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Wieder bei den Bahngleisen angelangt, entschließe ich mich, hier bei einer der Frauen eine Reisetasche zu kaufen. Freudig zeigt sie mir ihre Auswahl. Natürlich sind alle staubig, da sie den ganzen Tag an den Holzgestellen hängen. Während ich mir überlege, welche ich nehmen soll, braust ein Güterzug heran. Die Menschen verlassen gemächlich die Schienen. Ich drücke mich so gut es geht an den Stand. Die Druckluft wirbelt den Staub ins Gesicht und auf die Waren. Nach einigen Sekunden ist der Spuk vorbei und die Frauen schütteln die Kleider am Stand sauber. Mein Gott, und so stehen sie den ganzen Tag ein Leben lang! Einmal mehr wird mir bewusst, wie privilegiert wir in der Schweiz leben. Ich bezahle die ausgesuchte Tasche und langsam begeben wir uns zum Auto. Der Wagen quetscht sich wieder durch die engen Gässchen. Von überall ertönen Musik und Stimmengewirr. Viele Augenpaare verfolgen das Fahrzeug. Ganz wohl kann einem dabei einfach nicht sein.

Auf der Rückfahrt vergleiche ich in Gedanken dieses Dasein mit dem Leben meiner Familie in Barsaloi. Dort kennen sie zwar auch keinen Wohlstand in unserem Sinne, aber sie haben ein weites Land um sich und einen hohen Himmel über sich. Ihre Lebensweise ist einfach und karg, jedoch alles andere als armselig. Hier in den Slums dagegen leben wirklich die Ärmsten der Armen. Die meisten kamen ursprünglich aus einer ländlichen Umgebung in der Hoffnung, das Überleben in der Stadt sei einfacher. Doch wer hier im Slum gelandet ist, schafft es wohl kaum mehr hinaus.

Zurück bei Klaus und Irene, habe ich das dringende Bedürfnis, lange und ausgiebig zu duschen. Trotzdem bringe ich die Bilder aus dem Kibera-Slum auch Stunden später nicht aus meinem Kopf. Abends will ich auch nicht in eines der teureren Restaurants gehen, in denen ein Essen so viel kostet wie unzählige Menschen im ganzen Monat verdienen. So zeigen mir Klaus und seine Freundin ein einfaches Somali-Restaurant, das fast ausschließlich von Einheimischen besucht wird. Mir gefällt es sofort und so wird es doch noch ein gemütlicher, ruhiger Abend, wenngleich auf Grund der Eindrücke des Tages nicht so heiter wie sonst.

Mzungu Massai

Tags darauffahren wir zur berüchtigten River Road, um noch einmal das Iqbal aufzusuchen, jenes einfache Hotel, in dem ich mich meistens einquartiert hatte, wenn ich in Nairobi war. Hier wurde ich immer mit einem fröhlichen „Mzungu Massai“ begrüßt, das mich Jahre später zum Titel meines ersten Buches inspirierte. Dass am Leben dieses „weißen Massai“ einmal Millionen von Menschen Anteil nehmen würden, hätte ich mir damals jedoch selbst in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Auf dem Weg zum Iqbal kommen wir an dem mir so sehr verhassten Nyayo-Gebäude vorbei. Wie viele Male musste icb hierher und stundenlang verzweifelt warten, hoffen und beten. Wofür ich immer wieder irgendeinen Stempel benötigte, habe ich fast schon vergessen. Ich weiß nur, dass die Bürokraten in diesem Gebäude mich unendlich viel Energie und Nerven kosteten.

Wir finden eine Parklücke und ein Junge bietet sich an, auf unseren Wagen aufzupassen. Als Erstes schlendern wir am berühmten Stanley-Hotel vorbei. Waren dort früher fast ausschließlich Weiße auf der Terrasse zu sehen, so sind die Gäste heute gemischt, wobei die Kenianer in der Mehrheit sind. Ich lasse mich durch die Menschen massen treiben und die Eindrücke auf mich wirken. Der Zeitungsstand steht noch an derselben Ecke wie damals, nur ist das Sortiment um das Fünffache angewachsen. Wir laufen einige Querstraßen entlang, bis ich das Odeon-Cinema entdecke und weiß, dass das Iqbal Lodging nur noch wenige Schritte entfernt sein kann. Sogar die Telefonzelle, so manches Mal genutzt, um mit der Schweiz in Verbindung zu treten, ist noch da. Nur steht heute keine Warteschlange davor, da auch hier in Nairobi die meisten Menschen mittlerweile Handys an ihre Ohren drücken.

