»Es ist zwar ein gefährliches Spiel«, sagte Trumpkin, »da du aber so sehr darauf bestehst, will ich mich auf ein oder zwei Gänge einlassen.«
Beide Schwerter waren im Nu gezogen; die drei anderen sprangen vom Podium und schauten zu. Es war sehenswert. Dies hier war kein gestelltes Fechten mit breiten Schwertern, wie man es auf der Bühne sieht. Es war nicht einmal so, wie geübte Kämpfer mit Rapieren fechten. Dies war ein echter Zweikampf mit scharfen Waffen. Dabei ist die Hauptsache, auf die Beine und Füße des Gegners zu zielen, weil sie ungeschützt sind. Schlägt er aber nach deinen Beinen, so mußt du mit beiden Füßen hochspringen, daß der Schlag darunter weggeht. Hierbei war der Zwerg im Vorteil, weil Edmund als der viel größere sich dauernd bücken mußte. Ich glaube kaum, daß Edmund eine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wäre er vierundzwanzig Stunden früher gegen den Zwerg angetreten. Aber die Luft Narnias hatte auf ihn eingewirkt, seit die Kinder auf der Insel angekommen waren. Er erinnerte sich der Schlachten von früher, und seine Arme und Finger besannen sich darauf, wie geschickt sie einmal gewesen waren. Wieder war er König Edmund. Immer wieder umkreisten sich die beiden Kämpfer; Schlag auf Schlag fiel, und Suse, die sich nie an dieses Spiel hatte gewöhnen können, rief aus: »Oh, seid doch vorsichtig.« Und dann, so schnell, daß keiner (der nicht, wie Peter, davon wußte) genau erkennen konnte, wie es geschah, schwang Edmund sein Schwert mit einer besonderen Drehung herum; das Schwert des Zwerges flog diesem fort, und Trumpkin stand mit leerer Hand da. »Hoffentlich nicht verletzt, mein lieber kleiner Freund?« fragte Edmund, keuchte ein wenig und stieß sein Schwert wieder in die Scheide.
»Ach so«, meinte Trumpkin trocken. »Du kennst einen Kniff, den ich nicht gelernt habe.«
»Genauso ist es«, bemerkte Peter. »Der beste Fechter in der Welt kann durch einen Trick, der ihm neu ist, entwaffnet werden. Ich finde, es wäre anständig, Trumpkin eine Chance auf einem anderen Gebiet zu geben. Willst du mit meiner Schwester ein Wettschießen machen? Du weißt ja, daß es bei der Bogenkunst keine Tricks gibt.«
»Oh, ihr seid Spaßvögel«, entgegnete der Zwerg. »Ich fange an zu begreifen. Ich weiß doch genau, wie sie schießen kann, nach dem, was sich heute morgen abspielte. Immerhin, ich will es versuchen.« Er sprach zwar mürrisch, aber seine Augen glänzten, denn er war bei seinem Volk ein berühmter Bogenschütze. Alle fünf traten in den Hof hinaus. »Was soll das Ziel sein?« fragte Peter.
»Ich finde, der Apfel, der an dem Zweig dort über der Mauer hängt, eignet sich gut«, meinte Suse. »Der eignet sich prächtig, Mädchen«, sagte Trumpkin. »Du meinst doch den gelben in der Mitte des Torbogens?« »Nein, den nicht«, antwortete Suse. »Den roten dort oben über den Zinnen.«
Das Gesicht des Zwerges wurde lang. »Der sieht kaum wie ein Apfel, mehr wie eine Kirsche aus«, murmelte er, sagte aber nichts mehr laut.
Sie losten den ersten Schuß aus. Das Auslosen machte Trumpkin Spaß. Er hatte noch niemals gesehen, wie man eine Münze hochwirft und damit lost. Suse verlor. Geschossen werden sollte von der obersten Stufe der Treppe, die von der Halle in den Schloßhof führte. Alle sahen an der Art, wie der Zwerg seinen Standort wählte und seinen Bogen behandelte, daß er etwas von der Sache verstand.
Die Sehne schwirrte. Es war ein ausgezeichneter Schuß. Der kleine Apfel geriet ins Schaukeln, als der Pfeil an ihm vorbeisauste, und ein Blatt flatterte herab. Dann ging Suse auf die Treppe und spannte ihren Bogen. Sie freute sich über diesen Zweikampf nicht halb so sehr, wie sich Edmund über den seinen gefreut hatte. Sie zweifelte nicht etwa, daß sie den Apfel treffen werde, aber sie war weichherzig und bedauerte es daher sehr, über jemanden zu siegen, der schon einmal besiegt worden war. Der Zwerg beobachtete sie scharf, als sie den Bogen ans Ohr zog. Nach kurzer Weile fiel der Apfel mit einem kleinen, sanften Bums ins Gras. Es war hier so ruhig, daß alle es hören konnten. Suses Pfeil steckte im Apfel.
