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Besonders schlimm aber ist es, wenn ein unbeschnittenes, also noch unverheiratetes Mädchen schwanger wird.

Dann wird alles versucht, das Kind abzutreiben. Die fürchterlichsten Methoden werden dabei angewandt, unter anderem flößen sie den Mädchen ein Gebräu aus Kautabak ein.

Das also ist der Grund, warum beim Abschiedsfest in Barsaloi alle so aufgeregt waren, als ich den Kautabak im Mund hatte.

„Wenn alles nichts hilft“, fährt die Schwester fort, „wird das Mädchen trotz Schwangerschaft beschnitten. Der immense Blutverlust und die klaffende Wunde mit der meist anschließenden Infektion führen zum Abgang des Ungeborenen und manchmal sogar zum Tod der Mutter. Ich selbst bin halb Samburu und halb Kikuyu und wurde Gott sei Dank nicht mehr beschnitten.“

Albert fragt sie nach dem Grund für dieses in unseren Augen grausame Ritual. Die Schwester erwidert, dass es sehr schwer sei, eine umfassende Antwort darauf zu geben. Eine Ursache sei sicher die Kraft der Tradition.

Darüber hinaus glaube sie, dass die Männer annehmen, ihre Frauen würden durch die Beschneidung das Interesse an anderen Männern verlieren und dadurch folgsamer und kontrollierbarer sein. Hier müsse noch viei Aufklärungsarbeit geleistet werden und sie könne nur hoffen, dass es einmal besser wird. DieTatsache, dass bei den Samburu im Gegensatz zu anderen Stämmen und Ländern nicht die schlimmste Form der Beschneidung durchgeführt wird, ist für mich in diesem Zusammenhang nur ein schwacher Trost.

Ich denke an James, mit dem wir vor einigen Tagen, als wir einmal allein mit ihm waren, über dieses Thema geredet haben. Albert hatte ihn darauf angesprochen. Wir erfuhren von ihm, dass sich trotz der vielen Veränderungen in den letzten vierzehn Jahren bei der Beschneidung der Mädchen wenig getan hat. Auf die Frage, wie er selber dazu steht, antwortete er: „Das ist sehr schwer aus den Köpfen zu vertreiben, denn es ist eine tief verwurzelte Tradition. Ein Mädchen wird erst durch diesen Eingriff zu einer vollwertigen Frau. Das ist schon immer so gewesen und wird sicher auch noch lange so bleiben.“

Wir wollten von ihm wissen, ob denn in der Schule keine Aufklärung betrieben würde. „Ja“, erwiderte er, „aber es nütze nichts. Selbst wenn ein Mann ein unbeschnittenes Mädchen heiraten möchte, wird es ihr eigener Vater kaum zulassen, das kommt ganz selten vor.“ Als ich ihn direkt fragte, was er denn mit seinen Mädchen machen werde, merkte ich, dass er sich bei diesem Gespräch nicht wohl fühlte. Auch Stefania, seine Frau, wurde beschnitten, obwohl sie gebildet ist. James erklärte: „Wenn meine Mädchen einen Ehemann finden, der nicht auf einer Beschneidung besteht, dann geht das für mich in Ordnung, aber es wird schwer sein, einen solchen zu finden.“

Bis zum Ende unserer Unterhaltung war nicht klar herauszuhören, wer bei seiner Ehefrau auf der Verstümmelung bestanden hat: James oder ihr Vater. Doch mussten wir respektieren, dass ihm das Thema nicht behagte. Es war ihm wohl auch zu intim.

Ich erinnere mich an Lketingas Reaktion, als ich ihm damals erklärte, was diese „Operation“ bei den Mädchen anrichten kann. Er war völlig irritiert und konnte kaum glauben, was ich ihm erzählte. Selbst er fragte sich danach, warum dann so etwas verlangt und durchgeführt wird. Doch leider haben Einzelne wohl keine Möglichkeit, sich gegen diesen uralten Brauch zu stellen. Ich bin sicher, dass seine neue Frau ebenfalls beschnitten wurde.

Betroffen über das Gehörte, gehen wir langsam zum Ausgang. Wir bedanken uns herzlich für den Rundgang und verabschieden uns. Bevor ich ins Auto steige, drehe ich mich noch einmal um und kann es irgendwie nicht fassen, dass mein „schweizerisches“ Mädchen hier vor fünfzehn Jahren das Licht der Welt erblickte. Es kommt mir fast unwirklich vor.

Morgen wird das Filmteam hier sein und Nina bekommt ihr Filmkind. Werden sie ihr auch den Mund zuhalten, damit man ihr Schreien nicht hört?

