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»Werde ich Sie niemals wiedersehen?« fragte Kaspian mit zitternder Stimme.

»Hoffentlich doch, teurer König«, entgegnete der Doktor. »Was habe ich denn außer Eurer Majestät für einen Freund in der Welt? Und ich verfüge über ein wenig Zauberkraft. – Aber jetzt ist Eile geboten. Bevor Ihr geht, möchte ich Euch zwei Gaben geben. Dies hier ist eine kleine goldene Geldbörse – ach, von Rechts wegen gehören alle Schätze des Schloßes Euch! Und dies hier ist noch viel wertvoller.« Er legte etwas in Kaspians Hand, was der Junge nicht erkennen konnte; es fühlte sich an wie ein Horn. »Das«, erklärte Doktor Cornelius, »ist der größte und ehrwürdigste Schatz von Narnia.

Als ich noch jung war, habe ich viele Schrecken ertragen und viele Beschwörungen ausgesprochen, um ihn zu finden. Es ist das Zauberhorn der Königin Suse, das sie zurückließ, als sie am Ende des Goldenen Zeitalters aus Narnia entschwand. Man sagt, daß dem, der es bläst, Hilfe auf seltsame Weise zuteil wird – niemand weiß etwas darüber, wie diese Hilfe aussieht. Vielleicht hat das Horn die Kraft, Königin Lucy und König Edmund, Königin Suse und Peter den Prächtigen aus der Vergangenheit zurückzurufen, damit sie eingreifen. Vielleicht aber ruft es auch Aslan selbst herbei. Nehmt es hin, König Kaspian, aber benutzt es nur in der Stunde höchster Not. Und nun eilt, eilt, so schnell Ihr könnt! Die kleine Gartentür ganz unten im Turm ist unverschlossen. Dort müssen wir uns trennen.« »Darf ich wenigstens mein Pferd Pfeilgeschwind mitnehmen?« fragte Kaspian.

»Es ist gesattelt und wartet am Ausgang des Obstgartens auf Euch.«

Während sie die lange, gewundene Treppe hinunterstiegen, flüsterte Cornelius Kaspian noch viele Hinweise und Ratschläge zu. Kaspians Herz sank, aber er bemühte sich, alles gut zu behalten. Dann trat er in die frische Luft des Gartens, wechselte einen innigen Händedruck mit dem Doktor, lief über den Rasen und wurde von Pfeilgeschwind wiehernd willkommen geheißen. So verließ König Kaspian der Zehnte das Schloß seiner Väter. Als er zurückblickte, sah er das Feuerwerk, das zu Ehren der Geburt des jungen Prinzen abgebrannt wurde. Die ganze Nacht hindurch ritt Kaspian südwärts. Solange das Land ihm bekannt war, benutzte er Nebenwege und Reitpfade in den Wäldern. Später hielt er sich an die Landstraße. Pfeilgeschwind war auf dieser ungewöhnlichen Reise so aufgeregt wie sein Herr. Kaspian, wenn ihm auch beim Abschied von Doktor Cornelius die Tränen in die Augen gestiegen waren, benahm sich tapfer. Zwar gab es manches Schmerzliche, aber er war doch glücklich in dem Gedanken, ein König zu sein, der ausritt, Abenteuer zu suchen – mit dem Schwert an seiner Linken und dem Zauberhorn der Königin Suse an seiner rechten Seite. Als aber der Tag mit leichtem Sprühregen heraufdämmerte und er, um sich schauend, zu allen Seiten unbekannte Wälder, wilde Heideflächen und blaue Berge sah, empfand er, wie weit und fremd die Welt ist, fühlte sich klein und fürchtete sich.

Im vollen Tageslicht verließ er die Landstraße und suchte eine Lichtung im Wald, wo er rasten konnte. Er sattelte Pfeilgeschwind ab und ließ das Pferd grasen. Selbst aß er etwas von dem kalten Huhn, trank ein wenig Wein dazu und fiel bald darauf in festen Schlaf. Erst spät am Nachmittag erwachte er. Er nahm noch einige Bissen zu sich und setzte dann seine Reise immer südwärts auf vielen unbekannten Wegen fort.

