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In der Zwischenzeit ist auch Albert dazugekommen. Sofort beginnt er, Albert von meinen zahlreichen Krankheiten zu berichten. Wie viele Male er glaubte, dass ich dem Tode nahe war, vor allem, als er mich mit dem Flugzeug der „Flying Doctors“ nach Wamba begleitet habe. Ich wusste gar nicht, dass er mit in dem kleinen Rettungsflugzeug saß, da ich zu schwach war, irgendetwas wahrzunehmen und nur Angst um mein ungeborenes Kind hatte. Ausführlich schildert er die dramatische Rettungsaktion und erwähnt dabei, dass der damalige Pilot leider nicht mehr am Leben sei. Er vermute, dass dieser an Malaria gestorben ist. Diese Information erschüttert mich, da jener Pilot mit einer spektakulären Landung im Busch mir und meinem ungeborenen Kind just bei dieser Krankheit das Leben gerettet hat.

Wir tauschen noch einige Erlebnisse von früher aus, unter anderem erinnert er mich daran, dass er mir zur Hochzeit eine Ziege geschenkt hat. Bevor er sich mit seinem Begleiter von mir verabschiedet, kommt die unvermeidliche Bitte um Geld. Er hätte offene Rechnungen im Krankenhaus und wisse nicht, wie er sie finanzieren solle. Sicher ist das der Grund seines Besuches. Ich gebe ihm, was ich für angemessen erachte. Als er mit seinem Begleiter geht, hinterlässt er ein ungutes Gefühl in mir. Schade, denke ich, was der Alkohol aus diesem Menschen gemacht hat.

Beim Abendessen sind wir wieder die einzigen Gäste. Wie kann diese Lodge nur existieren? Die gesamte Dekoration und Einrichtung ist noch dieselbe wie vor achtzehn Jahren — einfach, aber gemütlich. Heute ziehen wir uns alle früh in die Zimmer zurück. Ich genieße das knisternde Kaminfeuer und versuche mir vorzustellen, wo sich Lketinga wohl gerade aufhält. Ich hoffe sehr, dass er mit dem bescheidenen Reichtum umgehen kann und nicht wieder dem Alkohol verfällt.

Bevor ich einschlafe, spüre ich ein srarkes Bedürfnis, für meine Familie zu beten: „Lieber Gott, lass Mama noch lange leben. Schütze Lketinga und seine kleine Familie und lass ihn wieder Vater werden. Gib James die nötige Kraft, damit er noch lange für uns alle zwischen den beiden Welten der Mittler sein kann. Beschütze auch meine Tochter Napirai und hilf ihr dabei, ihre Wurzeln mir Stolz anzunehmen.“

Das Hospital in Wamba

Schon früh am nächsten Morgen brechen wir auf. Wir fahren eine neue Route, so dass wir den großen, inzwischen mit Wasser gefüllten Fluss vor Wamba nicht passieren müssen. Ein letztes Mal sauge ich die vorbeiziehenden Bilder ein, damit sie sich in mein Gedächtnis einbrennen. So hart es ist, hier zu überleben, so unbeschreiblich schön empfinde ich die Landschaft und ihre Bewohner. Wenn man einmal hier war, ist man von diesem Zauber gefangen.

Unsere Wagen schlängeln sich über die maroden Straßen in Richtung Wamba. Nach etwa drei Stunden erreichen wir das Dorf und steuern direkt auf das Hospital zu. Ich erwarte nicht, dass man mich hier noch kennt, zumal ich von Pater Giuliani erfahren habe, dass vor kurzem ein indischer Orden das Krankenhaus übernommen hat und die letzten italienischen Schwestern vor drei Monaten weggegangen sind. Eigentlich schade.

Wir begeben uns auf die Suche nach jemandem, der es mir ermöglicht, meine Erinnerungen aufzufrischen. Am Empfang erklären wir unser Anliegen. Die indischen Frauen sind erfreut, glauben aber zunächst, wir seien vom Filmteam, das sie erst am nächsten Tag erwarten. Als ich ihnen erkläre, dass ich diejenige bin, die vor fünfzehn Jahren wirklich hier war und morgen „nur“ mein Leben nachgedreht wird, sind sie sofort bereit, uns die einzelnen Stationen zu zeigen.

Die stellvertretende Leiterin des Hospitals begleitet uns persönlich. Vieles ist noch wie damals, wenn auch in einem weit besseren Zustand. Mir fällt auf, dass erstaunlich wenige kranke Menschen zu sehen sind. Früher standen sie in Kolonnen vor der Aufnahme und die Zimmer waren voll belegt. Auch ich saß mit meinem Baby manchmal vier oder fünf

Stunden in der Aufnahme, bevor wir zum Impfen an die Reihe kamen.

