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Offensichtlich ist er gekränkt und wütend. Andere Männer gesellen sich neugierig hinzu und es wird wieder diskutiert. Alle starren uns an und wir kommen uns langsam wie Schwerverbrecher vor. Es ist der reinste Hohn.

Wir wollen etwas dokumentieren, um in Zukunft wirksamer helfen zu können, und ein übergangener Chefbeamter überlegt, ob er uns verhaften lassen soll.

Plötzlich hat eine der AMREF-Frauen eine Idee. Sie erklärt, sie sei mit einem Botschafter in der Stadt zum Lunch verabredet und könne diesen Termin nun nicht mehr wahrnehmen. Sie müsse diesen Herren unbedingt informieren, da es sich immerhin um einen Botschafter handelt. Tatsächlich darf sie telefonieren, ruft aber stattdessen ihren Chef an. Ein ranghoher Mann muss her! Kurz darauf steht er vor uns und fragt verwundert, welche Probleme hier entstanden seien. Der Sicherheitschef schildert aufgebracht unser „Vergehen“. Wieder wird diskutiert, doch sehr bald ändert sich der Ton und ganz unvermittelt können wir gehen — einfach so. Wir wissen nicht, was ausschlaggebend war und fragen auch nicht nach. Hauptsache, uns bleibt ein afrikanisches Gefängnis erspart!

Nach diesem Schrecken verlassen wir schnellstmöglich das Gebäude und suchen als Erstes ein Restaurant auf, um unseren Durst zu löschen. Natürlich liefert dieses Ereignis den Gesprächsstoff für den Rest des Tages.

Im Kibera-Slum

Am nächsten Morgen begeben wir uns wie verabredet ins AMREF-Büro. Alles steht bereit und wir brechen sofort auf. Schon bald nähern wit uns dem durch die Wellblechdächer von weitem erkennbaren Slumgebiet. Wir erfahren von unserer Begleiterin, dass dies der größte der zahlreichen Slums in Nairobi ist. Sechzig Prozent der Bevölkerung von Nairobi lebt in solchen Verhältnissen. Allein hier in Kibera leben ungefähr 700.000 Menschen auf engstem Raum. Die Aids-Rate ist erschreckend hoch und Ktankheiten wie Tuberkulose breiten sich enorm schnell aus, da besonders die hygienische Situation katastrophal ist. 400 Menschen teilen sich eine einzige Toilette! AMREF habe eine beträchtliche Anzahl von öffentlichen sanitären Anlagen bauen lassen, deren Benützung eine geringe Gebühr koste, die für die Reinigung verwendet werde. Dadurch sei nun schon einiges besser geworden. Vorher habe man ohne Kopfschutz nicht durch diese Gegend laufen können, da alle Menschen ihre Nordurft in Plastikbeutel erledigren und diese einfach aus den beengten Räumen nach draußen warfen.

„Flying toilets“ würden diese durch die Luft segelnden Kot-beutel hier genannt. Klaus und ich schauen uns entsetzt und angeekelt an.

Wir rollen langsam einen engen Weg entlang. Links und rechts stehen aus Brettern zusammengenagelte Verkaufsstände. Ich sehe Kleider, Taschen, Haushaltsartikel, nagelneue Radios in rauen Mengen. Jeder scheint hier etwas verhökern zu wollen. Dicht gedrängt quetscht sich ein unaufhörlicher Strom von Menschen an unserem Auto vorbei. Irgendwie fühle ich mich unwohl, als Weiße mit dem Wagen durch dieses Revier zu drängeln. Doch der Fahrer beruhigt mich: „Unser Wagen ist gekennzeichnet und so wissen die Bewohner, dass es sich um Leute handelt, die sich für das Hilfswerk interessieren und eventuell Unterstützung leisten werden.“

Er hält an und wir steigen aus. Ein Junge aus der Menge mit einigen Zahnlücken bekommt den Auftrag, auf den Wagen aufzupassen. Dafür verdient er sich ein paar Schillinge. Einen Moment lang würgt mich der penetrante Gestank. Es ist drückend heiß. Männer, Frauen, Kinder und Müllberge, wohin ich schaue. Die ganze „Stadt“ besteht aus Bretterbuden und Wellblech. Wir springen über Abfall und überqueren eine Bahnlinie, die in nur etwa zwei Metern Abstand an den Holzständen vorbeiläuft. Momentan tummeln sich Kinder und dürre Ziegen auf den Gleisen. Immer wieder steigen wir über stinkende Abwasserrinnen. Unsere Begleiterin erklärt, dass wir Glück mit dem Wetter hätten. Sobald die Regenzeit beginne, würden sich der Schlamm und die Kloake zu einem knöcheltiefen Morast verbinden und der Gestank sei nicht mehr auszuhalten. Hühner picken in den feuchten, verschmutzten Rinnen. Diese Eier möchte ich nicht essen, geht es mir kurz durch den Kopf. Überall ertönt hinter irgendwelchen Bretterwänden Musik.

