Der nächste Besuch galt den sieben Brüdern vom Zitterwald. Trumpkin führte seine Freunde über den Paß zurück und östlich nach dem Nordabhang der Berge, bis sie einen sehr ernst anmutenden Platz zwischen Felsen und Fichten erreichten. Sie schritten ruhig vorwärts, als Kaspian plötzlich den Boden unter seinen Füßen wanken fühlte. Es war, als hämmere jemand darunter. Trumpkin ging auf einen flachen Stein zu, der etwa so groß war wie der Deckel eines Wasserfasses, und stampfte mit dem Fuß darauf. Nach einiger Zeit wurde dieser Stein von irgendeinem oder irgend etwas von unten fortgeschoben, und man sah nun in ein dunkles, rundes Loch, aus dem eine Wolke von Hitze und Dampf stieg. In der Mitte des Loches erschien der Kopf eines Zwerges, der Trumpkin sehr ähnlich war. Die beiden hatten eine lange Auseinandersetzung. Dieser Zwerg schien mißtrauischer zu sein als das Eichhörnchen und die Wohlbeleibten Bären, aber schließlich wurde die ganze Gesellschaft doch eingeladen, nach unten zu kommen.
Kaspian mußte eine dunkle Treppe in die Erde hinabsteigen. Als er unten ankam, erblickte er Feuerschein, der von einem Schmelzofen herrührte. Der ganze Platz war eine Schmiede, die an einem unterirdischen Fluß lag. Zwei Zwerge waren am Blasebalg beschäftigt; einer hielt ein Stück rotglühendes Metall mit einer Zange auf den Amboß; der vierte hämmerte darauf, und zwei kamen, nachdem sie ihre schwieligen, kleinen Hände an einem schmutzigen Tuch abgewischt hatten, nach vorn, um die Besucher zu begrüßen. Es dauerte eine ganze Weile, ihnen klarzumachen, daß Kaspian ein Freund und kein Feind war. Als sie endlich überzeugt waren, riefen sie alle »Lang lebe der König!« und überreichten ihren Gästen wertvolle Geschenke – Kettenhemden, Helme und Schwerter für Kaspian, Trumpkin und Nikabrik. Der Dachs hätte dasselbe bekommen können, wenn er es gewünscht hätte. Aber er meinte, er sei eben ein Tier und wenn er sich seiner Haut nicht mit Klauen und Zähnen wehren könne, so verdiene sie es nicht, heil zu bleiben. Die Handwerksarbeit an den Waffen war viel edler, als Kaspian sie jemals gesehen hatte. Er nahm das von den Zwergen angefertigte Schwert gern statt des seinen, das, verglichen mit jenem, schwach wie ein Spielzeug und klobig wie ein Stock aussah. Die sieben Brüder, die alle zu den Rotzwergen gehörten, versprachen, zu dem Fest auf der Tanzwiese zu kommen. Etwas weiter, in einer trockenen Felsenschlucht, stießen sie auf die Höhle der fünf Schwarzzwerge. Diese betrachteten Kaspian argwöhnisch, aber schließlich sagte der älteste von ihnen: »Wenn er gegen Miraz ist, so wollen wir ihn zum König haben.« Und der nächstältere fragte: »Sollen wir für euch noch weiter nach oben, bis auf die Klippen, gehen? Dort auf der Höhe gibt es noch einige Menschenfresser und eine Hexe, mit denen wir euch bekannt machen könnten.« »Keinesfalls«, meinte Kaspian. »Lieber nicht«, sagte Trüffeljäger. »Solche Personen wollen wir nicht auf unserer Seite haben.« Nikabrik war anderer Meinung, wurde aber von Trumpkin und dem Dachs überstimmt. Es lebten also, wie Kaspian mit Schrecken feststellte, neben den freundlichen Geschöpfen der alten Geschichten auch noch Nachkommen der Ungeheuer in Narnia. »Wir verlieren Aslan als Freund, wenn wir solches Pack mitbringen«, bemerkte Trüffeljäger, als sie die Höhle der Schwarzzwerge verließen.
