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»Wir machen ihn fertig, ihn oder es«, sagte ein Schwarzzwerg grimmig und befestigte einen Pfeil an seiner Bogensehne. »Schießt nicht, wenn es allein ist«, wies Kaspian ihn an. »Fangt es.«

»Warum?« fragte der Zwerg.

»Tu, was dir gesagt ist«, sprach Talsturm, der Zentaur. Alle warteten schweigend, während die drei Zwerge und zwei Dachse vorsichtig auf die Bäume an der Nordwestseite der Wiese zukrochen. Dann hörte man den scharfen Ruf einer Zwergenstimme: »Halt! Wer da?« und einen plötzlichen Sprung. Einen Augenblick später sagte eine Stimme, die Kaspian nur zu gut kannte: »Schon gut. Schon gut. Ich bin unbewaffnet. Packt meine Handgelenke, wenn ihr wollt, ehrenwerte Dachse, aber beißt sie nicht gleich ganz durch. Ich möchte den König sprechen.« »Doktor Cornelius«, rief Kaspian voller Freude aus und rannte vor, um seinen alten Lehrer zu begrüßen. Die anderen schlossen einen Kreis um sie. »Pah«, stieß Nikabrik aus. »Ein abtrünniger Zwerg. Ein Mischling. Soll ich ihm mein Schwert durch die Kehle jagen?« »Sei ruhig, Nikabrik«, sagte Trumpkin. »Das Geschöpf ist für seine Abstammung nicht verantwortlich.«

»Dies ist mein liebster Freund und mein Lebensretter«, erklärte Kaspian. »Sollte sich irgend jemand an ihm stoßen, so mag er mein Heer verlassen, und das sofort. Liebster Herr Doktor, ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen. Wie haben Sie mich nur gefunden?«

»Ich habe ein wenig einfache Zauberei angewandt, Eure Majestät«, antwortete der Doktor, der immer noch pustete und schnaubte, weil er so schnell gegangen war. »Aber wir haben jetzt keine Zeit, darüber lange zu reden. Wir müssen alle sofort von hier fliehen. Ihr seid verraten, und Miraz hat sich in Bewegung gesetzt. Vor morgen mittag werdet Ihr umzingelt sein.« »Verraten?« fragte Kaspian. »Und durch wen?« »Sicherlich durch einen anderen abtrünnigen Zwerg«, meinte Nikabrik. »Durch Euer Pferd Pfeilgeschwind«, entgegnete Doktor Cornelius. »Der arme Gaul wußte es nicht besser. Als Ihr gestürzt wart, machte sich das Pferd langsam auf den Weg zurück in den Stall des Schlosses. Dadurch wurde das Geheimnis Eurer Flucht bekannt. Ich habe mich verborgen gehalten, weil ich nicht gern in Miraz’ Folterkammer deswegen befragt werden wollte. Mein Kristall hat mir einen guten Wink gegeben, wo ich Euch finden könnte. Einen ganzen Tag lang – das war vorgestern – beobachtete ich Miraz’ Spürtrupps in den Wäldern. Gestern hörte ich, daß sein Heer ausmarschiert ist. Manche Eurer reinblütigen Zwerge scheinen nicht soviel von der Weidmannskunst zu verstehen, wie man erwarten sollte. Ihr habt eure Spuren in der ganzen Gegend hinterlassen. Was für ein Leichtsinn! Jedenfalls hat Miraz durch irgend etwas erfahren, daß Alt-Narnia nicht so tot ist, wie er glaubte, und jetzt ist er im Anmarsch.« »Hurra!« rief eine sehr helle und zarte Stimme von irgendwo zu Füßen des Doktors her. »Laßt sie kommen. Ich habe nur die eine Bitte: Möge der König mich und mein Volk an die Front stellen.« »Was ist denn das?« fragte Doktor Cornelius. »Hat Eure Majestät Heuschrecken oder Moskitos im Heer?« Als er sich dann niedergebeugt und sich durch seine Brillengläser eingehend umgeschaut hatte, brach er in Lachen aus. »Beim Löwen«, so dröhnte er, »es ist eine Maus. Senor Maus, ich möchte Eure nähere Bekanntschaft machen. Es ehrt mich, ein so tapferes Tier zu treffen.«