Vergeblich suche ich den Eingang zum damals an das Hotel angegliederten Restaurant, so wie ich es in Erinnerung hatte. Dort, wo früher die Kasse und die Rezeption waren, kann ich lediglich eine Schnellimbissecke erkennen. Der große Essraum, in dem sich Rucksack-Touristen aus der ganzen Welt getroffen haben, existiert nicht mehr. Damit ist der Charme, der diesen Treffpunkt auszeichnete, verloren gegangen.

Meine Neugier ist schnell befriedigt und wir gehen weiter. Auf den Straßen herrscht hektischer Lärm. Überall hupen Matatus, jeder feilscht um Kundschaft. Aus den verschiedenen Bars oder Läden tönt Musik. An den Hauswänden sind überall Neonreklame tafeln in den grellsten Farben angebracht. Ab und an stellt sich eine zerlumpte oder kranke Person mit hohlen Händen bettelnd vor mich hin. Nairobi ist hier besonders schrill, grell, hektisch und laut. Ich erinnere mich, wie ich mich mit meinem kleinen Baby am Rücken und mit schwer beladenen Reisetaschen durch diese Gegend schleppte. Jetzt scheint mir das alles nicht mehr vorstellbar.

Klaus macht den Vorschlag, noch einen Massai-Markt zu besuchen. Hellauf begeistert stimme ich zu, schließlich konnte ich vor vierzehn Jahren bei meiner Flucht keine Erinnerungsstücke mitnehmen. Das möchte ich nun gerne nachholen. Wir erreichen den Ort relativ rasch mit dem Auto. Der weitläufige Markt mit seinen farbenfrohen Waren und den schönen Menschen fasziniert mich sofort. Alles Mögliche wird angeboten: Kalebassen in jeder Größe und Form, Masken, geschnitzte Figuren, Bilder und farbiger Massai-Schmuck in allen Variationen. Es fällt mir nicht schwer, mein Geld auszugeben.

Am Abend habe ich große Lust, für meine Gastgeber zu kochen. So schön es ist, wenn man sich nicht immer ums Kochen kümmern muss, fehlt es mir mittlerweile, da ich in der Schweiz für meine Tochter und mich täglich mit Freude das Essen zubereite. So verbringen wir einen schönen Abend bei Klaus und Irene zu Hause. Bevor wir ins Bett gehen, besprechen wir noch unsere morgige Reise nach Mombasa, die letzte Station meines Keniaaufenthalts.

Mombasa

In Mombasa verlassen wir das Flugzeug und wieder schlägt mir wie damals warme, feuchte Tropenluft entgegen. Ich liebe diesen Meeresgerucb. Der Inlandsflug dauerte zwar nur kurz, doch hat man durch die komplett anderen Verhältnisse fast das Gefühl, in einem anderen Land zu sein. Klaus hat gut vorgearbeitet und so erwartet uns ein ihm bekannter Taxifahrer, der uns die nächsten eineinhalb Tage zur Verfügung steht. Viel Zeit bleibt mir also nicht, alte Erinnerungen aufzufrischen.

Wir fahren zuerst in die Altstadt, wo es viele Gemüse- und Obstmärkte gibt. Die zweitgrößte Stadt Kenias ist muslimisch geprägt. Neben schwarz verschleierten Frauen bewegen sich aber auch westlich gekleidete Afrikanerinnen. Der Lebensrhythmus ist hier bei weitem nicht so hektisch wie in Nairobi. Endlich kann ich wieder einmal zu Fuß unterwegs sein. Ich schlendere durch die Altstadt und sauge tief die würzige Luft ein, ein sattes Gemisch aus Meersalz, Früchten und Gewürzen. Die in Säcke gefüllten roten, orangenen, gelben und schwarzen Gewürzpulver sind ein Genuss für Augen und Nase. Auch die zahlreichen verschiedenen Früchte riechen so intensiv, wie wir es bei uns im Supermarkt nie erleben. Unentwegt werde ich aufgefordert, etwas zu probieren. Viele Frauen sitzen am Boden unter einem Schirm, der sie vor der brütenden Sonne schützt und bieten ihr Gemüse zum Verkauf an. Was würde wohl Mama sagen, wenn sie dies alles sehen könnte?

Ich schlendere zum Fort Jesus hinunter, eine von Portugiesen im Jahre 1593 erbaute Festungsanlage, und genieße die leichte Brise, die durch meine Kleider weht. Von weitem sehe ich die Likoni-Fähre, auf der mein afrikanisches Schicksal begonnen hat. Morgen werde ich sie wieder betreten. Heute ist es dafür schon zu spät und wir begeben uns für eine Nacht in ein Hotel etwas außerhalb von Mombasa.

Die Likoni-Fähre

Nach dem Frühstück holt uns der Fahrer ab. Leider regnet es immer wieder kurz und der Himmel ist verhangen.