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Ein großer Lärm erhob sich auf Seiten der Alt-Narnianen. Miraz lag mit dem Gesicht nach unten, nicht durch Peters Schlag, sondern weil er über ein Grasbüschel gestolpert war. Peter trat zurück und wartete, daß er sich erhebe. Oh, wie blöd, dachte Edmund bei sich. Muß er jetzt unbedingt so ritterlich sein? Wahrscheinlich muß er das. Das kommt davon, wenn man ein Ritter und ein großer König ist. Aslan sieht das sicherlich gern. Aber der Schuft wird in einer Minute wieder stehen und dann...

Aber »der Schuft« erhob sich nicht wieder. Die Herren Glozell und Seifenspan hatten ihren eigenen Plan bereit. Sobald sie ihren König am Boden sahen, sprangen sie in die Schranken und riefen: »Verrat! Verrat! Er lag hilflos danieder; da hat der Verräter aus Narnia ihm den Dolch in den Rücken gestoßen. Zu den Waffen! Zu den Waffen, Telmar!« Peter begriff kaum, was sich ereignete. Er sah, wie zwei große Männer mit gezogenen Schwertern auf ihn zurannten. Dann sprang ein dritter Telmarer links von ihm über die Seile. »Zu den Waffen, Narnia! Verrat!« schrie Peter. Hätten alle drei sich sofort auf ihn gestürzt – er hätte niemals wieder gesprochen. Aber Glozell hielt ein, um seinen eigenen König, dort, wo er lag, zu erstechen. »Das ist für die Beleidigung von heute morgen«, flüsterte er, als er die Klinge zurückzog. Peter drehte sich blitzschnell zu Seifenspan um, schlug ihm die Beine unter dem Körper fort und köpfte ihn mit dem Rückwärtsschlag desselben Streiches. Edmund war jetzt an seiner Seite und rief: »Narnia! Narnia! Der Löwe!« Das ganze Telmarer Heer rannte nun auf sie zu. Aber der Riese stampfte vorwärts, bückte sich und schwang seine Keule. Die Zentauren griffen an. Peng-peng hinten und hiß-hiß oben klang es von den Bögen der Zwerge. Trumpkin kämpfte links von ihm. Die Schlacht war in vollem Gange.

»Zurück, Riepischiep, du kleiner Esel!« schrie Peter. »Du wirst nur umgebracht. Dieses ist kein Platz für Mäuse.« Aber die lächerlichen, kleinen Geschöpfe tanzten zwischen den Füßen beider Heere umher und pieksten mit ihren Schwertern. Manch ein Krieger aus Telmar fühlte an diesem Tag Dutzende von Stichen am Fuß, hüpfte auf einem Bein und fluchte über den Schmerz; manch einer fiel dabei um. Tat er das, so erledigten die Mäuse ihn. Fiel er nicht, so tat es ein anderer. Ehe noch die alten Narnianen bei dieser Arbeit wirklich warm geworden waren, merkten sie, daß der Feind zu weichen begann. Zähe Krieger wurden bleich und starrten schreckerfüllt – nicht auf die alten Narnianen, sondern auf etwas hinter ihnen. Dann warfen sie schreiend ihre Waffen fort. »Der Wald! Der Wald! Das Ende der Welt!«

Bald waren weder das Geschrei noch der Klang der Waffen zu hören. Beides wurde übertönt von dem brausenden Gebrüll der Erwachten Bäume, als sie sich durch die Linien von Peters Heer und auf die fliehenden Telmarer stürzten. Habt ihr jemals auf einem Hügel am Waldesrand gestanden, wenn an einem Herbstabend ein stürmischer Südwest mit voller Macht darüber braust? Stellt euch solch ein Brausen vor. Und dann stellt euch vor, daß der Wald, statt fest an seinem Platz zu stehen, auf euch zustürzt und daß er dann nicht länger aus Bäumen, sondern aus riesigen Geschöpfen besteht, die wie Bäume aussehen. Die langen Arme dieser Baumgeschöpfe winkten wie Zweige, und wenn ihre Köpfe schwankten, so fielen Schauer von Blättern von ihnen herab. So wirkte dieses Geschehen auf die Telmarer. Es war sogar ein wenig aufregend für die Narnianen. In kurzer Zeit rannten Miraz’ Anhänger allesamt hinab an den Großen Fluß. Sie hofften, über die Brücke nach Beruna entweichen zu können, und strebten danach, sich in der Stadt hinter Wällen und geschlossenen Türen zu verteidigen. Sie erreichten den Strom, aber da war keine Brücke. Sie war seit dem Vortag verschwunden. Schrecken befiel sie; höchste Panik brach aus, und sie ergaben sich alle. Was aber war mit der Brücke geschehen?

Früh an diesem Morgen waren die Mädchen nach wenigen Stunden Schlaf erwacht, hatten Aslan neben sich stehen sehen und seine Stimme sagen hören: »Wir wollen einen Feiertag machen.« Sie rieben sich die Augen und blickten um sich. Die Bäume waren alle verschwunden, aber man konnte noch erkennen, wie sie sich in einer dunklen Masse auf Aslans Mal zubewegten. Bacchus und die Mänaden – seine ungestümen, tollköpfigen Mädchen – waren noch bei ihnen. Gut ausgeruht, sprang Lucy auf. Alle waren wach; alle lachten; Flöten wurden gespielt, Zimbeln geschlagen. Tiere, keine Sprechenden Tiere, drängten sich von allen Seiten heran. »Was gibt es, Aslan?« fragte Lucy mit tanzenden Augen und Füßen, die tanzen wollten.

