Danach fahren wir mit den Autos zu einem Laden, in dem man Lebensmittel in größeren Mengen kaufen kann.
Wir ordern jeweils einen 25-Kilo-Sack mit Reis und Maismehl guter Qualität, verschiedene Speisefette, Teepulver, Süßigkeiten, Seifen und einiges mehr. Im Shop nebenan wird Gemüse verkauft. Auch hier bestellen wir mehrere Kilogramm Tomaten, Karotten, Kohl, Zwiebeln und Orangen. Für uns selbst müssen wir auch noch einiges besorgen, da wir ja nicht nur von Ziegenfleisch leben wollen.
Kurz vor der Abfahrt läuft James noch zum Tabakhändler, um sich 3 kg Kautabak einpacken zu lassen. Für die alten Menschen ist dieser fast wichtiger als Essen. In unserem Auto fährt eine traditionell schön geschmückte Frau mit. Sie ist überglücklich, dass sie die weite Strecke in einem Auto zurücklegen darf. Hier ist es selbstverständlich, wenn in einem Fahrzeug noch Platz ist, fremde Personen mitzunehmen.
Von Maralal nach Barsaloi
Endlich können wir starten. James fährt mit dem Motorrad vor uns her. Es gibt eine neue Straße nach Barsaloi, denn die alte ist definitiv nicht mehr befahrbar. Schade, denn ich hätte sie zu gerne meinen Mitreisenden vorgeführt. Die neue ist erst vor ein paar Monaten fertiggestellt worden und deshalb im Moment noch einigermaßen angenehm zu befahren. Die Jahre davor musste man einen fünfstündigen Umweg über Baragoi in Kauf nehmen.
Wir durchqueren die letzten Regenpfützen und Schlammlöcher und bald steigt der Weg beträchtlich an. James hinterlässt mit seinem Motorrad eine dicke, schwarze Rauchwolke. Ab und zu kommen uns Männer und Frauen entgegen, die auf dem Weg in die kleine Stadt sind. Die Frauen tragen Kalebassen, gefüllt mit Milch für den Verkauf. Für dieses minimale Geschäft laufen sie täglich mehrere Stunden.
Die Kalebassen sind leicht und werden seit Urzeiten aus einer Kürbispflanze oder aus Holz hergestellt und als Gefäß benutzt. Die Massai und die Samburu befestigen mit bunten Perlen bestickte oder mit kleinen Muscheln verzierte Leder-bändchen daran. Damit die Kalebassen immer wieder gebrauchsfähig sind, werden sie am Abend von den Frauen mit einem glühenden Feuerholz ausgeräuchert und auf diese Weise sterilisiert. Deshalb riecht die Milch etwas rauchig, wodurch sie mir in Mamas Hütte immer besonders gut schmeckte.
Die Männer führen meistens eine oder mehrere Ziegen im Schlepptau, manchmal auch eine Kuh, die sie in Maralal verkaufen wollen. Sie trennen sich nur von ihren Tieren, wenn sie dringend Geld für Ritualfeste, Hochzeiten oder Krankenhausrechnungen brauchen.
Auch wenn unsere Fahrer bald den Vierradantrieb einschalten müssen, ist dieser Weg immer noch eine komfortable Angelegenheit im Vergleich zur alten Buschstraße. Keine Elefanten oder Büffel brechen durch den Busch und blockieren die Weiterfahrt. Nach gut einer Stunde Berg- und Talfahrt erreichen wir ein kleines Manyattadorf namens Opiroi. Einige Frauen sitzen mit ihren Kindern vor den Hütten und schauen unseren Fahrzeugen nach. Die kleinen Kinder, zum Teil nackt oder nur mit einem T-Shirt bedeckt, winken am Straßenrand.
Eine halbfertige Kirche dominiert den kleinen Platz. Wir fahren ohne Halt weiter, denn wir wollen so schnell wie möglich nach Barsaloi. Immer wieder durchqueren wir kleinere ausgetrocknete Bachbette. Wasser ist in dieser Gegend Mangelware.
Zu meinem Erstaunen sehe ich viele Kamele, die, aufgeschreckt durch unsere Autos, wie in Zeitlupe in die Büsche fliehen. Offensichtlich halten sich neuerdings die Samburu vermehrt diese Tiere.
Wir erreichen eine Anhöhe zwischen zwei Steinhügeln. Sobald wir diese passiert haben, können uns die Menschen in Barsaloi auf Grund der Staubwolken am Horizont ausmachen, obwohl wir noch eine halbe Stunde Fahrt vor uns haben. Heute wird sicher das halbe Dorf auf uns warten.
Bei einem letzten Halt unterbreitet Klaus den Vorschlag, mit einem unserer Fahrer ins Dorf vorauszufahren. So könne er in Ruhe die nötigen Vorbereitungen treffen, um meine Ankunft und Rückkehr filmisch festzuhalten.