»Gut gemacht, Suse«, riefen alle Kinder. »Mein Schuß war eigentlich nicht besser als deiner«, meinte Suse zu dem Zwerg. »Ich glaube, es hat etwas geweht, während du schossest.«
»Nein, es hat nicht geweht«, entgegnete Trumpkin. »Red mir nichts ein. Ich weiß, wann ich anständig besiegt bin. Ich möchte nicht einmal erwähnen, daß die Narbe meiner letzten Wunde mich etwas schmerzt, wenn ich meinen Arm so zurückziehen muß.« »Oh, du bist verwundet?« fragte Lucy. »Laß mich einmal sehen.«
»Das ist kein Anblick für kleine Mädchen«, begann Trumpkin, besann sich dann aber eines Besseren. »Nun rede ich schon wieder so töricht«, fuhr er fort. »Wahrscheinlich bist du eine so große Ärztin, wie dein Bruder ein großer Fechter und deine Schwester eine große Bogenschützin ist.« Er setzte sich auf die Stufe, legte seinen Panzer ab, zog sein kleines Hemd herunter und zeigte seinen Arm, der behaart und kräftig wie der eines Seemannes, aber nicht größer als der eines Kindes war. Um seine Schulter war ein Verband gewickelt, den Lucy nun abnahm. Darunter waren ein recht häßlicher Schnitt und viele geschwollene Stellen. »Oh, armer Trumpkin, wie schrecklich«, sagte Lucy. Dann tröpfelte sie vorsichtig einen einzigen Tropfen des Heilmittels aus ihrer Flasche darauf. »Hallo! He, was machst du da?« fragte Trumpkin. Aber wie er auch seinen Kopf wendete, schielte und seinen Bart hin und her warf, er konnte nicht richtig über seine eigene Schulter blicken. Darum fühlte er, so gut er konnte, nach der Wunde. Dabei gerieten seine Arme und Hände in eine so verzwickte Lage, wie es jedem passieren kann, der sich an einer eigentlich unerreichbaren Stelle zu kratzen versucht. Endlich schwang er seinen Arm, ließ die Muskeln spielen, sprang schließlich auf die Füße und rief aus: »Riesen und Rhabarber! Es ist geheilt. Es ist so gut wie zuvor.« Darauf brach er in Lachen aus und sagte: »Na, da habe ich mich ja törichter benommen, als es je ein Zwerg tat. Ihr seid doch hoffentlich nicht beleidigt? Meine tiefe Ergebenheit, alle Eure Majestäten – meine tiefe Ergebenheit! Und tausend Dank für mein Leben, meine Heilung, mein Frühstück – und die mir erteilte Lehre.« Die Kinder beruhigten ihn. Alles sei gut, und es solle nicht mehr davon gesprochen werden.
»Nun aber«, sprach Peter, »wenn du dich endgültig entschieden hast, an uns zu glauben...« »Das habe ich«, erwiderte der Zwerg. »Dann ist ganz klar, was wir tun müssen. Wir müssen sofort zu König Kaspian stoßen.«
»Je schneller, desto besser«, stimmte der Zwerg zu. »Durch meine Torheit wurde fast eine Stunde vergeudet.« »Wenn wir auf dem gleichen Weg wie du reisen, brauchen wir fast zwei Tagemärsche«, sagte Peter. »Denn wir können nicht Tag und Nacht marschieren wie ihr Zwerge.« Darauf wandte er sich an die anderen: »Was Trumpkin Aslans Mal nennt, ist offenbar der Steintisch. Ihr entsinnt euch, daß es von dort nahezu ein halber Tagemarsch nach der Festung Beruna war.« »Wir nennen das die Berunabrücke«, warf Trumpkin ein. »Zu unserer Zeit gab es dort keine Brücke«, entgegnete Peter. »Und dann war es von Beruna bis hierher noch einen guten Tag. Wir kamen immer am zweiten Tag zur Teezeit heim, wenn wir gemächlich gingen. Wenn wir schnell gehen, können wir den ganzen Weg vielleicht in einundeinhalb Tagen zurücklegen.« »Aber bedenkt, daß nun überall Wälder sind«, bemerkte Trumpkin, »und man muß den Feinden ausweichen.« »Sagt mal«, meinte Edmund, »müssen wir denn denselben Weg nehmen, auf dem unser Lieber Kleiner Freund kam?« »Sagt das nicht mehr, Majestät, wenn Ihr es gut mit mir meint«, bat der Zwerg.