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»Suse! Wie kannst du nur so etwas sagen«, bemerkte Lucy mit vorwurfsvollem Blick. Beide Jungen waren viel zu aufgeregt, um auf Suses Rat überhaupt zu achten, und bearbeiteten den Efeu teils mit den Händen, teils mit Peters Taschenmesser, bis es zerbrach. Daraufhin nahmen sie Edmunds Messer. Bald war der ganze Platz, auf dem sie gesessen hatten, mit Efeu bedeckt, und schließlich hatten sie die Tür freigelegt. »Natürlich verschlossen«, stellte Peter fest. »Aber das Holz ist ganz verfault«, meinte Edmund. »Wir können die einzelnen Teile gut auseinanderbrechen, und das gibt extra Feuerholz. Kommt!«

Sie brauchten länger dazu, als sie angenommen hatten, und ehe sie fertig waren, lag die große Halle im Dämmerlicht. Über ihnen standen die ersten Sterne. Suse war nicht die einzige, die einen leichten Schauder spürte, als die Jungen auf dem Haufen zersplitterten Holzes standen, sich den Schmutz von den Händen rieben und in die dunkle, kalte Öffnung starrten, die sie gemacht hatten.

»Nun brauchen wir eine Fackel«, sagte Peter. »Ach, was soll das nützen?« fragte Suse. »Und Edmund meinte übrigens auch...« »Jetzt meine ich das nicht mehr«, fiel ihr Edmund ins Wort. »Ich verstehe es zwar immer noch nicht, aber darüber können wir später reden. Du gehst doch sicher hinunter, Peter?« »Das muß jetzt sein«, erklärte Peter. »Reiß dich zusammen, Suse. Wir können uns doch jetzt, da wir in Narnia sind, unmöglich wie Kinder benehmen. Hier bist du eine Königin. Und könnte denn einer von uns überhaupt schlafen, solange das Geheimnis nicht gelüftet ist?«

Sie versuchten, lange Stöcke als Fackeln zu benutzen, hatten aber kein Glück damit. Hielten sie die Stöcke mit dem brennenden Ende nach oben, so gingen die Fackeln aus. Hielten sie sie aber umgekehrt, so versengten sie sich die Hände, und der Qualm stieg ihnen in die Augen. Schließlich mußten sie Edmunds Taschenlampe benutzen, die er glücklicherweise erst kürzlich zum Geburtstag bekommen hatte und deren Batterie noch fast neu war. Er ging mit dem Licht voran. Dann folgte Lucy, dann Suse, und Peter kam als letzter.

»Hier ist der Anfang der Stufen«, stellte Edmund fest. »Zähle sie«, ordnete Peter an.

»Eins – zwei – drei«, sagte Edmund, während er vorsichtig hinabstieg, und zählte dann weiter bis sechzehn. »Und hier ist der Boden«, rief er dann zurück.

»Dann muß es wirklich Feeneden sein«, meinte Lucy. »Dort waren es nämlich sechzehn Stufen.« Keiner redete mehr etwas, bis alle vier eng zusamengedrängt am Fuß der Treppe standen. Dann leuchtete Edmund langsam mit seiner Lampe in die Runde. »Oh – oh – oh!« riefen alle Kinder auf einmal. Denn nun erkannten sie alle, es war wirklich die alte Schatzkammer von Feeneden, wo sie einst als Könige und Königinnen von Narnia regiert hatten. Ein Mittelgang, etwa so, wie man ihn in Treibhäusern hat, führte durch die Kammer. Zu beiden Seiten des Ganges und etwas voneinander getrennt standen reiche Rüstungen wie Ritter, welche die Schätze bewachen. Zwischen den Rüstungen und an den Seiten des Ganges befanden sich Borde, die mit kostbaren Dingen bedeckt waren – mit Halsketten, Armreifen und Fingerringen, mit goldenen Gefäßen und Schalen, mit großen Elfenbeinzähnen, mit Broschen, Krönchen und Ketten von Gold. Dazwischen lagen Mengen ungefaßter Edelsteine, aufgehäuft wie Murmeln oder Kartoffeln – Diamanten, Rubine, Karfunkel, Smaragde, Topase und Amethyste. Unter den Borden standen große, mit Eisenstangen verstärkte und mit schweren Vorhängeschlössern versehene Eichenholzkisten.