Wir gehen die Gänge entlang und stehen bald vor dem Zimmer, in dem ich mit meiner damaligen, ebenfalls hochschwangeren Freundin Sophia lag. Der Raum ist zur Zeit nicht belegt und so darf ich eintreten.

Unglaublich! Alles sieht noch so aus wie vor fünfzehn Jahren. Sogar die gleiche dünne blauweiße Decke liegt über der Matratze auf dem Eisenbettgestell. Stellenweise blättert Putz von den Wänden. Neben den beiden Betten stehen noch dieselben Metallschränkchen. Bei ihrem Anblick erinnere ich mich an das Gekrabbel von Kakerlaken. Als ich einmal in der Schublade Essbares aufbewahrt hatte, wurden die Tierchen nachts aktiv und wollten auch davon profitieren. Zuerst hörte ich nur ein Kratzen auf dem Metal! und wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Im Lichtkegel meiner Taschenlampe sah ich mit Entsetzen, wie sich die schwarzen Tierchen selbst in die kleinsten Ritzen verdrückten.

Ich setze mich auf „mein“ Bett und mich überkommt ein Glücksgefühl. Hier saß ich stundenlang und habe gestrickt. Ich, die in der Schule nie stricken wollte, habe hier die ersten Kleidchen für mein werdendes Kind gefertigt. Hier wartete ich fast zwei Wochen ungeduldig auf die Geburt. Vorbereitungen konnte ich keine treffen, da es so etwas wie Schwangerschaftsgymnastik oder ähnliche Vorbereitungskurse nicht gab. Informationen, wie ein Geburtsvorgang verläuft, hatte ich ebenfalls keine, da ich mich mit meiner Schwiegermutter, die bei den Samburu normalerweise die diesbezügliche Unterweisung übernimmt, nicht besprechen konnte. Ich redete mir einfach ein, dass täglich viele junge Mädchen Kinder bekommen, da würde ich das als 29-Jährige ja wohl auch hinbekommen.

Aber nicht nur schöne Erinnerungen verbinden sich mit diesem Raum. Hier lag ich mit schwerer Malaria und war links und rechts an Infusionen angeschlossen. Die eine Flasche enthielt Blut, die andere wahrscheinlich eine Kochsalzlösung.

Im Spital von Wamba habe ich so manches erlebt und habe überlebt und empfinde es im Moment wie ein Wunder, dass ich heute, fünfzehn Jahre später, so wohlgenährt und vollkommen gesund auf demselben Bett sitze.

Wir werden weitergeführt zur Isolationsabteilung, die ich auch sehr gut von innen kenne. Sie wird gerade umgebaut, so dass die Räume nicht zu besichtigen sind. Die gesamte Abteilung sei verlegt worden, erfahren wir.

Ich zeige Albert und Klaus, wo ich fünf Wochen in Isolation verbrachte und bei den täglichen Besuchszeiten von zahlreichen unbekannten Besuchern durch eine Scheibe beäugt wurde. Nur allzu gut erinnere ich mich an diese furchtbar einsame Zeit. Keine Menschenlaute, kein Vogelzwitschern, kein einziges Geräusch drang damals in meine Zelle. Dennoch wurde ich gesund.

Wir gehen langsam zurück und ich frage unsere Begleiterin, welche Krankheiten heute am häufigsten behandelt werden. Die Schwester antwortet: „Verbrennungen und Komplikationen bei Geburten, verursacht durch die Beschneidung. Fast täglich sehe ich, welch schlimme Folgen Beschneidungen haben können. Selbst wenn sie nicht sofort eintreten, spätestens bei der ersten Geburt kommt es bei den meisten zu Problemen. Wenn die Mädchen verheiratet werden, sind sie manchmal kaum älter als zehn Jahre und bei der Entbindung dementsprechend zwölf oder dreizehn. In diesem Alter ist eine Geburt ohnehin gefährlich und dann kommt hinzu, dass die Vagina häufig völlig vernarbt und unelastisch ist. Einige junge Mädchen sterben oder behalten lebenslange Verletzungen zurück. Viele können ihr Harnwasser nicht mehr kontrollieren und werden deshalb von der Familie des Ehemannes verstoßen. Derart traurige Schicksale begegnen uns täglich. Obwohl die Beschneidung laut Gesetz in Kenia verboten ist, glaube ich, dass es noch lange dauern wird, bis diese Verstümmelung ein Ende hat, vor allem im Busch draußen, wo niemand kontrolliert und die Mädchen keine Rechte haben. Solange dort der Brauch besteht, dass die Mädchen nur jung und nur nach der Beschneidung geheiratet werden, fruchtet die Aufklärung nur langsam. In den Städten ist es schon besser.