»Meine Freundschaft ist Euch gewiß, gelehrter Mann«, piepste Riepischiep. »Und jeder Zwerg – oder Riese – im Heer, der sich Euch gegenüber unhöflich benimmt, wird es mit meinem Schwert zu tun bekommen.«

»Haben wir für diese Narreteien Zeit?« fragte Nikabrik. »Wie ist unser Plan? Schlacht oder Flucht?« »Schlacht, wenn es sein muß«, meinte Trumpkin, »aber dafür sind wir noch nicht gut genug vorbereitet, und dieser Platz hier ist kaum zu verteidigen.«

»Ich bin gar nicht dafür fortzulaufen«, erklärte Kaspian. »Hört auf ihn! Hört auf ihn!« riefen die Wohlbeleibten Bären. »Was wir auch tun, laßt uns vor allem nicht laufen. Jedenfalls nicht vor dem Abendbrot und auch nicht gleich hinterher.« »Die, welche zuerst laufen, laufen nicht immer auch zuletzt«, meinte der Zentaur. »Und warum wollen wir es den Feinden überlassen, unseren Standort zu bestimmen, statt ihn uns selbst zu wählen. Laßt uns einen gesicherten Platz suchen.« »Das ist klug, Eure Majestät, das ist klug«, sagte Trüffeljäger. »Aber wohin sollen wir uns denn begeben?« fragten mehrere Stimmen. »Eure Majestät«, begann Doktor Cornelius, »und ihr vielfältigen Geschöpfe. Ich bin dafür, daß wir nach Osten am Fluß entlang in die großen Wälder fliehen. Die Telmarer hassen jenen Bereich. Sie haben immer Angst vor dem Meer gehabt und vor dem, was über das Meer kommen könnte. Darum haben sie die großen Wälder hochwachsen lassen. Wenn die Überlieferung wahr ist, so stand das alte Feeneden an der Flußmündung. Dort ist alles für uns und gegen unsere Feinde. Wir müssen nach Aslans Mal gehen.«

»Aslans Mal?« fragten mehrere Stimmen. »Wir wissen gar nicht, was das ist.«

»Aslans Mal liegt am Rand der großen Wälder. Es ist ein gewaltiger Hügel, den die Narnianen in sehr alten Zeiten über einem verwunschenen Platz errichteten, wo sich ein sehr zauberkräftiger Stein befand oder vielleicht noch befindet. In den Hügel hineingebaut sind Gänge und Höhlen, und der Stein befindet sich genau in der Mitte. Die Anlage bietet Raum für alle unsere Vorräte. Außerdem können diejenigen unter uns, die besonders schutzbedürftig und an unterirdisches Leben gewöhnt sind, in den Höhlen Zufucht finden. Die übrigen können sich im Wald lagern. Sollten wir sehr bedrängt werden, so können wir uns alle – außer dem ehrenwerten Riesen – in den Hügel zurückziehen. Dort wären wir vor jeder Gefahr – ausgenommen Hunger – sicher.« »Es ist nur gut, daß wir einen gelehrten Mann bei uns haben«, meinte Trüffeljäger, aber Trumpkin murmelte in seinen Bart: »Suppe und Säbel! Mir wäre es lieber, unsere Anführer dächten weniger an alte Ammenmärchen und mehr an Nahrungsmittel und Waffen.« Aber alle stimmten dem Vorschlag von Cornelius bei, und noch in der gleichen Nacht, eine halbe Stunde später, befanden sie sich alle auf dem Marsch. Vor Sonnenaufgang hatten sie Aslans Mal erreicht.

