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»Männer von Telmar«, sprach Aslan, »ihr, die ihr neues Land sucht, achtet auf meine Worte. Ich will euch alle in euer eigenes Land zurücksenden, das ich kenne, aber das ihr nicht kennt.« »Wir erinnern uns nicht an Telmar. Wir wissen nicht, wo es ist. Wir wissen nicht, wie es ist«, brummten die Telmarer. »Ihr kamt aus Telmar nach Narnia«, sagte Aslan. »Aber bevor ihr in Telmar wart, lebtet ihr in einem anderen Land. Ihr gehört gar nicht zu dieser Welt. Ihr seid vor einigen Generationen aus der gleichen Welt hierhergekommen, zu der König Peter der Prächtige gehört.«

Als sie dies vernahmen, begann die Hälfte der Telmarer zu winseln: »Da habt ihr es. Was habe ich gesagt? Er wird uns alle töten und uns ganz aus der Welt schicken.« Die andere Hälfte aber warf sich in die Brust. Die Männer schlugen einander auf die Schultern und flüsterten: »Da habt ihr es. Hätten uns längst denken können, daß wir nicht hierhergehören – in diese Gegend mit all den merkwürdigen, abstoßenden, unnatürlichen Geschöpfen. Wir sind aus königlichem Blut; man wird ja sehen.« Selbst Kaspian, Cornelius und die Kinder wandten sich mit erstaunten Blicken Aslan zu.

»Ruhe!« gebot Aslan mit seiner leisen Stimme, die schon ans Knurren grenzte. Die Erde schien ein klein wenig zu zittern, und kein Lebewesen im Hain wagte sich zu rühren. »Du, Herr Kaspian«, sprach Aslan, »hättest wissen müssen, daß du kein wahrer König von Narnia sein kannst, wenn du nicht gleich den alten Königen ein Adamssohn bist und aus der Welt der Adamssöhne kommst. So ist es auch. Vor vielen, vielen Jahren wurde in jener Welt auf einem tiefen Meer, das man die Südsee nennt, ein Schiff mit Seeräubern vom Sturm auf eine Insel getrieben. Die Seeräuber benahmen sich dort so, wie sich Piraten benehmen: sie töteten die Eingeborenen, nahmen eingeborene Weiber zu Frauen, machten Palmwein, tranken und wurden betrunken, lagen dann im Schatten der Palmbäume, wachten wieder auf, stritten sich, und manchmal tötete einer einen anderen. Bei einer dieser Schlägereien wurden sechs von ihnen in die Flucht geschlagen. Sie flohen mit ihren Frauen in das Innere der Insel auf einen Berg und versteckten sich dort in einer Höhle – wie sie glaubten. Aber es war keine Höhle, sondern eine der verwunschenen Orte jener Welt, eine der Stätten, welche die Verbindung und Trennung zwischen jener Welt und dieser herstellen. In den alten Zeiten gab es viele solcher Übergänge zwischen den Welten, aber sie sind seltener geworden. Dieses war einer der letzten, ich möchte nicht sagen der letzte. Und so fielen sie oder erhüben sich oder stolperten oder sanken hindurch, bis sie sich in dieser Welt wiederfanden, im Lande Telmar, das damals unbevölkert war. Warum es aber nicht bevölkert war, ist eine lange Geschichte, die ich jetzt nicht erzählen will. In Telmar lebten nun also ihre Nachkommen und wurden ein wildes und stolzes Volk. Nach vielen Jahren gab es einmal eine Hungersnot in Telmar; da drangen die Telmarer in Narnia ein, das damals in Unordnung geraten war – aber auch das zu erzählen würde zu lange dauern. Kurz, sie besiegten und beherrschten Narnia. Hast du dir dies alles gut gemerkt, König Kaspian?« »Ganz gewiß, Herr«, antwortete Kaspian. »Ich möchte lieber aus einer etwas ehrenvolleren Ahnenreihe stammen.« »Du stammst ab von Adam und Eva«, antwortete Aslan, »und das ist so ehrenvoll, daß der ärmste Bettler deswegen sein Haupt erheben kann, und das ist zugleich so beschämend, daß der größte Kaiser auf Erden seinen Rücken beugen sollte. Sei zufrieden.« Kaspian verneigte sich.

