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Kurz vor der Weiterfahrt besichtigen wir die Thomsons Falls, den bekannten Wasserfall, der aus beachtlichen 11

Metern Höhe in die Tiefe fällt. Früher fuhr ich diese Strecke mehrere Male, doch für einen touristischen Halt hatte ich nie einen Sinn.

Nach der Besichtigung des Wasserfalls können wir das Camp ohne viel Aufsehen verlassen, da die Frauen ihre Souvenirläden tatsächlich noch geschlossen haben. Nun beginnt es für mich wirklich spannend zu werden, denn unser heutiges Reiseziel ist Maralal. Wenn alles wie vereinbart klappt, werden wir dort James treffen. In seinem letzten Brief hatte er vorgeschlagen, uns entgegenzukommen, um uns den neuen Weg nach Barsaloi zeigen zu können.

Ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen, und bin neugierig, welche Neuigkeiten er zu berichten hat. Vor allem interessiert mich, wie Lketinga zu meinem Besuch steht. Freut er sich oder könnte es zu Schwierigkeiten kommen? Obwohl er selbst wieder mit einer einheimischen Frau verheiratet ist, bin ich überzeugt, dass er mich immer noch als seine Frau betrachtet. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie er sich verhalten wird. Ich hoffe sehr, dass wir James rinden werden und dass er meine letzten Zweifel beseitigen kann!

Anfänglich fahren wir noch einige Kilometer auf einer Asphaltstraße weiter, bis diese beim Dörfchen Rumuruti abrupt endet und in eine Naturstraße übergeht. Ab jetzt befinden wir uns im Samburuland. Wie mit einem Lineal gezogen ändert sich die Vegetation. Fuhren wir bisher durch viel grünes Weide- und Kulturland, so sieht die Landschaft nun äußerst trocken aus und die Farbe der Erde beginnt, sich von Beige in Rot zu verwandeln. Die Temperaturen steigen ebenfalls an.

Ab hier gibt es keine einzige Teerstraße mehr, nur holprige Naturpisten. Unsere Fahrzeuge hinterlassen eine riesige Staubwolke und wir werden kräftig durchgerüttelt. Als meine Reisebegleiter einige Bemerkungen zum Zustand der Piste machen, kann ich ihnen nur lachend versichern, dass es vor vierzehn Jahren noch wesentlich schlimmer war. Mir gefällt das Geschüttel und meine Freude kann nichts mehr bremsen. Die Erinnerung an diese Straße und ihre Tücken ist so stark, dass ich unseren Fahrer bitte, mich ans Steuer zu lassen. Wenn es schon den großen Bus auf dieser Strecke nicht mehr gibt, möchte ich mich wenigstens an meinen klapprigen Land Rover erinnern. Wir holpern über die Piste und ich muss mich beim Fahren sehr konzentrieren, um zumindest den größeren Löchern ausweichen zu können.

Aus den Augenwinkeln erkenne ich ab und zu die ersten Manyattas abseits der Straße. Hin und wieder rauchen ein paar Meter vor dem Wagen weiße Ziegen auf. Während sie die Straße langsam verlassen, blicken uns die sie hütenden Kinder hinterher. Die Jungen klemmen sich dabei meistens einen Stock hinter dem Rücken waagrecht zwischen die Armbeugen. Die jüngeren Mädchen hingegen lachen und winken uns Mzungus in den Autos hinterher. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir ein kleineres Dörfchen, das sich lediglich an ein paar Shops rechts und links der Straße und natürlich den farbenfroh gekleideten Menschen, die davor stehen, ausmachen lässt. Nein, noch etwas kündigt im Gegensatz zu früher menschliche Behausungen an: Plastik! Es ist ein Trauerspiel zu sehen, wie sich der Einzug von Plastik in Kenia bemerkbar macht. Es beginnt etwa 500 Meter vor jedem Dorf. Anfangs hängen nur einige blaue, rosafarbene oder durchsichtige kleine Plastikbeutel an den niedrigen Büschen. Je näher man dem jeweiligen Dorfkern kommt, desto schlimmer wird es. An jedem Dorn der kleinen Büsche sind Plastikbeutel aufgespießt. Wenn man nur flüchtig hinsieht, könnte man meinen, es seien blühende Büsche, aber die traurige Wahrheit erschließt sich schnell bei genauerem Betrachten. Zu meiner Zeit in Kenia gab es hier noch fast kein Plastik. Hatte jemand einen Plastikbeutel von einem Touristen ergattert, wurde dieser wie ein Augapfel gehütet und immer wieder verwendet. Nun aber hängen sie zu Tausenden an den Büschen!

