiert. Er gibt offen zu, dass er lange Zeit Alkoholprobleme hatte. Ich erkundige mich nach seiner Frau und den Kindern, die ich gut kannte. Nach einer eher knappen Antwort erklärt er, dass er Lketinga in Maralal getroffen und von ihm erfahren hat, dass wir die Nacht hier verbringen.