»Nun frage ich«, fuhr Aslan fort, »wollt ihr Männer und Frauen von Telmar auf jene Insel in der Welt der Menschen zurückkehren, von der eure Väter einst kamen? Es ist kein schlechter Ort. Der Stamm der Seeräuber, welche die Insel entdeckt haben, ist ausgestorben; es gibt dort keine Einwohner mehr, wohl aber gute Brunnen mit frischem Wasser, fruchtbaren Boden, Holz zum Bauen und Fische in den Buchten, und die anderen Menschen jener Welt haben diese Insel noch nicht entdeckt. Der Übergang zwischen den Welten ist für euch offen; ihr könnt dorthin zurückkehren, aber ich muß euch sagen: sobald ihr hindurchgeschritten seid, wird er sich für immer hinter euch schließen. Es wird durch jenes Tor keinen Austausch mehr zwischen den Welten geben...«

Eine Weile herrschte Schweigen. Dann drängte sich ein kräftiger, ordentlich aussehender Bursche unter den Telmarer Soldaten nach vorn und erklärte: »Also gut, ich nehme das Angebot an.« »Du hast gut gewählt«, sprach Aslan, »und weil du zuerst gesprochen hast, wird dich kräftiger Zauber umgeben. Deine Zukunft in der anderen Welt wird gut. Tritt näher.« Der Mann, der nun ein wenig blaß geworden war, kam nach vorn. Aslan und sein Gefolge traten beiseite und ließen ihm freien Zutritt zu der leeren Tür zwischen den Pfählen. »Geh hindurch, mein Sohn«, sagte Aslan, beugte sich dem Mann entgegen und berührte dessen Nase mit seiner. Sobald der Atem des Löwen den Mann gestreift hatte, trat ein anderer Ausdruck in seine Augen – aufgeschreckt, aber nicht unglücklich –, als versuche er, sich auf etwas zu besinnen. Dann reckte er seine Schultern und schritt in die Tür.

Aller Augen hefteten sich auf ihn. Alle sahen den Holzrahmen und durch ihn hindurch die Bäume, das Gras und den Himmel Narnias. Sie sahen den Mann zwischen den Pfählen, und in Sekundenschnelle war er verschwunden. Auf der anderen Seite der Lichtung wehklagten die Telmarer: »Oje! Was ist mit ihm geschehen? Willst du uns umbringen? Den Weg wollen wir nicht gehen.« Darauf sagte einer der klugen Telmarer:

»Wir können keine andere Welt hinter den Pfählen erkennen.

Wenn ihr wollt, daß wir daran glauben, warum geht dann nicht einer von euch? Alle deine eigenen Freunde halten sich weit entfernt von den Pfählen.«

Sofort erhob sich Riepischiep und verbeugte sich: »Falls mein Beispiel von Diensten sein kann, Aslan« sagte er, »so will ich auf deinen Befehl, ohne zu zögern, elf Mäuse durch den Bogen dort führen.«

»Nein, mein Kleiner«, antwortete Aslan und legte seine samtweiche Pfote behutsam auf Riepischieps Kopf. »In jener Welt würde man euch schreckliche Dinge antun. Man würde euch auf den Jahrmärkten zeigen. Es müssen schon andere führen.« »Kommt mit«, sagte da Peter zu Edmund und Lucy. »Unsere Zeit ist um.«

»Was meinst du damit?« fragte Edmund. »Kommt mit«, sagte Suse, die Bescheid zu wissen schien, »zurück in den Wald. Wir müssen uns umziehen.« »Umziehen? Wieso?« fragte Lucy.