Es war bitter kalt und ganz still; die Kinder konnten ihren eigenen Atem hören. Die Schätze lagen unter einer so dicken Staubschicht, daß die Kinder sie kaum als solche erkennen konnten. Da sie nun aber wußten, wo sie sich befanden, erinnerten sie sich an die meisten Gegenstände. Es lag eine etwas traurige und ein wenig furchterregende Stimmung über dem Ort, und alles wirkte so uralt und verlassen. Darum sagte minutenlang keiner ein Wort. Dann allerdings begannen sie umherzugehen und die Dinge anzufassen, um sie zu betrachten. Es war, als begegneten sie alten Freunden. Wäret ihr dabeigewesen, so hättet ihr sie sprechen hören: »Oh, seht doch! Unsere Krönungsringe – weißt du noch, wie du ihn zuerst trugst? – Oh, dieses ist die kleine Brosche, die wir verloren glaubten. – Sag mal, ist das nicht die Rüstung, die du bei dem großen Turnier auf den Einsamen Eilanden anhattest? – Erinnerst du dich, daß der Zwerg sie für mich anfertigte? – Weißt du noch, wie wir aus diesem Horn da getrunken haben? – Weißt du noch – weißt du noch?...« Aber plötzlich sagte Edmund: »Achtung. Wir dürfen die Batterie nicht vergeuden. Wer weiß, wie oft wir sie noch brauchen. Wollen wir nicht lieber das mitnehmen, was besonders wichtig ist, und wieder hinaufsteigen?« »Wir müssen die Gaben mitnehmen«, erklärte Peter. Damit meinte er gewisse Geschenke, die er und Suse und Lucy vor langer Zeit bei einem Weihnachtsfest in Narnia empfangen hatten und die ihnen mehr galten als das ganze Königreich. Edmund besaß keine solche Wertstücke, denn er war damals nicht bei seinen Geschwistern gewesen. Alle stimmten Peter bei und gingen den Gang entlang bis zur Mauer am äußersten Ende der Schatzkammer. Dort hingen tatsächlich die Gaben. Lucys Eigentum war am kleinsten; es war nur eine kleine Flasche. Aber diese Flasche war nicht aus gewöhnlichem Glas, sondern aus Diamant gemacht und noch mehr als halb gefüllt mit einem stärkenden Zaubermittel, das jede Wunde und jede Krankheit heilt. Lucy schwieg und blickte sehr nachdenklich vor sich hin, als sie das Geschenk von seinem Platz nahm, sich den Riemen über die Schulter legte und nun die Flasche wieder an ihrer Seite fühlte, wo sie einstmals in den alten Tagen gehangen hatte.

Suses Gaben waren ein Bogen und Pfeile und ein Horn gewesen. Der Bogen war noch vorhanden und auch der mit Pfeilen gefüllte Köcher aus Elfenbein, aber – »oh, Suse«, sagte Lucy, »wo ist das Horn?«

»Ach du liebe Güte«, antwortete Suse, nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte. »Jetzt fällt mir ein, daß ich es am allerletzten Tag mitnahm, an dem Tag, als wir den Weißen Hirsch jagten. Ich muß es verloren haben, als wir leider wieder in das andere Land – ich meine England – gerieten.« Edmund stieß einen Pfiff aus. Das war wirklich ein besonders schmerzlicher Verlust, denn es war ein Zauberhorn, und wer darauf, wann auch immer, blies, erhielt Hilfe, wo er sich auch befand.

»Das hätten wir gerade hier besonders gut gebrauchen können«, meinte Edmund.

»Laß nur«, sagte Suse, »ich habe noch den Bogen.« Und sie nahm ihn an sich.

»Ob die Sehne noch brauchbar ist, Suse?« fragte Peter. Der Bogen war – ob durch den besonderen Zauber in der Luft der Schatzkammer oder auf andre Weise – noch gut erhalten. Am liebsten beschäftigte sich Suse mit Bogenschießen und Schwimmen, was sie auch am besten konnte. Im Nu hatte sie den Bogen gespannt; darauf zupfte sie leicht die Sehne an. Diese geriet in Schwingung; ihr zwitscherndes Schwirren schwang sich durch den ganzen Raum. Und dieser kleine Ton rief in den Köpfen der Kinder mehr Erinnerungen an die alten Tage wach als alles andere, was sich bisher ereignet hatte. Alle Schlachten und Jagden und Feste kamen ihnen wieder in den Sinn.

Dann entspannte Suse den Bogen und hing sich den Köcher an die Seite.

Als nächstes nahm Peter seine Gaben herab – den Schild mit dem großen, roten Leu darauf und das königliche Schwert. Er schüttelte und pustete den Staub von den Gegenständen. Dann ergriff er den Schild und hängte sich das Schwert an die Seite. Zuerst fürchtete er, es könnte rostig geworden sein und in der Scheide steckenbleiben. Aber das war nicht so. Mit leichtem Schwung zog er es, hielt es empor und ließ es im Schein der Taschenlampe funkeln. »Das ist mein Schwert Rhindon«, sprach er, »mit dem ich den Wolf erschlug.« Seine Stimme klang ganz verändert, und die anderen spürten, daß er wieder Peter der Prächtige war. Nach einer kleinen Weile fiel den Kindern ein, daß sie die Batterie schonen mußten. Sie kletterten die Treppe hinauf, machten ein schönes Feuer und legten sich ganz eng zusammen, um warm zu bleiben. Der Boden war hart und unbequem, aber schließlich schliefen sie doch ein.