Maralal

Kurz bevor wir unser Tagesziel erreichen, übergebe ich das Steuer wieder unserem Fahrer, damit ich bei der Einfahrt in Maralal alles mit den Augen erfassen kann. Schnell bemerke ich, wie sehr dieser Ort inzwischen gewachsen ist. Es gibt neue Straßen, wenn auch Naturstraßen, sogar einen Kreisverkehr und direkt daneben, ich kann es nicht fassen, eine moderne BP-Tankstelle mit Laden, wie bei uns in der Schweiz. Wie ich bald feststelle, hat Maralal mittlerweile drei Tankstellen, Benzin ist immer erhältlich. Das war zu meiner Zeit noch ganz anders.

Ich wusste nie, wann die einzige Tankstelle wieder Benzin bekommen würde. Manchmal mussten wir mehr als eine Woche ausharren, um anschließend mit einem vollen 200-Liter-Benzinfass über die gefährliche Buschstraße zu fahren. Zu Hause stellte sich dann die Frage, wo und wie wir das volle und gefährliche Fass verstauen konnten, da bei den Manyattas immer mit Feuer hantiert wird. Gott sei Dank half auch bei diesem Problem Pater Giuliani. Heute sind diese Tankstellen für alle Autobesitzer natürlich eine unglaubliche Erleichterung. Früher gab es allerdings nicht mehr als zehn Autos in dieser Gegend!

Mit unseren beiden Land Cruisern fahren wir langsam am Markt vorbei, der sich nicht wesentlich verändert hat.

Mehrere Holzstände stehen nebeneinander und überall hängen die schönen bunten Massai-Decken und — Tücher im Wind. Dahinter befindet sich wie eh und je das Postamt. Später stelle ich erstaunt fest, dass dort vier Computer stehen, mit deren Hilfe sich die Missionare oder ehemalige Schüler über das Internet mit der Welt verbinden lassen können.

Wir fahren sehr langsam, um James nicht zu verpassen. Aufgeregt schlage ich vor, zuerst eine Runde durch Maralal zu fahren, da wir Weißen auffallen und James auf diese Weise sicher von unserer Ankunft hören wird.

Maralals Zentrum sieht aus wie früher, doch an den Rändern ist der Ort in alle Himmelsrichtungen gewachsen.

Wir kommen an Sophias ehemaligem Häuschen vorbei und sofort tauchen die Erinnerungen an sie auf. Sie war mir in jener Zeit eine sehr gute Freundin. Wir hatten das Glück, zur gleichen Zeit schwanger zu sein und in derselben Woche unsere Töchter zur Welt zu bringen. Wir waren die ersten weißen Frauen, die in dieser Gegend Kinder geboren haben und konnten uns deshalb ein Zimmer im Spital von Wamba teilen. Sophia und ihren italienischen Kochkünsten verdanke ich, dass ich im letzten Schwangerschaftsmonat die nötigen zehn Kilo zulegen konnte, um für die Geburt wenigstens ein Minimalgewicht von siebzig Kilo zu erreichen. Heute wiege ich bei einer Körpergröße von 1,80 m weit mehr und bin nicht im neunten Monat schwanger. Wie gerne würde ich sie und ihre Tochter wiedersehen!

Nachdem wir unsere Maralal-Rundfahrt beendet haben, parken wir die Wagen vor dem Lodging, in dem ich früher immer mit Lketinga übernachtet habe. Kaum ausgestiegen, sind wir von mindestens acht jungen Männern umringt, die uns etwas verkaufen möchten. Einer von ihnen erwähnt, dass hier vor ein paar Wochen, genau in diesem Lodging, der Film über „Die weiße Massai“ gedreht wurde. Ob wir diese Geschichte auch kennen? Ein anderer nickt bestätigend mit dem Kopf und fragt dazwischen, ob wir vielleicht auch zu diesen Filmleuten gehören. Dabei schaut er mich prüfend an. Wir verneinen, während wir das Restaurant betreten.