»Ach was, Aslan«, meinte Trumpkin gut gelaunt, aber etwas wegwerfend. »Was viel wichtiger ist, ihr würdet auch mich verlieren.«
»Glaubst du an Aslan?« fragte Kaspian Nikabrik. »Ich glaube an jeden oder jedes«, erklärte Nikabrik, »der oder das diese verfluchten Barbaren von Telmarern in Stücke schlägt oder sie aus Narnia hinaustreibt. An jeden oder jede, Aslan oder die Weiße Hexe, verstehst du?«
»Ruhe, Ruhe«, sagte Trüffeljäger. »Du weißt nicht, was du redest. Sie war eine ärgere Feindin als Miraz und sein Stamm.« »Sie war durchaus keine Feindin der Zwerge«, entgegnete Nikabrik.
Der nächste Besuch war erfreulicher. Als sie weiter nach unten gelangten, öffneten sich die Berge zu einem großen Tal oder einer bewaldeten Schlucht, durch die ein schneller Fluß strömte. Die freien Uferstellen am Fluß waren mit Mengen von Fingerhut und wilden Rosen gesäumt, und die Luft summte von Bienen. Hier rief Trüffeljäger: »Talsturm! Talsturm!«, und nach einer Weile hörte Kaspian Hufgetrappel. Der Hufschlag wurde immer lauter, bis das Tal erzitterte. Endlich kamen, das Waldgestrüpp durchbrechend und zertrampelnd, so edle Geschöpfe, wie Kaspian sie noch nicht gesehen hatte, der große Zentaur Talsturm und seine drei Söhne. Die Flanken dieses Geschöpfes, halb Mensch, halb Pferd, waren von glänzendem Kastanienbraun und sein Bart, der eine breite Brust bedeckte, rotgolden. Der Zentaur, ein sternkundiger Prophet, wußte bereits, weshalb die anderen gekommen waren.
»Lang lebe der König!« rief er. »Ich und meine Söhne sind zum Kampf bereit. Wo sollen wir uns zur Schlacht einfinden?« Bis zu diesem Augenblick hatte weder Kaspian, noch hatten die anderen ernsthaft an einen Krieg gedacht. Sie hatten sich verschwommen vorgestellt, es werde vielleicht gelegentlich nötig sein, ein menschliches Anwesen anzugreifen oder eine Jagdgesellschaft zurückzutreiben, falls diese sich zu weit in die südlichen Gefilde vorwagte. Aber hauptsächlich hatten sie nur daran gedacht, in den Wäldern und Höhlen für sich zu leben und zu versuchen, Alt-Narnia im verborgenen aufzubauen. Nachdem Talsturm gesprochen hatte, wurden alle viel ernsthafter. »Meinst du einen richtigen Krieg, um Miraz aus Narnia zu vertreiben?« fragte Kaspian.
»Was sonst?« entgegnete der Zentaur. »Warum sonst ist Eure Majestät mit dem Kettenhemd bekleidet und dem Schwert gegurtet?«
»Ist es möglich, Talsturm?« fragte der Dachs. »Die Zeit ist reif«, erklärte Talsturm. »Ich beobachte die Himmel, Dachs. Meine Aufgabe ist es, zu beobachten, und die deine, dich zu erinnern. Tarva und Alambil haben sich in der Halle des hohen Himmels getroffen, und wieder hat sich auf Erden ein Adamssohn erhoben, um die Geschöpfe zu rufen und über sie zu herrschen. Die Stunde hat geschlagen. Unsere Ratsversammlung auf der Tanzwiese muß ein Kriegsrat werden.« Er sprach mit einer solchen Stimme, daß weder Kaspian noch die anderen einen Augenblick lang zögerten, sich ihm anzuschließen. Es schien ihnen durchaus möglich, einen Krieg zu gewinnen, und durchaus einleuchtend, daß sie einen wagen mußten. Inzwischen war es Mittag geworden. Sie machten Rast bei den Zentauren und aßen das von diesen herbeigebrachte Mahl – Kuchen aus Hafermehl, Äpfel, Kräuter, Wein und Käse. Der nächste Ort, den sie aufsuchen wollten, war an sich ganz nahe, aber sie mußten einen großen Umweg machen, um eine von Menschen bewohnte Gegend zu umgehen. Es war fast Spätnachmittag, als sie auf ebene Felder trafen und sich zwischen schützenden Hecken befanden. Dort rief Trüffeljäger in ein kleines Loch in einer grünen Böschung hinein, und heraus kam etwas, was Kaspian am wenigsten erwartet hatte – eine Sprechende Maus. Natürlich war sie größer als eine gewöhnliche Maus, gut dreißig Zentimeter hoch, wenn sie auf den Hinterbeinen stand, und ihre Ohren waren fast so lang wie die eines Kaninchens, allerdings breiter.