Rückreise nach Nairobi

Wir verlassen Wamba und fahren weiter in Richtung Isiolo. Nach einigen Kilometern überqueren wir auf einer abenteuerlichen Brücke ohne Seitengeländer einen reißenden Fluss. Hier sieht man, was der Regen in den Bergen ausgelöst hat. Rotbraunes Wasser, so weit das Auge reicht, dazwischen vereinzelte Daumpalmen. Von den hier normalerweise lebenden Krokodilen ist nichts zu sehen. Der Himmel ist grau und verhangen. Bald wird es wieder regnen. Allmählich wird die Straße etwas besser, schließlich fahren wir der „Zivilisation“ entgegen.

Nach etwa zwei Stunden erreichen wir ein Dörfchen, das aus ein paar Bretterbuden, Shops und zwei oder drei Lokalen besteht. Eine gute Gelegenheit, eine kleine Teepause einzulegen. Als Weiße werden wir sofort in einen eigenen Bereich geführt. In einem Hinterhofzimmer sitzen wir auf verschlissenen Sofas, auf denen weiße Spitzendecken drapiert sind. Die ansonsten kargen Wände sind mit kunstvollen Tiermotiven bemalt. Alles ist mit einfachsten Mitteln etwas „vornehmer“ gestaltet. Der bestellte Chai schmeckt gut, wenn auch nicht so wie der in Mamas Manyatta. Nachdem wir uns mit Keksen gestärkt haben, geht die Fahrt weiter.

Immer häufiger kommen uns nun Safaribusse entgegen, die durch die regenverhangene Gegend schaukeln. Ab und an erkenne ich Holzschilder mit den exotischen Namen bekanntet Touristen-Lodges.

Nachdem wir das Samburugebiet verlassen haben, ändert sich die Vegetation und das Aussehen der Menschen.

Hier wird viel mehr Landwirtschaft betrieben. Die Frauen tragen Körbe mit Gemüse und Früchten auf ihren Köpfen. Von den farbenfrohen Kangas der Samburu ist nichts mehr zu sehen, denn die meisten sind eher europäisch gekleidet.

Am späten Nachmittag erreichen wir Isiolo und entscheiden uns, hierzu übernachten. Im Dunkeln auf den maroden Straßen weiterzufahren wäre enorm anstrengend und außerdem gefährlich. Isiolo ist eine eher hässliche und schmutzige Kleinstadt. Mir fällt auf, dass im Gegensatz zu früher viel mehr Muslime hier leben. Unser Fahrer erklärt, dass die Stadt praktisch zweigeteilt ist. In der einen Hälfte leben Christen, in der anderen Muslime, meist somalischer Abstammung.

Wir beziehen ein „gehobenes“ einheimisches Lodging und treffen uns etwas später zum gemeinsamen Abendessen. Da wir nach dem Essen keine Lust verspüren, durch die düsteren und schmutzigen Straßen zu spazieren, genießen wir auf einer Art Dachterrasse des Hotels die Abendluft. Das Hotel scheint ein Treffpunkt der Wohlhabenden und „Mächtigen“ der Stadt zu sein. Die meist fülligen Männer tragen moderne Anzüge und ihre vollschlanken Frauen entweder afrikanische Mode oder europäische Kleidung in Extragröße. Das Leben wirkt viel moderner und hektischer als in Maralal und Barsaloi. Mir gefällt es hier nicht und ich bin froh, als wir am nächsten Morgen nach Nairobi weiterfahren.

Je näher wir der Hauptstadt kommen, desto stärker nimmt der Verkehr zu. Autos und Menschen, wohin man schaut. Nach der Ruhe im Busch kommt mir Nairobi furchtbar hektisch und laut vor. Ich empfinde es jetzt viel extremer als bei unserer Ankunft aus Europa. Ich kann kaum glauben, dass das erst vierzehn Tage her ist. Wir haben in den letzten zwei Wochen so viel Beeindruckendes erlebt, dass es mir viel länger vorkommt.

Wir bringen die gemieteten Land Cruiser zum Safariunternehmen zurück und bedanken uns ganz besonders bei unseren Fahrern Francis und John für den perfekten Service.

Wenn auch der wichtigste Teil der Reise nun abgeschlossen ist, so zieht es mich doch noch nach Mombasa, denn ich habe das Bedürfnis, den Kreis zu schließen und noch einmal den Ort aufzusuchen, wo vor achtzehn Jahren alles begann.

Klaus bietet uns gastfreundlich seine Wohnung als Quartier an. Gemeinsam mir seiner zukünftigen Frau Irene lebt er seit zwei Jahren in Nairobi. Da Alberts Flug bereits heute Nacht zurück nach München geht, versuchen wir, Pater Giuliani zu erreichen. Die Freude ist groß, als wir erfahren, dass er tatsächlich noch hier in der Nähe weilt. Wir verabreden uns für den Abend in einem italienischen Restaurant. Irgendwie kann ich ihn mir hier in Nairobi in der „Zivilisation“ schwer vorstellen. Er ist ein Einsiedler und Eigenbrötler, alles andere als ein Stadtmensch.