»Kommt, Kinder«, sagte er. »Ihr könnt heute wieder einmal auf meinem Rücken reiten.«

»Oh, wie wundervoll«, rief Lucy, und die beiden Mädchen kletterten auf den warmen, goldenen Rücken genauso, wie sie es vor wer weiß wie vielen Jahren getan hatten. Dann brach die ganze Gesellschaft unter Aslans Führung auf. Bacchus und seine Mädchen sprangen, rasten und schlugen Purzelbäume, und die Tiere hüpften um sie herum.

Sie wandten sich ein wenig nach rechts, liefen einen steilen Abhang hinab und sahen die lange Brücke von Beruna vor sich. Doch ehe sie diese überschreiten konnten, tauchte aus dem Wasser ein nasser, bärtiger binsengekrönter Kopf, größer als der eines Mannes. Er blickte Aslan an, und eine tiefe Stimme tönte aus seinem Munde.

»Heil, Herr«, sagte er, »löse meine Ketten.« »Du meine Güte, wer ist denn das?« fragte Suse flüsternd. »Ich glaube, das ist der Flußgott, aber still jetzt«, antwortete Lucy. »Bacchus«, sprach Aslan, »befreie ihn von seinen Ketten.« Damit meint er gewiß die Brücke, dachte Lucy. Und so war es. Bacchus und seine Anhänger platschten in das seichte Wasser, und kurz darauf ereigneten sich höchst merkwürdige Dinge. Große, starke Efeuranken schlängelten sich um die Brückenpfeiler und wuchsen dabei rasch wie ein Feuer. Sie umwanden die Steine, zerbrachen, zerteilten und zerschmetterten sie. Die Mauern der Brücke verwandelten sich für eine kurze Weile in Hagedornhecken und verschwanden dann, als das ganze Bauwerk stürzend und krachend in den wirbelnden Wassern unterging. Kräftig um sich spritzend, kreischend und lachend wateten, schwammen und tanzten die Schwarmgeister durch die Furt (»Hurra, die Furt von Beruna ist wieder da«, riefen die Mädchen) und am anderen Ufer entlang bis in die Stadt. Überall in Beruna, wo sie auftauchten, fohen fast alle Menschen von den Straßen; nur einige wenige stießen zu ihnen. Als sie die Stadt verließen, waren sie eine größere und noch fröhlichere Gesellschaft.

Sie schwärmten über die ebenen Felder auf dem Nordufer, also dem linken Ufer des Flusses. Aus jedem Bauernhof kamen Tiere angelaufen, um sich ihnen anzuschließen. Traurige alte Esel, die niemals Frohsinn gekannt hatten, wurden plötzlich wieder jung. Kettenhunde zerrissen ihre Ketten; Pferde trampelten ihre Wagen in Stücke, trabten an ihrer Seite, warfen mit den Hufen Erdschollen hoch und wieherten. An dem Brunnen eines Bauernhofes trafen sie auf einen Mann, der einen Jungen schlug. In des Mannes Hand trieb da der Stock Blüten. Er wollte ihn fallen lassen, doch blieb dieser an seiner Hand kleben. Sein Arm wurde ein Zweig, sein Rumpf der Stamm eines Baumes, seine Füße schlugen Wurzeln. Der Junge, der vor einem Weilchen noch geweint hatte, brach in Gelächter aus und schloß sich ihnen an. Am Biberdamm kreuzten sie wieder den Fluß und kamen ostwärts auf das Südufer. Sie gelangten an eine kleine Hütte, in deren Tür weinend ein Kind stand. »Warum weinst du, mein Kind?« fragte Aslan. Das Kind, das noch niemals die Abbildung eines Löwen gesehen hatte, fürchtete sich nicht vor ihm. »Tantchen ist sehr krank«, sagte es. »Sie wird sterben.« Da bemühte sich Aslan, in die Tür der Hütte zu treten, aber sie war zu klein für ihn. Darauf zwängte er erst den Kopf hinein, schob dann mit den Schultern nach, wobei Suse und Lucy von seinem Rücken purzelten, und hob das ganze kleine Haus hoch. Es fiel wieder hinunter und brach auseinander. Da lag nun – immer noch in ihrem Bett, das jetzt im Freien stand – eine kleine alte Frau, die so aussah, als habe sie Zwergenblut in sich. Sie stand an der Schwelle des Todes. Als sie ihre Augen öffnete und das helle Löwenhaupt erblickte, das ihr ins Gesicht sah, schrie sie weder auf, noch fiel sie in Ohnmacht. Sie sagte nur: »Oh, Aslan. Ich wußte, daß es wahr ist. Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet. Bist du gekommen, um mich zu holen?« »Ja, meine Gute«, antwortete Aslan, »aber noch nicht auf die ganz lange Reise.« Während er sprach, kam gleich dem Rosenrot, das bei Sonnenaufgang die Wolke säumt, Farbe in ihr weißes Gesicht; ihre Augen bekamen Glanz, sie setzte sich auf und sagte: »Meine Güte, ich muß schon sagen, ich fühle mich sehr viel besser. Ich glaube, mir würde heute morgen ein kleines Frühstück guttun.«