»Wir müssen natürlich unsere eigenen Kleider wieder anziehen«, antwortete Suse. »In diesen hier würden wir auf dem Bahnsteig in England sehr auffallen.«

»Aber unsere Sachen sind doch in Kaspians Schloß«, meinte Edmund.

»Nein, das sind sie nicht mehr«, antwortete Peter und führte sie weiter hinein in den Wald, wo er besonders dicht war. »Sie sind hier. Sie wurden heute morgen schon zusammengebündelt hierhergebracht. Für alles ist gesorgt.« »War es das, was Aslan heute morgen mit dir und Suse besprochen hat?« fragte Lucy.

»Ja, das war es – und auch noch anderes«, erwiderte Peter mit ernster Miene. »Ich kann es euch nicht alles erzählen. Es waren Dinge, die er Suse und mir sagen wollte, weil wir nicht wieder nach Narnia zurückkommen werden.« »Niemals?« riefen Edmund und Lucy angstvoll. »Oh, ihr beiden wohl«, entgegnete Peter, »nach allem, was er sagte, glaube ich fest, daß er euch eines Tages wiederhaben möchte. Aber nicht Suse und mich. Er sagte, wir werden zu alt.« »Oh, Peter«, sagte Lucy, »wie traurig ist das. Kannst du dich damit abfinden?« »Nun, ich glaube ja«, erwiderte Peter. »Es ist ganz anders, als ich es mir dachte. Du wirst es verstehen, wenn deine letzte Zeit gekommen ist. Aber rasch, hier sind unsere Sachen.« Es war merkwürdig und nicht sehr angenehm, die königlichen Gewänder abzulegen und in der Schulkleidung, die gar nicht mehr besonders sauber war, in die große Versammlung zurückzukehren. Einzelne der unangenehmen Telmarer spotteten darüber. Aber die anderen Geschöpfe spendeten Beifall und erhoben sich zu Ehren von König Peter dem Prächtigen und Königin Suse der Sanften mit dem Horn und König Edmund dem Gerechten und der tapferen Königin Lucy. Innig – und von Lucy tränenreich – wurde von allen alten Freunden Abschied genommen; die Tiere küßten sie, die Wohlbeleibten Bären umarmten sie; mit Trumpkin schüttelten sie die Hände, und zuletzt kam eine kitzlige, barthaarige Umarmung von Trüffeljäger. Natürlich wollte Kaspian das Horn an Suse zurückgeben, und natürlich bat Suse ihn, es zu behalten. Endlich mußte – wunderbar und schrecklich zugleich – von Aslan Abschied genommen werden. Dann machte sich Peter zum Gehen bereit. Suse legte ihre Hände auf seine Schultern. Ihr folgte Edmund mit seinen Händen auf ihren Schultern. Dann kam Lucy mit ihren Händen auf seinen Schultern. Darauf folgte in gleicher Weise der erste Telmarer, und so bewegten sie sich in einer langen Kette auf die Tür zu. Es kam ein Augenblick, den man kaum beschreiben kann – das war, als die Kinder glaubten, drei Dinge zur gleichen Zeit zu sehen. Das eine war die Öffnung einer Höhle, die dem gleißenden Grün und dem Blau einer Insel im Stillen Ozean zugewandt war, wo alle Telmarer sich sogleich wiederfanden, nachdem sie durch die Tür getreten waren. Das zweite war eine Lichtung in Narnia mit den Gesichtern der Zwerge und Tiere, den tiefen Augen Aslans und den weißen Flecken auf den Backen des Dachses. Aber das dritte, was die beiden anderen Bilder schnell aufschluckte, war der graue, kiesbestreute Bahnsteig eines ländlichen Bahnhofs und eine von Gepäck umgebene Bank. Auf dieser Bank saßen sie alle vier, als seien sie niemals fortgewesen. Zuerst erschien alles ein wenig langweilig und trübselig, verglichen mit dem, was sie erlebt hatten, aber es war in mancher Weise auch unerwartet hübsch – der vertraute Eisenbahngeruch, der englische Himmel und die vor ihnen liegende Schulzeit im Sommer.