Bald gelangte er in eine hügelige Gegend; der Weg ging zwar auf und ab, führte dabei aber allmählich bergaufwärts. Von jeder Anhöhe aus konnte er feststellen, wie sich die Berge höher und schwärzer vor ihm auftürmten. Als der Abend nahte, durchritt er das Vorgebirge. Wind erhob sich. Bald darauf regnete es in Strömen. Pfeilgeschwind wurde unruhig; es lag Gewitter in der Luft. Da kamen sie in einem düsteren, endlos scheinenden Fichtenwald, und alle Geschichten, die Kaspian je über das feindselige Verhalten von Bäumen zu Menschen gehört hatte, ängstigten sein Gemüt. Er bedachte, daß er ein Telmarer war, also ein Angehöriger des Stammes, der überall die Bäume gefällt hatte und mit den wildlebenden Geschöpfen in Streit lebte. Wenn er selbst auch anders als die übrigen Telmarer war, so konnte man doch kaum von den Bäumen erwarten, daß sie das wußten. So war es denn auch. Der Wind schwoll an zum Sturm; die Wälder heulten und brausten um ihn her. Da krachte es. Ein Stamm schlug gerade hinter dem Pferd quer über den Weg. »Ruhig, Pfeilgeschwind, ruhig«, sagte Kaspian und streichelte den Hals des Tieres. Aber er zitterte selbst bei dem Gedanken, dem Tod nur um Haaresbreite entronnen zu sein. Ein Blitz flammte auf, und ein gewaltiger Donnerschlag schien den Himmel schier zu zerreißen. Pfeilgeschwind ging mit voller Macht durch, und Kaspian, obschon ein guter Reiter, hatte nicht die Kraft, das Pferd zu bändigen. Er hielt sich im Sattel und wußte, bei dem jetzt folgenden wilden Galopp hing sein Leben an einem seidenen Faden. Ein Baum nach dem anderen erhob sich schwarz und drohend vor dem Reiter aus der Dunkelheit. Unzählige Male prallten Pferd und Baum um ein Haar zusammen. Doch dann schlug etwas gegen Kaspians Stirn, und er verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, lag er mit schmerzenden Gliedern und schlimmen Kopfschmerzen auf einem Platz, der von Feuerschein erhellt war. Stimmen flüsterten in der Nähe miteinander. »Und nun«, sagte die eine, »müssen wir uns entscheiden, was wir mit dem Ding da tun wollen, bevor es aufwacht.« »Töten!« sagte eine andere. »Wir können es nicht am Leben lassen; es würde uns verraten.«

»Wir hätten es entweder sofort umbringen oder sich selbst überlassen müssen«, bemerkte eine dritte Stimme. »Jetzt, nachdem wir es hierhergebracht und ihm den Kopf verbunden haben, können wir es nicht mehr töten. Das wäre Mord an einem Gast.« »Meine Herren«, sagte Kaspian mit schwacher Stimme. »Was Sie auch mit mir tun werden, ich bitte Sie um eins: seien Sie barmherzig mit meinem Pferd.« »Euer Pferd ist längst geflohen, bevor wir Euch fanden«, berichtete die erste Stimme, eine merkwürdig heisere, grobe Stimme, fand Kaspian.

»Na, laßt euch nicht von seinen schönen Worten beschwatzen«, fuhr die zweite Stimme dazwischen. »Ich bleibe dabei, daß...« »Hummel und Heidekraut«, rief die dritte Stimme aus, »natürlich können wir es nicht ermorden. Schäm dich, Nikabrik. Was sagst du dazu, Trüffeljäger? Was sollen wir mit ihm tun?« »Ich werde ihm etwas zu trinken geben«, bemerkte die erste Stimme, die offenbar Trüffeljäger gehörte. Ein dunkler Schatten näherte sich dem Bett. Kaspian fühlte, wie ein Arm sich sanft unter seine Schultern schob – das heißt, wenn es wirklich ein Arm war. Ganz genau stimmte die Form anscheinend nicht. Das Gesicht, das sich über ihn beugte, hatte offenbar auch eine verkehrte Form. Kaspian hatte den Eindruck, daß es haarig und sehr langnasig war und zu beiden Seiten merkwürdige weiße Flecken trug. Das scheint eine Maske zu sein, dachte er bei sich. Oder vielleicht habe ich Fieber und bilde es mir nur ein. Ein Gefäß mit etwas Heißem, Süßem wurde an seine Lippen gesetzt, und er trank. In diesem Augenblick schürte einer von den anderen das Feuer. Ein Funken sprang hoch, und Kaspian hätte vor Schreck fast aufgeschrien, als das aufflammende Licht das Gesicht enthüllte, das in das seine blickte. Das war nicht das Gesicht eines Menschen, sondern das eines Dachses, wenngleich es größer, klüger und freundlicher war, als Dachsgesichter gewöhnlich sind. Und dieser Dachs hatte wirklich gesprochen. Kaspian merkte weiter, daß er auf einem Lager von Heidekraut in einer Höhle lag. Am Feuer saßen zwei kleine, bärtige Männer. Da sie viel wilder und noch kleiner, behaarter und dicker als Doktor Cornelius waren, erkannte Kaspian in ihnen sofort richtige Zwerge. Er spürte, das waren Zwerge aus alter Zeit, ohne einen Tropfen menschlichen Blutes in sich. Kaspian wußte nun auch, endlich hatte er die Alt-Narnianen gefunden. Dann verschwamm alles wieder vor seinen Augen. In den folgenden Tagen erfuhr er ihre Namen. Der Dachs wurde Trüffeljäger genannt; er war der älteste und freundlichste von den dreien. Der Zwerg, der Kaspian hatte töten wollen, war ein finsterer Schwarzzwerg mit Haupt- und Barthaaren, so schwarz und stark und steif wie Pferdehaar. Sein Name war Nikabrik. Der andere Zwerg mit Haaren von der Farbe eines Fuchses war ein Rotzwerg und hieß Trumpkin. »Und nun«, sagte Nikabrik am ersten Abend, als Kaspian sich so weit erholt hatte, daß er sitzen und sich unterhalten konnte, »müssen wir überlegen, was mit diesem menschlichen Wesen geschehen soll. Ihr beide glaubtet ihm einen guten Dienst zu erweisen, als ihr mich hindertet, es zu töten. Aber ich meine, alles, was dabei herauskommt, ist, daß wir das Wesen gefangenhalten müssen, solange es lebt. Ich werde es bestimmt nicht leben und laufen lassen, damit es zu den Seinen zurückkehrt und uns alle verrät.«