Das war wirklich ein Ort, der Ehrfurcht einflößte. Ein runder grüner Hügel erhob sich auf dem Gipfel eines anderen Berges. Er war seit langem mit Bäumen überwachsen; ein kleiner, niedriger Torweg führte in ihn hinein. Die Tunnel im Innern des Hügels bildeten einen Irrgarten, solange man sie nicht kannte. Sie waren mit kleinen Steinen eingefaßt und überdacht. Auf den Steinen erblickte Kaspian, der im Zwielicht die Augen zusammenkneifen mußte, seltsame Zeichen, Schlangenmuster und Bilder, auf denen die Form eines Löwen immer wiederkehrte. Das alles schien zu einem noch älteren Narnia zu gehören als dem, von dem ihm die Kinderfrau erzählt hatte. Kaum hatten sie ihre Quartiere im Mal bezogen, als sich das Glück gegen sie wandte. Die Kundschafter des Königs Miraz fanden sehr bald ihr neues Lager, und er selbst tauchte mit seinem Heer am Rand der Wälder auf. Wie so oft, zeigte sich auch hier, daß der Feind stärker war, als man angenommen hatte. Kaspians Herz sank, als er sah, wie eine Kompanie nach der anderen heranmarschierte. Zwar mochten sich Miraz’ Leute davor fürchten, in den Wald zu gehen, aber mehr noch fürchteten sie sich vor Miraz. Unter seinem Befehl trugen sie die Schlacht tief in den Wald hinein und manchmal fast an das Mal heran. Kaspian und andere Anführer machten natürlich viele Ausfälle in das freie Land. So kämpfte man an allen Tagen und manchmal auch nachts, und meistens stand es um Kaspians Seite schlechter als um die des Gegners. Da kam der Abend eines Tages, an dem alles denkbar schlecht verlaufen war. Nachdem es den ganzen Tag gegossen hatte, hörte der Regen in der Dämmerung nur auf, um einer bitteren Kälte zu weichen. An diesem Morgen hatte Kaspian seine bisher größte Schlacht eingeleitet, auf die alle seine Anhänger ihre Hoffnungen setzten. Er hatte mit der Mehrzahl der Zwerge bei Tagesanbruch den rechten Flügel des Königs angreifen wollen. Während dieser in heftigem Kampf abgelenkt war, sollte der Riese Wetterfest mit den Zentauren und einigen der wildesten Tiere von einer anderen Stelle ausbrechen und versuchen, den rechten Flügel des Königs von dem übrigen Heer abzuschneiden. Aber alles war fehlgeschlagen. Keiner hatte Kaspian darauf aufmerksam gemacht (in diesen jüngeren Tagen Narnias erinnerte sich nämlich niemand mehr daran), daß Riesen alles andere als klug sind. Der arme Wetterfest, wenn er auch tapfer wie ein Löwe kämpfte, war eben ein richtiger Riese. Er war zur unrechten Zeit und von der falschen Stelle aus aufgebrochen, und sowohl seine Begleiter als auch Kaspians Truppen hatten sehr gelitten und dem Feind nur wenig Schaden zugefügt. Der beste Bär war verletzt, ein Zentaur schrecklich verwundet worden, und es gab in Kaspians Umgebung nur wenige, die kein Blut verloren hatten. Eine niedergedrückte Gesellschaft zwängte sich nun unter den tropfenden Bäumen zusammen, um ein kärgliches Abendessen zu verzehren. Von allen am mißmutigsten war der Riese Wetterfest. Er wußte, alles war sein Fehlet gewesen. Schweigend saß er da und vergoß dicke Tränen, die sich an seiner Nasenspitze sammelten und dann mit gewaltigem Klatsch auf das Lager der Mäuse fielen, die gerade warm geworden waren und anfingen, schläfrig zu werden. Sie sprangen hoch, schüttelten sich das Wasser aus den Ohren, drückten ihre kleinen Decken aus und fragten den Riesen mit schrillen, durchdringenden Stimmen, ob er etwa glaube, sie seien noch nicht naß genug. Dadurch wachten wieder andere auf und belehrten die Mäuse, daß sie angestellt seien, um Kundschafterdienste zu tun, nicht aber um Lärm zu schlagen. Man fragte sie, warum sie keine Ruhe halten könnten. Darauf schlich Wetterfest auf Zehenspitzen davon, um sich einen Platz zu suchen, wo er sich ungehindert unglücklich fühlen konnte. Dabei trat er irgendeinem auf den Schwanz, und dieser eine (nachher hieß es, es sei der Fuchs gewesen) biß ihn. So kam es also, daß alle außer sich waren.