Die Menschen mustern uns misstrauisch mit verschlossenen Gesichtern. Nur die Kinder sind neugierig und eine fröhliche Schar schließt sich uns an. Zu meinem Erstaunen tragen einige hübsche blaue Kleidchen. Dies sei ihre Schuluniform, erfahren wir, denn sie haben hier sogar eine Schule gebaut. Andere Kinder stecken in zerfetzten T-Shirts und stehen barfuß in Staub und Dreck. Viele sind schmutzig und mit Pusteln oder Flecken übersät.

Doch sie srrahlen uns an und rufen: „Hello, Mzungu, how are you?“ Manchen schüttle ich die kleine Hand und frage nach ihren Namen, worauf sie jedoch recht schüchtern reagieren.

Wir stapfen an neu erbauten Toiletten vorbei und gelangen zu einer Wasserzapfstelle. Hier wird das Wasser gefiltert und ist deshalb fast bakterienfrei, jeder kann sich sauberes Trinkwasser aus dem Hahn abfüllen. Seit es diese öffentliche Wasserstelle gebe, seien vor allem die Durchfallerkrankungen deutlich zurückgegangen. Angrenzend an einen großen, leeren Platz befindet sich das Hospital von AMREF. In der Eingangshalle warten Kranke auf ihre Behandlung.

Wir werden in die obere Etage geführt und verschiedenen Hilfskräften vorgestellt. Hier arbeitet in erster Linie einheimisches Personal. Ein älterer hagerer Mann übernimmt das Gespräch und schildert den schwierigen Aufbau dieser Station. Auch für Hilfsorganisationen sei es nicht einfach, in den Slums Fuß zu fassen. Die Menschen seien misstrauisch, da sie häufig durch leere Versprechungen enttäuscht wurden. Mittlerweile jedoch sei das Hospital gut besucht und immer mehr Frauen würden sich sogar für Geburten anmelden, was ein riesiger Fortschritt sei. AMREF bilde auch einheimische Pflegekräfte aus, die aus dieser Gegend stammen, womit wiederum vielen geholfen wird. Beeindruckt von dem, was wir erfahren, und voller Bewunderung für die Menschen, die sich hier für die Schwachen und Armen engagieren, verlassen wir nach einer Stunde das Gebäude.

Draußen treffen wir auf eine Gruppe von Jugendlichen, die nach der Schule für AMREF arbeiten. Sie erzählen uns, dass sie für eine Art Meldedienst zuständig sind. Sie streifen durch die Gegend, die sie wie ihre Hosentasche kennen, und beobachten, wo etwas passiert. Gibt es Schwerverletzte, melden sie es sofort dem Krankenhaus, damit rechtzeitig Hilfe kommt. Normalerweise nämlich zählt hier ein Menschenleben nicht viel.

Auf dem Rückweg zum Auto sehe ich eine Schweinemama mit ihren Jungen, die sich durch den Abfall einer nahe gelegenen Müllhalde wühlen. Zwei Meter neben mir pinkelt ein Mann an die Bretter. Einige Meter weiter hat sich eine alte Frau unter einen Unterstand gesetzt und brät auf offenem Feuer in einer Pfanne Fisch. Etwa fünfzig ungebratene Fische liegen in Reih und Glied auf einem Bretterstand, der von Tausenden von Fliegen umschwirrt wird. So viele Fliegen habe ich selbst in der schlimmsten Manyattazeit nicht erlebt. Der schwarze Fliegenschwarm überdeckt die Fische fast gänzlich. Mich würgt es bei der Vorstellung, dass diese Fische zum Essen angeboten werden, und dies bei etwa 35 Grad! Es stinkt fürchterlich. Die alte, fast zahnlose Frau lacht, als sie offensichtlich mein Entsetzen wahrnimmt, und wedelt mit dem Karton weiter, damit das Feuer seine Hitze behält. Ein paar Schritte weiter verkauft ein Mann fünf Maiskolben, die er zuvor gegrillt hat. Ich bin schockiert, aber gleichzeirig auch fasziniert zu sehen, welche Energie diese Menschen aufbringen, um zu überleben. Es wird nicht gejammert, sondern jeder versucht, irgendwie zu handeln.