James ist einverstanden und wird versuchen, dieses Vorhaben Lketinga zu erklären. Albert und ich könnten uns in der Zwischenzeit vor dem großen Barsaloi-River die Schule anschauen. Sie wurde gerade erbaut, als ich das Dorf verließ. Außer ein paar Grundmauern stand damals noch nichts. Auch heute fehlt es noch an allem Möglichen, wie wir später feststellen, aber die Kinder der Gegend haben endlich eine eigene Schule.
Kurz nachdem Klaus abgefahren ist, beschleicht mich doch ein mulmiges Gefühl. Was wird Lketinga sagen, wenn er als Erstes einen ihm Unbekannten trifft und dieser noch dazu mit einer Filmkamera ausgerüstet ist? Und die anderen Leute im Dorf? Wie sehen sie das? Die meisten wissen nicht, was ein Film ist, und Klaus will eine Kamera mit Stativ aufstellen.
Mir ist nicht ganz geheuer bei diesem Vorhaben, doch werden die größten Zweifel durch meine Gedanken an Napirai zerstreut. Vor allem für sie wollte ich die Reise ausführlich dokumentieren, damit sie möglichst viel nacherleben kann. Schließlich treffen sich ihre Eltern nach Jahren wieder. Sie kann sich an die Zeit in Kenia nicht mehr erinnern und das alles ist in gewisser Weise fremd für sie. Sie steht zwischen den Kulturen und lebt doch nur in einer — der weißen. Mein Herz hängt mehr an Afrika als ihres. Sie hat die Sichtweise einer Weißen und wird dennoch nicht als Weiße wahrgenommen. Es ist nicht einfach für sie und deshalb möchte ich filmisch und fotografisch so viel wie möglich festhalten, um ihr die afrikanische Familie näher bringen zu können.
Meine Unruhe wird immer größer, ich bin neugierig und voll innerer Anspannung. In der Ferne sehe ich bereits die ersten Behausungen von Barsaloi. Es scheint um einiges größer geworden zu sein. Dennoch kommt mir der Anblick so vertraut vor, als ob ich erst vor kurzem hier gewesen wäre.
Zwischen Büschen und Akazien tauchen die länglichen Gebäude der Schule auf. Wir fahren langsam auf ein Tor zu, vor dem der Schuldirektor bereits wartet und uns herzlich begrüßt. Hinter ihm befindet sich eine Mauer mit verschiedenen Wandgemälden. Eines zeigt einen Richter in Robe und entsprechender Mütze. Daneben spielen zwei Kinder Fußball. Auf dem dritten farbigen Bild ist ein Tisch mit einem Computer dargestellt, den ein mit einem feinen Anzug bekleideter Mann bedient. Über den Gemälden steht der Spruch „Walk out productive“. In dieser abgelegenen Steppe sieht zumindest das Bild mit dem Computer ziemlich komisch aus, zumal ich von James weiß, dass es häufig sogar an den dringendsten Materialien wie Stiften und Papier mangelt und selbst er sich mit Computern nicht auskennt.
Der Direktor führt uns durch die Schulanlage und ich staune, was hier mit geringsten Mitteln entstanden ist. Die Klassenzimmer sind einfach, aber zweckmäßig eingerichtet. Fenster aus Glas gibt es nicht, dafür sind sie mit Maschendraht vergittert. Der ganze Stolz des Schulleiters ist eine kleine Bibliothek mit ein paar wenigen Büchern. Die Kinder können sich dort ein Buch holen und in einem kahlen, nüchternen Aufenthaltsraum lesen.
Nach Hause dürfen sie die Bücher allerdings nicht mitnehmen, da sie in den Manyattas durch den Rauch beschädigt würden.
Einige Kinder schauen neugierig durch die vergitterten Fenster und bestaunen die weißen Besucher. In einer Ecke des Hofes stehen andere in einer Reihe an, um ihre Aluminiumteller mit Ugali, einer Art Maisbrei, füllen zu lassen. Sie alle machen einen scheuen, aber zufriedenen Eindruck. Ich bin sicher, sie sind stolz darauf, von ihren Eltern überhaupt in die Schule geschickt zu werden. Was würde wohl meine Tochter sagen, wenn sie hier zur Schule gehen müsste?
So interessant und bewegend der Schulbesuch auch ist, möchte ich nun doch endlich ins Dorf und meine Familie wiedersehen. Sie verstehen sicher nicht, warum wir immer noch nicht da sind, nachdem sie die Staubwolken schon vor einer Weile gesehen haben.
Endlich fährt unser Wagen langsam die steile Böschung des Barsaloi-Rivers hinunter und durchquert das 150 Meter breite, trockene Flussbett. Nur noch ein paar Meter und wir haben das Dorf erreicht. Rechts und links des Weges sehe ich die ersten Hütten.